Nichts bleibt mehr wie es war: Peter Carp hat für das Große Haus des Theater Freiburg Theresia Walsers „Die Erwartung“ zur Uraufführung gebracht
Im Theater Freiburg übt eine Ziege die Kunst der beiläufigen Ankündigung des Weltuntergangs. Dreht im letzten Moment kokett ab und sagt: „Ach, da fällt mir noch etwas ein“. Das Licht bildet da noch drei sich überschneidende Halbkreise. Nur wenig später ist die Bühne des Großen Hauses von einer alles ausfüllenden Wolke eingehüllt, so großartig als hätte sie Turner zu Hochzeiten der Industriellen Revolution gemalt (Licht: Stephan Maria Schmidt). Das fahle Gelb jedenfalls verkündet nichts Gutes. Tatsächlich rollt Halb-England an, ein Zyklon ist bereits über die britischen Inseln hinweggefegt und bedroht nun die zehn Menschen, die das Personal von Theresia Walsers Auftragswerk für das Theater Freiburg „Die Erwartung“ bilden. Das Unheil verkündende Gelb wiederholt sich in ihrer Kleidung, mal als Hosenanzug der Rückversicherin Ada, mal in den Shorts der Naturschützerin Laura und selbst die Ziege trägt ein Fell aus Schottenmuster auf der Basis von Gelb. Man muss wohl davon ausgehen, dass in Peter Carps Inszenierung alle ein bisschen Weltuntergang sind und nicht ganz unschuldig an ihm.
Alle diese Figuren, die auf der Drehbühne panisch mal hier, mal dorthin rennen oder ratlos herumstehen, um irgendwann dann doch eine Notunterkunft zu erreichen, sind miteinander verbunden. Da gibt es das Prepperpaar Elly und Eddie Fränkel, ihre Vermieter Ada und Ron, die nicht hinterm Berg halten, dass sie nicht viel von ihren Mietern halten und dann ist da noch die Wohngemeinschaft von Conni, Bardi und Karem. Die Naturschützer Laura hat sich Nachtfaltern verschrieben und Adas Vater ist zwar ein bisschen übriggeblieben, wird aber von diesem oder jenem ein Stück des Weges in seinem Rollstuhl geschoben. Ein Quäntchen Menschenfreundlichkeit muss man sich ja erhalten. Allein die Ziege (klug und kapriziös: Josefin Fischer) hat so viel Überblick, dass sie die Situation kommentieren kann, einerseits, andererseits kann sie froh sein, wenn sie nicht auf dem Prepper-Grill landet. Auf ihre Weise hat jede dieser Figuren ein Päckchen zu tragen, Ron (Martin Hohner) etwa, ist Sportlehrer, aber durch ein Gipsbein immobil, Conni (Thieß Brammer) ist ein „Transvestit mit ein, zwei fehlenden Schneidezähnen“, Karem (Raban Bieling) arbeitet in einem Möbelhaus in der Korbstuhlabteilung und würde zu gern sehen, wie es in sich zusammenfällt. Angesichts der anstehenden Katastrophe sind das natürlich lediglich Petitessen, doch da man am Theater Freiburg keinen Hehl daraus macht, dass der Untergang noch einmal verschoben ist, werden diese Päckchen dann eben doch wieder zentral.
Und ein bisschen ist es ja wie im richtigen Leben, man wartet ja ständig auf etwas: auf den Bus, den richtigen Menschen oder Moment, auch da kann es existenziell werden. Und so geht es um Deals in letzter Sekunde und wie man sich selbst am besten rettet. Walsers Farce hat Peter Carp auf der Drehbühne inszeniert und so bewegen sich diese Figuren um eine leere Mitte und die Frage, wie man weniger klimaschädlich hätte leben können, so dass derartige Extremwettersituationen erst gar nicht eingetreten wären. Vom Schnürboden werden Objekte wie ein Heizungskörper heruntergelassen, die mitunter Figuren zugeordnet werden können. Das lässt nicht darüber hinweg sehen, dass Peter Carp das Ensemble zwar zu einem überzeugenden Zusammenspiel geführt hat, „Die Erwartung“ aber aus Episoden besteht, denen die Klimax genommen worden ist. Auf knapp zwei Stunden trägt das nicht immer die Spannung.
Weitere Vorstellungen: 22. und 26. März, Großes Haus, Theater Freiburg
Bildquellen
- Josefin Fischer: © Britt Schilling