Künstler in Krisen
Schönbergs „Die glückliche Hand“ und Janáceks „Osud“ an der Stuttgarter Staatsoper
Der eine Künstler macht mit einem einzigen Hammerschlag aus einem Goldklumpen ein Diadem. Und wird dennoch von dem Weib, das ihn inspiriert hat, abgewiesen. Der andere ist Komponist – und verarbeitet in seiner Oper den Verlust seiner Frau.
Es geht um das Ausgestoßensein, um die Selbstreflexion des eigenen Schaffens und um das Leiden an der Realität. Arnold Schönbergs „Die glückliche Hand“ und Leos Janáceks „Osud“ (Schicksal) sind Künstlerdramen. Beide Opern entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts – und wurden erst viele Jahre später uraufgeführt. Ihre Protagonisten haben viel mit ihren Erfindern zu tun; die Libretti stammen von den Komponisten selbst und reflektieren eigene Krisen. Aber die Stücke unterscheiden sich sehr in Länge, Struktur und Klanglichkeit. Wenn nun die Stuttgarter Staatsoper zum ersten Mal überhaupt die beiden Werke zu einem Musiktheaterabend verbindet, dann beweisen die Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito Mut, Fantasie und dramaturgisches Geschick. Das nur rund zwanzig Minuten dauernde Drama „Die glückliche Hand“ fungiert als eine Art allegorisches Vorspiel, das das Thema in einer Traumerzählung einführt, ehe es dann bei „Osud“ ganz konkret wird.
Sylvain Cambreling steht erstmals als designierter Generalmusikdirektor am Pult des Staatsorchesters Stuttgart. Das Publikum empfängt den früheren Chefdirigenten des SWR-Sinfonieorchesters mit warmem Beifall. Schönbergs expressionistische, immer wieder von emotional aufgeladenen Melodiefragmenten durchzogene Partitur ist bei dem französischen Dirigenten gut aufgehoben. Die Details lässt Cambreling von den ausgezeichneten Solisten des Staatsorchesters modellieren. Und macht den „Lichtsturm“ nach dem Schöpfungsakt des Künstlers („So schafft man Schmuck“) in einem großen Crescendo zum Orkan. Der Künstler (ausdrucksstark: Shigeo Ishino) liegt auf einer Freudschen Couch (Bühne: Bert Neumann), ehe er von den zwölf mit Gesichtsmasken und Kimonos gekleideten Chorsängerinnen und –sängern vor seinem Scheitern gewarnt wird. Die Frau, die er begehrt, ist in Stuttgart eine monumental aufgeblasene Sexpuppe ohne Gesicht, die die gesamte Bühnenbreite ausfüllt. Ihre riesigen Brüste fallen in sich zusammen, wenn der Mann auf ihnen herumklettert. Das Scheitern des Künstlers, das von Schönberg mit hämischen Einwürfen einer Blaskapelle kommentiert wird, entfaltet in Stuttgart so eine ironische Leichtigkeit, die der „Glücklichen Hand“ durchaus steht. Und gut überleitet zu Janacéks Oper „Osud“, die mit Walzerklängen beginnt.
Im heiteren Ambiente eines Kurorts, das die Kostümbildnerin Nina von Mechow librettogemäß Ende des 19. Jahrhundert ansiedelt, trifft der Komponist Zivny auf seine frühere Geliebte Míla, die ihn vor einigen Jahren auf Druck ihrer Mutter (bedrohlich: Rosalind Plowright) verlassen hat. Míla (lyrisch betörend: Rebecca von Lipinski) trifft sich mit Zivny in einer böhmischen Gartenwirtschaft bei Bier und Brathähnchen. Mitten in das Aufflackern der Liebe lässt Zivny (mit nie nachlassender Strahlkraft: John Graham-Hall) einen kräftigen Rülpser los – und deutet damit schon an, dass diese Beziehung schon bald in den Niederungen des Alltags endet.
Im kurzen zweiten Akt wird das Eheleben zur Hölle. Der Komponist leidet an einer Schaffenskrise, der fünfjährige Sohn Doubek (Vincent Frisch) sitzt im Laufstall, die wahnsinnig gewordene Mutter hinter dem Paravent – ehe sie sich gemeinsam mit ihrer Tochter zu Tode stürzt. So bleibt Zivnys Oper unvollendet, was er im dritten, elf Jahre später spielenden Akt gegenüber seinen Studenten rechtfertigen muss. In seinem großen Monolog mischen sich Fiktion und Realität. Die Repetitionen in den Trompeten sind wie Nadelstiche. Da packt Zivny seinen traumatisierten Sohn, der sich die Kleider der Mutter angezogen hat – und flieht von dieser Bühne.
Weitere Vorstellungen: 2./17./ 23.6.2012.
Georg Rudiger