Lächerliche Männer: Die Freiburger Immoralisten zeigen Open Air Oscar Wildes Komödie „Bunbury – Ernst sein ist alles“
Mehr Ironie geht kaum. Da geben sich zwei junge Dandys als Ernst aus, obwohl sie Jack und Algernon heißen – und zwei junge Damen lieben sie angeblich nur wegen dieses moralisch hochstehenden Namens. „The Importance of Being Earnest“, Oscar Wildes berühmteste Komödie, spielt schon im Titel mit der Doppeldeutigkeit von Anstand und (verlogener) Identität. Das kann ja heiter werden: Und wird es auch in der – nach 2012 – zweiten Adaption des Klassikers durch die Freiburger Immoralisten. Aus der Frühzeit der freien Theatergruppe stammt das bizarre Bühnenbild, das aus Toilette, Pissoir und Waschbecken besteht. Eine Anspielung auf den Treffpunkt schwuler Männer, zu denen bekanntlich Wilde gehörte, der dafür ins Gefängnis wanderte, das ihn ruinierte? Die komplett männliche Besetzung der Erstaufführung wurde beim zweiten Anlauf allerdings aufgegeben. Chris Meiser, eine hochnäsige Lady Gwendolin Fairfax im pink-weiß gepunkteten 50er-Jahre-Kleid, und Christina Beer als Cecily Cardew eine freche Göre in Jeans und Streifen-T-Shirt, geben mit Verve die Ernst-Verliebten und sehen sich dabei Jochen Kruß’ ewig mit einem falschen Moustache kämpfenden Jack Worthing und Uwe Gilot als mit Brusthaar-Toupet à la Dieter Thomas Kuhn prunkendem Algernon Moncrieff gegenüber.
Unter dem freien Himmel des Stühlinger Gewerbehofs überbieten sich diese beiden gewieften britischen Oberschichtler in rhetorischen Pirouetten, um ihre fingierte Doppelexistenz als Städter und Landei zu legitimieren. Man kannte so was 14 Jahre lang auch aus Downing Street 10. Manuel Kreitmeiers Text-Bearbeitung und Regie setzen zu Recht auf Wildes funkelnden Sprachwitz, gleichzeitig aber auch auf Travestie-Effekte in den gegengeschlechtlich besetzten Rollen von Tante Augusta (souverän: Uli Winterhager) und der Erzieherin Miss Prism (mit rosa Schürze: Burkhard Siegfried), dem Reverend Dr. Casuble (Thomas Kupczyk) mit plumper Grapscherei durchaus auch zu ihrer eigenen Freude nachstellt.
Kreitmeiers Regie arbeitet auch an anderer Stelle mit drastischen Mitteln: Die mit hohen Hacken und Blondhaar-Perücke erotisch hochgerüstete Gwendoline lässt die Hüllen – nun ja, nicht ganz – fallen, um den von ihr begehrten Jack alias Earnest ihre Absichten unmissverständlich spüren zu lassen. Wer hier die Chefin ist und wer ihr Untergebener: Daran gibt es keinen Zweifel. Ebenso zielstrebig geht andererseits Cecily zur Sache: Sie hat sich, wie sie ihrem an die nicht vorhandene Klotür geschriebenen Tagebuch anvertraut, mit ihrem Ernst verlobt, ohne dass der die geringste Ahnung davon hatte.
Der Abort eignet sich nebenbei auch ganz gut zur Entsorgung der Camouflage-Accessoires: Erst verschwindet der Schnurrbart, dann der Brustpelz in den Tiefen der Kloake. Die feine englische Art ist das nicht. Aber die wird von den Immoralisten auch bis zum bitteren Griff ins Klo durch den Kakao – pardon: hemmungslos übersüßten Tee – gezogen: inklusive der scheußlichen kurzen Hosen der Protagonisten, die in diesem Aufzug nur noch lächerlich wirken: wie zwei ihrer Lügen überführte Pennäler, denen zum Dank für ihre Tricksereien ihre Herzensdamen um den Hals fallen. Ehrlich währt am längsten: Dieses Sprichwort war Oscar Wilde offensichtlich nicht bekannt.
Zum Glück: Die Welt – konkret: das Freiburger Publikum – wäre um einen vergnüglichen Theaterabend ärmer.
Weitere Spieltermine: www.immoralisten.de
Bildquellen
- Jochen Kruß und Chris Meiser: © Theater der Immoralisten