„Play.Tschechow“ der Schauspielschule im E-Werk
Zoff in der russischen Sommerfrische
List, Lust und jede Menge Zoff in der russischen Sommerfrische zeigen jetzt dreizehn Schauspielschülerinnen und Schüler aller Semester der Freiburger Schauspielschule im E-Werk. „Play.Tschechow“, so der Titel ihres rund zweistündigen Spektakels, für das Regisseurin Grete Linz Tschechows Komödie „Die Heirat“ kongenial mit seinen Einaktern „Der Bär“, „Jubiläum“, „Der Heiratsantrag“ und „Tragödie wider Willen“ verwoben hat.
Das bedeutet, innerhalb der Heirats-Rahmenhandlung trifft auf der Experimentalbühne ein prallbuntes, tschechowsches Figuren-Panoptikum erstmals als Hochzeitsgesellschaft aufeinander. Eine originelle Idee, die als homogenes Ganzes super funktioniert. Das fand auch die Jury des 24. Internationalen Theaterfestivals im rumänischen Sibiu, wo sich die Schauspielschule mit ihrer Inszenierung beworben hatte. Und eingeladen wurde im Juni – als einzige, deutschsprachige Produktion.
Golden ausgeleuchtet ist die extrem tiefe Kellerbühne und zeigt Sommerfrische wie auf einem alten Foto mit viel Patina: Eine weiße Hochzeitstafel steht zwischen Birkenstämmen und Schaukeln, drei junge Frauen in luftig-ländlichen Gewändern (Bühne und Kostüme: Grete Linz) tratschen und giggeln, wer genau guckt, sieht eine die Teller mit Spucke wienern. Dann friert die Szene ein, die Spieler lassen ihre Bewegungen wie die Figuren einer Spieluhr in Stop-Motion ruckeln – das Signal für Bruch und Übergang zum nächsten Einakter.
Dieses Stilmittel zieht sich durch die rund zweistündige Inszenierung und stiftet neben Orientierung für Tschechow-Kenner vor allem jede Menge Komik, wie hier überhaupt der Fokus auf Situationskomik bis hin zu Karikatur liegt: Körperstarke Pantomime, synchrone Choreografien, Clownerie, Slapstick wie bei Dick & Doof, dazu jede Menge Sprachwitz und Wortspielereien, Gesang und Live-Musik– all das hat diese quicklebendige Truppe zu bieten, die hier mehr Narrenhaus als eine Hochzeitsgesellschaft gibt.
Wer im Stück welche Rolle spielt und mit wem verbandelt ist, das zeigt eine lustige, kleine Installation aus Fotos und Schnüren im Foyer. Sieht kompliziert aus, puzzelt man sich trotz unaussprechlicher russischer Namen aber nach und nach zusammen – sind es doch fast nur Paare, die hier so leidenschaftlich schmachten, giften und tricksen. Natürlich steckt unter der Oberfläche auch jede Menge bittersüße Tragik, dagegen wird dann aber kräftig gesoffen und getobt. Dabei entwickeln die jungen Schauspielschüler von Anfang an ein mitreißendes Tempo, das Timing sitzt, Spielfreude und Talent sind beeindruckend.
Ob Würstchen, Hysterikerin oder Patriarch, ob Zweckheirat oder wilde Lust, handfester Streit über Ochsenwiesen oder der Auftritt eines tütteligen Kapitäns, der allen mit seinem Seemannsgarn auf die Nerven geht – jede Figur der schnell geschnittenen Episoden ist ein Hingucker, strotzt vor Vitalität und Schrulligkeiten. Immer wieder kippt in Sekundenbruchteilen die Stimmung, gibt es überraschende Regieideen. Hängt der Haussegen gar zu schief, wird eine Runde gesungen und mit Gitarre, Geige oder Akkordeon musiziert (Musik: Artur Grenz). Eine Art Satire auf die russische Volksseele aus längst vergangenen Tagen, mit viel Herz und Humor in Szene gesetzt. Und eine ebenso lustige wie originelle Inszenierung nicht nur für Tschechow-Liebhaber. Prädikat absolut sehenswert.
Marion Klötzer
Weitere Vorstellungen: 1. bis 4. Juni, jew. 20 Uhr, sonntags 18 Uhr. Experimentalbühne, E-Werk