Mit „Professor Bernhardi“ übertreffen sich die Immoralisten selbst
Operation am offenen Herzen
Der aktuelle Bezug liegt auf der Hand, auch der zynisch mit „Komödie“ übertitelte Programmzettel zu „Professor Bernhardi“ stellt ihn klar: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, wird da der deutsche Innenminister zitiert. Die „Komödie“, wie sie Arthur Schnitzler bereits vor hundert Jahren sezierte, droht sich zu wiederholen; und die Immoralisten werden nicht müde uns darauf hinzuweisen.
Die Geschichte spielt in Professor Bernhardis Privatklinik. Entsprechend spartanisch ist die Szene bestückt. Mit beweglichen Kulissen und dabei einfachsten Mitteln gelingt der Truppe erneut, was selbst reich ausstaffierte Filme häufig nicht vermögen, nämlich allein durch ihr Spiel den Zuschauer von Anfang bis Ende ins Geschehen zu bannen (Bühne / Regie: Manuel Kreitmeier).
Dieses beginnt mit einer Operation, die sich zwar hinter der Kulisse abspielt, aber zum Auslöser des Dramas wird: Der jüdische Professor Bernhardi (Florian Wetter) versucht eine junge Frau nach einer Abtreibung zu retten, doch ist die Sepsis bereits zu weit fortgeschritten. Ihren bevorstehenden Tod nicht ahnend, glaubt die Frau schon bald zu gesunden. Um das Mädchen nicht in Todesangst zu versetzen, verwehrt der Arzt einem katholischen Priester die letzte Ölung. Als es kurz darauf stirbt, erwachen Bernhardis Widersacher zum Leben. Um ihn zu stürzen, unterstellen sie ihm, er habe aus politisch-religiösen Interessen gehandelt.
Was nun folgt, ist die Operation am offenen Herzen der Gesellschaft. Zunächst stemmen sich Bernhardis Befürworter gegen seine Widersacher. Dann beginnt die Stimmung zu kippen und ergreift selbst jene, die sich davor gefeit wähnten. Jeder hat ein eigenes Interesse an des Professors Enthebung. Falschaussagen und Intrigen kosten Bernhardi zunächst die Klinik, seine Zulassung und dann die Freiheit.
Ungeachtet dessen verteidigt der Professor bis zum Schluss sein – aus ärztlicher Sicht – ethisch-korrektes Verhalten. Bernhardi, dessen persönliche Überzeugung sich gegen die gesellschaftlichen Erwartungen behauptet, wird zum Helden auch unserer Tage. Arthur Schnitzler (1862-1931 in Wien), Sohn eines jüdischen Medizinprofessors und selbst Arzt, wusste schon genau, wovon er schrieb; auch wenn der beschriebene Klinik-Kosmos durch jeden anderen der Welt zu ersetzen wäre.
Die Immoralisten, die diesen Schauplatz beibehielten, übertreffen sich mit ihrer neuen Inszenierung selbst. Dabei blieb die Stückvorlage unverändert, was eine unglaubliche Textleistung darstellt.
Mit knapp drei Stunden (inklusive Pause) ist dies das längste Stück, gespielt von zwölf durchweg hervorragenden Darstellern (zum Teil mit Mehrfachrollen), der bislang größten Besetzung. Ravels Bolero und Stücke von Satie untermalen die sich steigernde Dramatik perfekt. Die Pflanze (diesmal in kluger Voraussicht aus Plastik) wird wieder zum Indikator und leidet erneut: Nach Bernhardis Abwesenheit trägt sie nurmehr ein einziges Blatt… Das Team ist hervorragend aufeinander eingestimmt, jedem einzelnen nimmt man die Leidenschaft seines Spiels ab.
Manuel Kreitmeiers und Florian Wetters Anspruch, an diesem Ort richtig gutes Theater zu machen, ist nach wie vor ungebrochen. Und wurde wieder einmal mehr als erfüllt.
Friederike Zimmermann
Weitere Vorstellungen: Ab 5. April bis 19. Mai, immer Do-Sa, 20 Uhr.
Infos: www.immoralisten.de