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Kultur abschaffen: Unter Claudia Roth bricht das Bundeskulturministerium mit dem Koalitionsvertrag – welche Folgen hat das für die Freie Kulturszene? Ein Überblick.

Es rumort in der Kulturszene. Zurecht? Lassen Sie uns einen Blick auf die derzeitige Situation werfen. Am 17. Juli verkündete Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen den Bundeskulturetat 2025. Darin sieht die Bundesregierung insgesamt 2,2 Milliarden Euro für die Förderung der Kultur vor. Das ist, so feiert es die Pressemitteilung des Bundeskulturministeriums (BKM), sogar mehr als im Jahr 2024. Dazu Roth: „Mit dem Regierungsentwurf zum Kulturhaushalt 2025 erweist sich die Bundesregierung gerade in diesen herausfordernden Zeiten als verlässlicher Förderer unserer Kultur- und Medienlandschaft“ – ein verlässlicher Förderer? Das sehen zahlreiche Stimmen aus der Kulturszene anders. Denn, und das muss klar gesagt werden: Mehr Geld bedeutet nicht mehr sinnvolle Investitionen. Denn wenn wir eines in den vergangenen Jahren gelernt haben, dann, dass Politik extrem gut darin geworden ist, Unsinn in Gold verwandeln zu wollen.

Förderstopps und Rebellion
Warum die Szene nun rebelliert? Claudia Roth sieht für 2025 massive Kürzungen um beinahe 50 Prozent sowie einige komplette Förderstopps vor – und das trotz eines höheren Etats. Insgesamt sollen die Mittel der sechs Bundeskulturfonds 2025 so gut wie halbiert werden. Damit ständen den sechs Bundeskulturfonds – der Deutsche Literaturfonds, die Stiftung Kunstfonds, der Fonds Soziokultur, der Fonds Darstellende Künste, der Deutsche Übersetzerfonds und der Musikfonds – statt, wie in diesem Jahr 34,3 Millionen Euro, 2025 nur noch 18 Millionen Euro zur Verfügung. Bei den Bundeskulturfonds handelt es sich übrigens um autonome Fördereinrichtungen, getragen von bundesweiten Kunst- und Kulturverbänden, die von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziert werden. Sie sind in erster Linie Förderer der freien Kulturszene, dank der in den vergangenen Jahren tausende kulturelle Projekte gefördert werden konnten und in kleinen wie großen Städten ein buntes Kulturprogramm florieren durfte.
Eine Stellungnahme des Musikrats lässt Zahlen Wirklichkeit werden: Sollten die Vorhaben der Bundesregierung so umgesetzt werden, könnte der Musikfonds von 100 eingereichten Projekten, höchsten 10 Projekte fördern. Prof. Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrates und Vorsitzender des Musikfonds, bezieht Stellung: „Die anvisierten, drastischen Kürzungen der finanziellen Mittel gefährden die erfolgreiche Arbeit der Bundeskulturfonds. Gerade nach der herausfordernden Corona-Zeit waren und sind diese Fonds mit ihrer wirkungsvollen Förderpraxis ein kraftvoller Motor für die unabhängigen Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst und Kultur. Die Kürzungsvorhaben drohen nun, das fragile Musikökosystem in Deutschland in Bedrängnis zu bringen – mit Auswirkungen auf die freien Künstler:innen, Ensembles, Kulturinstitutionen und deren Publikum“. Gregor Hotz, Geschäftsführer des Musikfonds, spricht von einem „Frontalangriff auf die freie Szene“. Allein der Kunstfonds wird 2025 zwei von vier Förderprogrammen ersatzlos streichen müssen, der Fonds Darstellende Künste drei von sechs.

Im Namen des Koalitionsvertrages?
In der Mitteilung des BKMs zum Kulturhaushalt 2025 äußert sich Claudia Roth: „Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen können wir die kulturpolitischen Ziele des Koalitionsvertrages weiter voranbringen“ – aber ist das wirklich so? Ein Blick in den aktuellen Koalitionsvertrag hilft weiter. Hier hat die derzeitige Bundesregierung ihre Vorhaben wie folgt zusammengefasst: „Die Kulturstiftung des Bundes und die Bundeskulturfonds sollen als „Innovationstreiber“ ausgebaut, Strukturen der freien Szene gestärkt werden. Die Koalition hat auch die Kultur im ländlichen Raum und in strukturschwachen Regionen im Blick.“ Tatsächlich ist die öffentliche Kulturförderung seit 2010 insgesamt um mehr als 55 Prozent angestiegen, auch, weil spätestens seit der Pandemie die Strukturen der Kulturszene deutlich wurden. Freie Kulturschaffende haben kein institutionelles Netz, das sie bei Krankheit oder Ausfall auffängt. Sub- und soziokulturelle Zentren schaffen kulturelle Netze in einer Region: Sie öffnen Räume zur Verständigung, sie stellen Fragen, die nicht immer bequem sind, und äußern Kritik, wo sie notwendig ist. Sie fördern aktiv eine junge und freie Szene: Ensembles, Musiker:innen, Tänzer:innen, Schauspieler:innen, Schriftsteller:innen. Dieses Netz, das sich in den vergangenen Jahren durch die Förderung der sechs Bundeskulturfonds weiter festigen konnte, droht nun zusammenzubrechen, und damit, liebe Frau Roth, ist man dem Koalitionsvertrag gewiss nicht gerecht geworden. Darüber hinaus sollen auch alle Zuschüsse für das Bündnis Internationaler Produktionshäuser gestrichen werden, womit die Arbeit von insgesamt sieben Ankereinrichtungen der Freien Darstellenden Kunstszene in Deutschland maßgeblich geschwächt wird. Weniger Geld soll außerdem für kulturelle Bildung, Digitalisierung, Unterstützung von geflüchteten Künstler:innen und Aufarbeitung des Kolonialismus ausgegeben werden. Damit setzt das BKM eine alarmierende, thematische Trendwende ein, die dem vermeintlichen Zeitgeist populistischer Kräfte hinterherrennt, anstatt ihm mit kluger und vorausschauender Politik entgegenzuwirken.

Geld, das die Strukturen zerschlägt
Im Gegensatz zu anderen Bundeshaushalten hält der Kulturetat den Kürzungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) stand. Er erweitert ihn sogar um 50 Millionen Euro. Aber wo fließen diese hin? Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird etwa 17 Millionen Euro mehr erhalten, die Deutsche Welle sogar 25 Millionen Euro und der Kulturhauptstadt Chemnitz soll insgesamt 25 Millionen Euro, davon 10 Millionen im kommenden Jahr, zur Verfügung gestellt werden. Besonders wolle man nun auch die Filmbranche mit 11,3 Millionen, insgesamt sogar 18 Millionen, mehr fördern und Deutschland mit einem steuerbasierten Zulagensystem konkurrenzfähiger und attraktiver für große Filmproduktionen aus dem Ausland machen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Eine Stärkung der deutschen Filmbranche ist mit Sicherheit wichtig und richtig. Dass diese Förderung seitens des BKMs aber als Argument genommen wird, um die Strukturen der freien Szene zu zerschlagen und aktiv mit dem Koalitionsvertrag zu brechen, ist weder sinnvoll noch nachzuvollziehen. Eines muss uns klar sein: Die Strukturen der freien Kulturszene sind fragil. Es hat viele Jahre benötigt, um ein kontinuierliches Fördernetz auszubauen, das es jungen und freien Kunstschaffenden ermöglicht, ihrer Arbeit nachzugehen und innovative Projekte aktiv zu unterstützen. Dies nun zu zerschlagen, kann im schlimmsten Fall irreparable Konsequenzen haben. Um es passend zum Kafka-Jahr zu sagen: Eine wahrlich kafkaeske Zeitenwende.

Bildquellen

  • Ampel Symbolbild: Foto: Alice B/pexels