InterviewTheater

Man muss es unbedingt wollen!

Im Gespräch: Stefan Wiemers vom Cargo-Theater
Aus dem Freiburger Kulturleben ist das Cargo-Theater nicht wegzudenken. Seit 25 Jahren gibt es das freie Thea­ter. Viele Freiburger sind durch Margot Wierer und Stefan Wiemers zum Theater gekommen und haben zuerst ihre Kinderstücke gesehen und später dann die für Erwachsene. Das Cargo-Theater, das regelmäßig mit Gastschauspielern und -regisseuren zusammenarbeitet, vertritt eine Ästhetik mit hohem Wiedererkennungswert. Seine Inszenierungen wurden bereits mehrfach für den Stuttgarter Theaterpreis nominiert, bzw. ausgezeichnet. Annette Hoffmann sprach mit Stefan Wiemers darüber, wie sich die Theaterszene in den letzten zwanzig Jahren geändert hat, über städtische Förderung und was es heißt, Theater sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene zu machen.


Joker: Das Cargo-Theater feiert 2012 sein 20-jähriges Bestehen. Können Sie sich noch an das erste Stück erinnern?
Stefan Wiemers: Ja, sehr gut. Es war ein Kinderstück, „Azuro“ hieß es und befasste sich mit dem Weglaufen. Wir wollten nun nicht zwei Kinder spielen, die von zu Hause ausreißen, sondern haben uns die Geschichte eines Präsidenten überlegt, der sich so unter Druck gesetzt fühlt, dass er nachts heimlich das Land verlassen will. Dabei trifft er auf die Kioskbesitzerin Mara, die ihm dabei hilft. Und während sie so überlegen, kommt ihnen der Gedanke, dass es besser ist, sich einer Situation zu stellen.
Joker: Das ist ja richtig päda­gogisch.
Wiemers: Ja (lacht). Wir hatten es, wie viele unserer Stücke, selbst geschrieben. Premiere war im Mai 1992 in Düsseldorf. Im Herbst 1992 sind wir schon nach Freiburg gezogen und haben relativ schnell Auftrittsmöglichkeiten gefunden. Wir haben damals das Stück im Vorderhaus gespielt.
Joker: Eigentlich müssten wir hier zu dritt sitzen. Doch Margit Wierer ist in Lima. Was macht sie in Peru?
Wiemers: Stimmt, meine Frau sitzt gerade im Flieger Richtung Lima. In erster Linie ist es eine Privatreise. Da wir aber fast nichts privat machen, besucht sie in Lima eine Theatergruppe. Das Theater Yuyachkani gibt es schon seit 40 Jahren, es ist stark von Grotowskis „dritten Theater“ geprägt und sehr politisch. Wir haben seit langem einen losen Kontakt. Es gibt zwar keine konkreten Pläne für eine Zusammenarbeit, die Idee einer Zusammenarbeit spukt aber im Hintergrund.
Joker: Sie brechen heute noch zu Gastspielen auf. Wie ist in etwa das Verhältnis von Auftritten in Freiburg zu denen im übrigen Bundesgebiet?
Wiemers: Ja, ich fahre heute noch Richtung Bremen mit zwei Stücken im Gepäck. Wir spielen „Der große Coup“ in Iserlohn, dann in Nienburg und Bremen unseren Dauerbrenner „Tranquilla Trampeltreu“. Wir haben meist um die 120 Termine im Jahr, davon finden 40 in Freiburg statt. Das ist eine gute Relation, wir würden aber gerne noch mehr in Freiburg spielen.
Joker: Wie viele Stücke haben Sie im Repertoire?
Wiemers: Jetzt sind es acht Stücke, die wir anbieten. Drei von ihnen sind gerade am Auslaufen, vier, fünf Stücke laufen ständig.
Joker: 20 Jahre sind für die freie Szene eine lange Zeit. Wie hält man sich als freie Theatergruppe derart lang über Wasser?
Wiemers: Das verlangt Zähigkeit. Man muss es unbedingt wollen. Wir sind auch durch tiefe Täler geschritten. Die ersten Jahre sind sogar einfacher, weil einem klar ist, dass es nicht von Null auf Hundert gehen kann. Trotzdem sitzt man am Anfang manchmal vor dem Telefon und wartet, dass es klingelt. Wenn sich aber nach fünf, sechs Jahren keine Bestätigung einstellt, wird man ungeduldig. Die härtesten Jahre waren die zwischen fünf und zehn. In diesem Zeitraum entscheidet sich, ob man es schafft. Nach 20 Jahren verflüchtigen sich die Ängste. Wir haben viele Veranstalter, die wir regelmäßig besuchen.
Joker: Sie spielen auf vielen kleinen Bühnen, wie hat sich in diesen 20 Jahren die Szene verändert?
Wiemers: Das Kinder- und Jugendtheater unterscheidet sich von dem Erwachsenenbereich. Wir arbeiten jeweils mit unterschiedlichen Veranstaltern zusammen. Im Kindertheaterbereich spürt man, dass Kindertheater als Kinderkunst ernster genommen wird. Da hat sich das Bewusstsein in den letzten zwanzig Jahren verändert und damit auch die Räumlichkeiten. Hier könnte aber noch viel mehr passieren.
Das Cargo-Theater ist im Grunde eine späte Gründung. Die Hochzeit des freien Theaters war in den 80er Jahren, wir haben damals noch studiert. Nach dem Abschluss haben wir gemerkt, dass wir am Theater mehr Spaß haben. Deshalb haben wir beide eine Bewegungstheaterschule in Bremen besucht, wo wir uns auch kennen gelernt haben. Als wir anfingen, war die Welle des freien Theaters bereits am Abklingen. Wir haben damals in vielen soziokulturellen Zentren gespielt, die heute kaum noch Theaterproduktionen im Spielplan haben.
Joker: Da hat sich das E-Werk ja gut gehalten.
Wiemers: Ja, das liegt daran, dass das E-Werk als Künstlerhaus und nicht als soziokulturelles Zentrum entstanden ist.
Joker: War das nicht schwierig, seinen Platz in der freien Szene zu finden? Das klingt doch sehr nach Käseglocke.
Wiemers: Vieles ist damals auseinander gebrochen. Nicht zuletzt durch die Maueröffnung 1989. Klar, es war käseglockig, aber so war das eben damals. Als wir nach Freiburg kamen, hatte das Kinder- und Jugendtheater mit dem Marienbad gerade sein eigenes Haus bekommen. Uns war klar, auch wenn wir zehn Jahre weiterarbeiten, wird die Stadt für uns kein zweites Haus schaffen.
Joker: Wie beurteilen Sie das Verhältnis von Stadttheater und freier Szene? Projekte wie Finkenschlag könnten auch von einer freien Gruppe initiiert werden. Wird es dadurch nicht enger für die freie Szene?
Wiemers: Ja, das wird es. Aber ich finde es grundsätzlich richtig. Das freie Theater war damals von einer Bewegung getragen, als sie weg war, ist es erst mal in ein Loch gefallen und bekam große Legitimationsprobleme. Damals war die Abgrenzung gegenüber dem Stadttheater sehr groß. Es war eine originäre Idee der freien Szene, dass das Theater aus den Stadttheaterpalästen in die Stadt hineingetragen werden sollte. Parallel dazu bedient sich das Stadttheater der freien Szene. Sehr viele Regisseure, die in der freien Szene angefangen haben, werden mittlerweile zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Auch Frau Mundel holt viele Leute aus der freien Szene an das Theater Freiburg. Ich halte das nicht für falsch, denn auch das freie Theater ist ja in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wenn ich mir unser Publikum anschaue, sieht das nicht anders aus als das des Stadttheaters. Es geht darum, gutes Theater zu machen.
Joker: Ihre erste Premiere war ein Kinderstück, wie sind Sie zum Erwachsenentheater gekommen?
Wiemers: Wir kommen ja eigentlich vom Erwachsenentheater. Ans Kindertheater sind wir eher zufällig gekommen. Eine freie Gruppe, die ausschließlich Kindertheater macht, hat damals Mitstreiter gesucht. Wir fanden das interessant und sind da eingestiegen. Aber als unser erstes Kind auf die Welt kam, war klar, dass sich Familie schlecht mit der freien Theaterarbeit verbinden lässt. Wenn wir beide weiterarbeiten wollten, mussten wir selbstständig werden. Aber Kindertheater ist ein spannendes Genre und Kinder sind ein anspruchsvolles Publikum. Wir wollten das Erwachsenentheater aber auch nicht aufgeben. Das hat etwas von einem Spagat, auch weil die Veranstalter und das Publikum so unterschiedlich sind. Ich möchte weder das eine noch das andere missen. Man macht Erfahrungen, die jeweils gewinnbringend für den anderen Bereich sind. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob wir im Erwachsenenprogramm so einfach zum Objekttheater gekommen wären, hätten wir nicht davor schon Kindertheater gemacht
Joker: Was macht die Ästhetik des Cargo-Theaters aus?
Wiemers: Wir sind stark durch das Bewegungstheater geprägt. Unser Anspruch war, mit wenigen Mitteln Bildwelten zu schaffen. Das war schon immer die Aufgabe des Theaters, heute angesichts von 3D-Effekten im Kino mehr denn je. Gegen die realen Bildwelten des Kinos können wir nicht ankommen. Wenn aber bei den Zuschauern ganz eigene Bilder im Kopf entstehen, haben wir erreicht, was wir wollen.
Joker: Ihre Stücke weisen sehr viel Liebe zum Detail auf. Ist das der Luxus, den man sich als freies Theater leistet?
Wiemers: Unsere Produktionen sind sehr zeitaufwändig. Die reinen Proben dauern etwa zwei Monate, doch von der Idee bis zur Premiere braucht es oft eineinhalb Jahre. Wir arbeiten sehr projektbezogen und gehen von Themen aus. Manchmal stoßen wir im Lauf der Vorbereitungen aber auch auf einen Stoff, der uns interessiert. So erging es uns mit „Das finstere Tal“. Den Roman von Thomas Willmann haben wir erst entdeckt, als wir schon sehr viel Material gesammelt und auch die Proben bereits angesetzt hatten. Manchmal entwickeln sich die Dinge so.
Joker: Sie haben als erste freie Gruppe in Freiburg eine dreijährige Konzeptförderung erhalten, die jetzt ausgelaufen ist. Wie sieht Ihr Fazit aus?
Wiemers: Das ist eine gute Sache. Uns gab es Planungssicherheit. Ohne diese Förderung hätten wir „Das finstere Tal“ nicht gemacht, mit fünf Schauspielern ist das eine große Produktion für uns. Es ist ein Türöffner, sowohl bei Veranstaltern als auch bei Geldgebern. Die Konzeptionsförderung sollte auf jeden Fall erhalten bleiben. Allerdings ist sie sehr schmal dotiert. Die 10.000 Euro pro Jahr sind zu wenig. Der Fonds Darstellende Künste vergibt seine Konzeptionsförderung, die sich auf 25.000 Euro beläuft, nur, wenn man bereits eine andere Konzeptionsförderung bekommt. Der Fonds stellt sich aber auf den Standpunkt, die Konzeptionsförderung der Stadt Freiburg sei so gering, dass es keine ist. Daher konnten wir uns nicht bewerben. Aber daran lässt sich ja etwas machen.
Joker: In Ihrer letzten Produktion „Das finstere Tal“ spielt Ihre Tochter Clara Wierer mit.
Wiemers: Auch das war eher Zufall. Als wir uns für „Das finstere Tal“ entschieden hatten, war es uns wichtig, die Rolle der Lucie zu besetzen. Alle jungen Schauspielerinnen, die wir ansprachen, konnten nicht. Unsere Tochter macht gerade in Berlin eine Schauspielausbildung. Das hat alles gut geklappt.
Joker: Und nun wird gefeiert?
Wiemers: Ja. Unser 15-Jähriges haben wir zwar größer gefeiert. Doch diesmal wollen wir auch mitfeiern und halten es ziemlich schlank.
Joker: Herr Wiemers, herzlichen Dank für das Gespräch!

Aufführungen des Cargo-Theaters:
Das finstere Tal: 9./10. März, 20.30 Uhr, EWERK
Das Bärenwunder: 18. März, 11 und 15 Uhr, Alter Wiehrebahnhof.
Tranquilla Trampeltreu: 25. März, 11 Uhr, Vorderhaus.
Madame Katz – Monsieur Wolf: 1. April, 11 und 15 Uhr, Alter Wiehrebahnhof.