Nachhaltig

“Mit der Windkraft, da weiß man ja auch nicht so genau…“: Das Vertrauen in neue Wunderreaktoren hingegen ist grenzenlos, zumindest an Stammtischen und in manchen Redaktionen. Eine bemerkenswerte Diskrepanz.

Auf der Holzschlägermatte wächst ein Windrad weithin sichtbar himmelwärts. Aus der Wandergruppe tönt im Brustton der Überzeugung ein Satz-ähnliches Konstrukt, in dem eigentlich alles enthalten ist, was man über die Energiewende wissen muss: “Mit der Windkraft, da weiß man ja auch nicht so genau…“ Peng. Fehlt eigentlich nur noch, dass einer antwortet: „Genau!“ Das zustimmende Gegrummel fällt ebenfalls sehr ungenau aus.

Warum reicht’s nur für eine Wortsalve? Und woher kommt das diffuse Unbehagen? Jahrzehntelang wurden derart massive Zweifel an der Energiewende im Allgemeinen und an der Windkraft im Besonderen gesät, dass sogar jemand, der nicht einen einzigen geraden Satz zum Thema zustande bringt, das Bedürfnis hat, diesen Zweifel, der sich erfolgreich in seinem Kopf festgesetzt hat, in die Welt hinaus zu posaunen. Da niemand in der Gruppe mehr weiß, als dass „man auch nicht so genau weiß“, verlagert sich die Debatte sofort auf das Feld der optischen Eindrücke. Denn hier gibt’s mindestens so viele Experten wie Bundestrainer: „Wenn i die Dinga scho vo dr Autobahn us seh!!“ Diese Formel der Unwillens-Bekundung darf in keinem dieser Fachgespräche fehlen. Jedoch verkennt sie, dass es sich umgekehrt genauso verhält: Vom Windrad ausgesehen nimmt man das Leitplanken-bewehrte Asphaltband nicht wirklich als dekoratives Landschafts-Element wahr. Ein jeder weiß noch ein Anekdötchen, wo er mal welches Windrad gesehen hat – „also i han mal Urlaub a de Ostsee g’macht…“ – garniert mit den optischen Auswirkungen auf die eigene Gefühlslage.

Ohne googeln: Wie hoch ist der Anteil der Windkraft am Deutschen Strommix?

Keine:r von ihnen weiß, dass die Windkraft das Arbeitspferd der Erneuerbaren ist: nicht nur unter den Erneuerbaren ist sie seit über 20 Jahren die produktionsstärkste Stromerzeugungsart. 2020 überholte die Windkraft erstmals die traditionell lieferstarke Braunkohle. Deren geringe Brennstoff-Kosten waren lange schwer zu unterbieten. Nun aber zahlt sich aus, dass die Erneuerbaren gar keine Brennstoff-Kosten haben, und auch keine preistreibenden Verschmutzungszertifikat-Kosten. Im ersten Halbjahr 2024 trug allein die Windkraft mehr als ein Drittel zur gesamten Nettostromerzeugung in Deutschland bei. Alle Erneuerbaren zusammen lieferten 65 %. Oder anders herum betrachtet: innerhalb von 20 Jahren schnurrte der Anteil der fossil-atomaren von 90 % auf 35 % zusammen. Wer könnte den Leidensdruck der Konzern-Manager nicht nachvollziehen, die ihre Margen und Marktanteile, ihr Kapital und ihre Macht dahinschwinden sehen. Wie Profit-dienlich für sie, dass landauf, landab gut organisierte Windkraft-Gegner sich gegen die Errichtung von Rotoren stemmen! Diese Arbeit könnten die Kohle-Gas- und Öl-Konzerne unmöglich selbst erledigen. Dass sie zu diesem Zweck Tarnvereine und Schein-Bürgerinitiativen gründen, ist mehrfach nachgewiesen. Lobbyisten haben jahrelang Erfahrungen gesammelt, wie man die Glaubwürdigkeit von Bürgerinitiativen zum Nutzen von Industrie-Interessen instrumentalisieren kann.

“Jedes zusätzliche Windrad im Land schwächt die Situation der Braunkohle

Nur selten findet man ein solches Juwel der Offenherzigkeit, doch im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 legte ein sächsischer Politiker bestechend ehrlich die Motivation seiner Klimaschutz-Sabotage offen: “Jedes zusätzliche Windrad im Land schwächt die Situation der Braunkohle” erklärte der energiepolitische Sprecher, Georg-Ludwig von Breitenbuch, der auch im Herbst 2022 „eine Neubewertung des Ausstiegs aus der Atom- und Kohleverstromung“ forderte. Im Energie-Import –abhängigen Südwesten hat noch niemand ausgesprochen, dass jedes zusätzliche Windrad die Rentabilität der benachbarten Schweizer Uraltmeiler gefährdet. Und überhaupt wurde hierzuländle noch kein derart pointiertes Statement überliefert, das die Konkurrenz-Situation von Kohle, Öl, Gas oder Atomkraft zu den Erneuerbaren so auf den Punkt bringt. Es gibt zwar in Südbaden ansässige Putin-Vertraute, die bereits als Nutznießer der fossil-atomaren Geschäftsmodelle in Erscheinung traten, doch es ist nicht aktenkundig, dass sie die Erneuerbaren als direkte Konkurrenten zum Erdgasgeschäft thematisiert hätten. Nein schade, “jedes zusätzliche Windrad im Land schwächt die Situation von Nordstream 2” wollte einfach niemand von denen aussprechen, die es genau wußten.

Praktischer Weise übernehmen andere den Part, die Energiewende zu diskreditieren. Sie bringen Märchen in den Umlauf, die Windkraft schade durch Infraschall, dezimiere Tierbestände und verursache Lärm. Egal wie häufig diese Mythen haarklein widerlegt werden, es finden sich immer welche, die sie neu aufbrühen und lauthals herumtröten, so lange bis ahnungslose Lokalreporter:innen ihnen durch unkritisches Wiederholen zu noch mehr Reichweite verhelfen. So erweitert sich der Kreis derer, die wissen: “Mit der Windkraft, da weiß man ja auch nicht so genau…“

Strom-Import-Ländle

Deutschland ist auf einem ganz guten Weg, was die Stromwende betrifft – zumindest gemessen an dem, was trotz jahrelanger Bremsmanöver durch diverse Regierungen möglich war. Deren Tiefpunkte, der „Altmaier-Knick“, die „Sigmar-Senke“ und der „Altmaier-Abbruch“ schafften es bis in die ZDF-Anstalt. Beide Namens-Patrone legten sich für die Erdgaslobby mächtig ins Zeug. Als gewichtiges Argument warf Altmaier den legendären Satz: Gas ist sexyin die Waagschalewenige Wochen nach dem russischen Tiergartenmord 2019.

Im Länder-Ranking glänzt Baden-Württemberg allerdings durch Zurückhaltung: Der Beitrag des drittgrößten Flächenlandes zur installierten Windkraft-Leistung Deutschlands beträgt keine 3 % der bundesweiten Leistung. Beim Solarstrom sieht es mit 13 % etwas besser aus. Der Strombedarf von 64 TWh (2021) wird nur zu einem Drittel von hiesigen Erneuerbaren gedeckt. Das Ländle will 2040 klimaneutral sein, das zieht – der aktuellen BW-Stromstudie zufolge – einen steigenden Strombedarf von +73% bis +156 % nach sich. Für das Problem der fehlenden Ökostromproduktion im Südwesten haben einige gleich eine Lösung parat: „Sollen doch die anderen mal machen!“ Da die norddeutschen Bundesländer optisch nicht so wertvoll sind, wie das eigene, könnten die doch bitte Anlagen für die Ökostromversorgung bauen und dann müsste man halt Leitungen bauen … Nee, halt, die Leitungen sind ja auch hässlich und in ihnen verrecken wesentlich mehr Vögel als in Windrädern. Das Geld ginge auch in den Norden. So richtig durchdacht scheint die Idee nicht zu sein. Ebenso wenig wie die Vorstellung, Windparks im Meer könnten den Schwarzwald nebenbei mitversorgen. Leider nicht, der Platz ist durch die engen Grenzen der deutschen Hoheitsgewässer limitiert.

Der Strommarkt, so wie er heute geregelt ist, verursacht schon jetzt immer wieder die Situation, dass der Norden große Überschüsse an Windstrom produziert, der wegen begrenzter Leitungskapazitäten nicht nach Süddeutschland abtransportiert werden kann. Die Windböe sendet aber ein Signal an die Strombörse: “Jetzt wird’s billig“, also kaufen alle billig, auch Stromhändler in Süddeutschland und in der Schweiz. Wegen der Leitungsengpässe werden in Norddeutschland Windparks abgeregelt, die dafür entschädigt werden – das bezahlen alle Stromkund:innen. Gleichzeitig werden teure Gaskraftwerke im Süden angefahren, denn der billige Windstrom wurde schließlich im Süden gekauft und muss jetzt auch geliefert werden, so wollen es die Marktregeln. Und auch diese Kosten landen auf den Rechnungen aller Stromkund:innen.

Es hilft also nichts, wenn man “mit der Windkraft nicht so genau weiß“ und einfach mal mit verschränkten Armen dagegen ist. Wer hier Strom verbrauchen will, muss aushalten, dass sein Strom hier produziert wird. Und wenn wir unseren Teil der Verantwortung in der Klimakrise übernehmen wollen, anstatt ihn auf andere abzuwälzen, müssen wir vor der eigenen Haustür Ökostrom-Produktion möglich machen. Es sei denn, man richtet sich gemütlich in der Vorstellung ein, dass bald irgendwoher eine Wundertechnik vom Himmel fällt, die all unsere Probleme löst und lästige Veränderungs-Notwendigkeiten von uns fernhält.

Europa – Alle um uns herum bauen AKWs?

Nukleare Grammatik-Regel: Immer im Präsens und immer im Plural

Als sich in der Wandergruppe die Erkenntnis Bahn bricht, dass sauberer Strom auch vor Ort hergestellt werden muss, bekommt einer glänzende Augen und verkündet: “Um uns herum baue alli nei Kernkraftwärk”, nur Deutschland sei der einzige „Geischterfahrer“. Wer kann‘s dem armen Kerl verdenken, diese Unwahrheit wird tatsächlich überall in der Presselandschaft verbreitet. Ein Blick in die IAEA-AKW-Statistik verrät jedoch, die Anzahl der in Bau befindlichen AKW unserer Nachbarn beträgt für Belgien: 0, Bulgarien: 0, Dänemark: 0, Estland: 0, Irland: 0, Griechenland: 0, Spanien: 0, Kroatien: 0, Italien: 0, Lettland: 0, Litauen: 0, Luxemburg: 0, Malta: 0, Niederlande: 0, Österreich: 0, Polen: 0, Portugal: 0, Rumänien: 0, Slowenien: 0, Finnland: 0 Schweden: 0, Schweiz: 0, Tschechien: 0, Ungarn: 0, und Zypern: 0,. In Frankreich baut man seit 2007 an einem Reaktor, in der Slowakei ebenfalls an einem, sogar seit 1987. England: 2, die Endlos-Baustelle in Hinkley Point. Das war‘s.

Keiner der Wandergesellen möchte ein neues Fessenheim vor der Nase, von einem Endlager für radioaktivem Abfall ganz zu schweigen. Dennoch kommt das nächste Feenstaub-Märchen wie gerufen: “Es gibt jetzt ganz neue Reaktoren“, die quasi Atommüll zu Strom verbrennen, wie einst die Atommüllerstochter Stroh zu Gold verspann – oder so ähnlich. Die gäb’s sogar von einen deutschen Firma. „Do brauchsch kei Endlager meh!“ So steht’s ganz oft in der Presse. Aber das ist falsch. Unbeirrbar wird dabei von „Reaktoren“ (Plural) geschrieben, die es „jetzt gibt“ (Präsens) – beides ist falsch. Es gibt keinen einzigen Reaktor der sogenannten 4-ten Generation, allenfalls Konzepte. Nichts was vor 2040 – dem Jahr der anvisierten Klimaneutralität – auch nur in ansatzweise greifbare Nähe rückt. Aus dieser oft wiederholten Legende spricht der tiefe Wunsch, dass man doch bitte selbst sein Leben nicht ändern muss, dass die Erlösung durch Technik kommt und irgendwer es schon richten möge.

Einer Stanford-Studie zufolge würde bei den Mini-Reaktor-Konzepten (!) einerseits wesentlich mehr Atom-Müll anfallen, als bei derzeit aktiven AKW: Doppelt bis 30-mal so viel. Andererseits räumen die Autor:innen ein, dass die Abschätzung schwierig sei, weil keines der betrachteten Konzepte über das Entwurfs-Stadium hinaus gekommen sei – deshalb werden sie auch als Power-Point-Reaktoren verspottet.

Ausgerechnet der Wunderreaktor der deutschen Firma Dual Fluid, DFR, schießt den Vogel aus dem Wolkenkuckucksheim ab. Das DFR–Konzept, dem sich einige Freizeit-Forscher seit 2009 widmen, ist auch unter Kerntechnikern und Atomfreunden höchst umstritten. Es wird als „Perry-Rhodan-Reaktor“ verlacht. Für diesen Traum-Reaktor wurde und wird Geld gesammelt. Auffällig ist, dass keiner der Investoren seinen Namen dafür hergibt. Nicht einer, der von der Idee soweit überzeugt wäre, dass er aus seiner anonymen Deckung herauskäme. Nachdem man in Deutschland auf keinen grünen Zweig kam, ging man nach Polen, ergebnislos. Es folgte 2021 eine DFR-Firmengründung in Kanada: Wir peilen an, dass 2024 vielleicht schon so ein kleiner Reaktor in einem Forschungszentrum in Kanada in Betrieb geht“ so die vollmundige Behauptung vom Januar 2022. Es folgte: Nichts.

Die Niederlassung in Vancouver hat dieselbe Adresse, wie eine Agentur, die virtuelle Büros vermietet. Die DFR-Zweigstellen in Berlin und Vancouver sind nur Büros – scheinbar braucht das Startup auch nach 15 Jahren Theoretisieren nur ein paar Sitzgelegenheiten und keine kernphysikalischen Labors. Der neuste PR-Coup wurde im Herbst 2023 vermeldet: der ein DFR-Testreaktor soll ausgerechnet in der Autokratie Ruanda gebaut werden, 2026 könnte er testbereit sein. Wo genau, weiß man nicht. Wie die Lizensierung und das Sicherheitsregime in dem Land ohne Nuklearexpertise aussehen soll, steht in den Sternen. Mit welchen Fachkräften ein Reaktor, der weder in Europa noch in Kanada konstruiert werden konnte, in Ruanda aufgebaut werden soll, ist ebenso schleierhaft – es sei denn die Zusammenarbeit zwischen Ruanda und Russland soll auch beim DFR eine Rolle spielen. Um Nuklear-Kompetenz im eigenen Land aufzubauen, habe Ruanda mehr als 130 Studierende an drei große russische Unis geschickt, die mit Putins Atomkonglomerat Rosatom verbandelt sind.

Bei so viel obskurer Intransparenz ist es aus Sicht der Investoren, die ihre Millionen in das DFR-Projekt gepumpt haben, nur allzu verständlich, dass sie lieber im Verborgenen bleiben möchten. Wer möchte seinen Namen schon gern lesen, wenn ein Hochstapler-Projekt auffliegt? Zumindest wäre das ein theoretisches Motiv. Möglicher Weise werfen aber auch welche dem Luftschloss ihr Geld hinterher, um „den DFR zur Rückgewinnung der Diskurshoheit einzusetzen“ – ein Motiv, das offen von Atomfreunden genannt wird. Eine solche Strategie würde der gesamten fossil-atomaren Lobby in die Karten spielen.

Bildquellen

  • Europa – Alle um uns herum bauen AKWs?: Grafik: Eva Stegen
  • AKW Symbolbild: Foto: pixabay