KunstLiteratur

Literatur-Museen in Bollschweil, Staufen und im ganzen Markgräflerland

„Wenn er kommt, der Besucher,
Der Neugierige und dich fragt,
Dann bekenne ihm (…)
Dass du an vielen Orten zu Hause warst,
Aber ein Heimatrecht hast an keinem (…).“
MLK

Marie Luise Kaschnitz (1901–1974) ist eine der bedeutenden deutschen Autorinnen des 20. Jahrhunderts, in deren Werk sich Poesie und Intellekt verbinden. Nun jährt sich ihr Todesjahr zum 50. Mal. Nach 1945 war sie eine wichtige Stimme, etwa durch ihre Lyrik „Totentanz und Gedichte zur Zeit“. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte sie sich zur bewussten Zeitgenossin, wohnte danach z.B. den Auschwitz-Prozessen (1963-65) bei und stand mit kritischen Denkern in Austausch, darunter Adorno, Bachmann, Huchel und Dolf Sternberger; letzterer verfasste das „Wörterbuch des Unmenschen“, das sich mit der in der NS-Zeit beschädigten Sprache beschäftigt. Kaschnitz‘ Lyrik und Prosa, ihre Erzählungen und Hörspiele fanden 1955 Anerkennung durch den Büchner-Preis. „Sie hat Energien des Schmerzes umgeprägt in jene Kräfte, die das Überleben sichern“, sagte ihre Lektorin Elisabeth Borchers.
Seit 2014 ist ihr im Rathaus Bollschweil die Dauerausstellung „Herzkammer der Heimat – Marie Luise Kaschnitz in Bollschweil und andernorts“ gewidmet. In deren Zentrum steht ein Schreibtisch der Dichterin, der jetzt als Trautisch dient; zudem finden sich Fotos sowie Vitrinen und Schubladen mit Büchern und Manuskripten. Eine Medienstation bietet Aufnahmen von Lesungen sowie Filmsequenzen. Im Fokus stehen Orte, die ihr Werk geprägt haben. 1901 in Karlsruhe geboren, aufgewachsen zunächst in Berlin in der Familie des preußischen Generals Freiherr Max von Holzing-Berstett, die am Ende des Ersten Weltkriegs auf einen Gutshof nach Bollschweil zog. Dieses Elternhaus, so schrieb sie, haben „wir Kinder als unsere eigentliche Heimat leidenschaftlich zu lieben gelernt“. Eine Buchhandelslehre führte sie in jungen Jahren nach Weimar und München, wo sie 1925 den Archäologen Guido Kaschnitz von Weinberg heiratet. Sie reisten viel, nach Frankreich, Italien und Griechenland, lebten in Rom, Königsberg, Marburg und Frankfurt. Bollschweil bedeutete ihr viel, blieb aber Durchgangsstation. Nach ihrem Tod in Rom im Oktober 1974 wurde sie hier beigesetzt. Die Erzählung „Beschreibung eines Dorfes“ (1966) befasst sich mit der Ortschaft, bettet sie vielfältig ein, landschaftlich, historisch und in Alltägliches, was heute ein literarischer Spaziergang thematisiert. Kaschnitz‘ Heimatbegriff war nicht besitzorientiert, ein Gedicht lässt es erahnen: „Wer von seiner Heimat redet, erweckt viele Erinnerungen. / Alle, die ihm zuhören, sehen die eigenen Bilder (…).“ Ihr Text will den LeserInnen ermöglichen, sich einen eigenen „Weg durch das Meer des Vergessens“ zu bahnen. Christoph Meckel sah den Stil von Kaschnitz charakterisiert durch Gefühl, klar unterschieden von Sentimentalität. Als Kleinod darf ihr Buch zum Maler Gustave Courbet gelten; zu entdecken bleiben auch die Zeilen auf ihrer Grabstätte: „Wohl denen die gelebt / ehe sie starben.“
Programm in Bollschweil zum 50. Todestag: So, 14.7., 15.30 Schloss: „Familie und Heimat“, Angehörige erzählen, Texte werden rezitiert, musikalische Intermezzi. Sa, 12.10., 18h Möhlinhalle: Festvortrag Professor Werner Frick „Die bestürzende Fülle der Welt“ – Annäherung an Marie Luise Kaschnitz“. So, 13.10. 15.30 Kirche St. Hilarius: „Gesang vom Menschenleben“, Hommage an MLK, mit Chor und Orgelspiel. Rathaus: Dauerausstellung „Herzkammer der Heimat“.

Von Bollschweil nach Staufen: Huchel – Kästner -Brodwolf
In Staufen wurde 2013 eine Dauerausstellung zu Leben und Werk der Schriftsteller Peter Huchel (1903-1981) und Erhart Kästner (1904-1974) eröffnet, im denkmalgeschützten Stubenhaus; hier findet jährlich die Verleihung des Peter-Huchel-Preises für deutschsprachige Lyrik statt. Huchel und Kästner verbrachten letzte Lebensjahre im Ort und waren befreundet; beide hatten im Literaturbetrieb des geteilten Deutschland nach 1945 wichtige Positionen inne. Huchel leitete in der sowjetischen Besatzungszone den Berliner Rundfunk und war von 1949 bis 1962 Chefredakteur der Zeitschrift „Sinn und Form“. Doch geriet er in die Kritik, das DDR-Regime stellte ihn kalt; sein Haus blieb Treffpunkt für Regimekritiker. 1971 durfte Huchel ausreisen und fand in Staufen eine „Notherberge“. Franz A. Morat, der ihn unterstützte, widmet er seinen letzten Gedichtband: „Die neunte Stunde“.
Erhart Kästner (1904-1974) war nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD als Juror und Direktor der renommierten Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel tätig. Ihn traf eine andere Art von Anfechtung, denn ab 1941 hatte er mit militärpolitischem Auftrag Griechenland bereist, schrieb Bücher über das „heitere Altertum“, überging aber die NS-Besatzung. Seine Werke, darunter „Kreta“ und „Aufstand der Dinge“ machten ihn dennoch zum herausragenden Kulturvermittler und erlebten viel Resonanz. Die Schau in Staufen stellt – mittels Texten, Objekten und Hörstationen – die Schriftsteller im Kontext der extremen Literatur- und Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts vor, markiert durch Widersprüche, Exil, Reisen und Vergeblichkeit. Kurator Thomas Schmidt vom Literaturarchiv Marbach versteht die Ausstellung als Denk-Ort.

Jürgen Brodwolf. Die Kästner-Bibliothek (1992-2013) © Nikoline Kästner

„Kästner-Bibliothek“
Nach teilweiser Umgestaltung ist die Huchel-Kästner-Ausstellung nun neu eröffnet worden, erweitert um ein Werk des Bildhauers Jürgen Brodwolf (*1932), die sogenannte „Kästner-Bibliothek“ (1992-2013), bestehend aus 32 Buchobjekten. Damit nähert sich Brodwolf einem Autor und Liebhaber der Buchkultur, der als Direktor der Herzog-August-Bibliothek deren Bestände stark erweitert hat, etwa um eine Sammlung von „Livres de peintre“, Künstlerbüchern aus dem Frankreich der Moderne. Diese sind in lichtvollen Farben gestaltet, versetzen Wort und Bild – auf haptisch ansprechendem Papier – in einen beziehungsreichen Schwebezustand. Dagegen wirken die Buchobjekte der „Kästner-Bibliothek“ zunächst kalt, aber Besuchende erwärmen sich für sie, dürfen sie diese doch einem Regal entnehmen und aufklappen; ihre „Blätter“ bestehen aus Glasschichten, in denen Fragmente von Geschriebenem und Stofflichem gespeichert sind, unter Verwendung von Graphit, Tusche, Ölfarbe, Rötel, Tinte, Sand, Pigment, Papier und Zeichnung. Auf diese Weise werden Spuren zu anderen Künstlern gelegt, etwa zu Huchel, Kästner, Bissier, Klee, Altenbourg, Hebel und Eleonore Duse. Mitunter taucht eine für Brodwolf typische „Tubenfigur“ auf, die eine menschliche Gestalt suggeriert. Chiffre für den fehlerhaften und zerstörbaren Menschen? Nur vor Ort kann man sich von all dem eine Vorstellung machen.

Bildquellen

  • Jürgen Brodwolf. Die Kästner-Bibliothek (1992-2013): © Nikoline Kästner
  • Jürgen Brodwolf. Das Grabmal des Poeten. Für Peter Huchel (1981): © Nikoline Kästner