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Künstlerinnen im Fokus: Ein Jahr im Zeichen der Frauen im Bucerius Kunst Forum Hamburg

Gabriele Münter: „Kleines Mädchen auf einer
Straße, St. Louis“, 1900
© Gabriele Münter- und Johannes EichnerStiftung, München © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Das Jahr 2023 steht im Bucerius Kunst Forum in Hamburg ganz im Zeichen der Frauen – mit Werken der Malerin Gabriele Münter oder der Fotografin Lee Miller. „An diesen Projekten habe ich schon lange gearbeitet“, sagt die Direktorin Kathrin Baumstark. Sie findet es wichtig, Künstlerinnen in den Fokus zu rücken. Frauen seien im 21. Jahrhundert immer noch in Ausstellungen unterrepräsentiert, fährt sie fort. Für ihre Kunst müsse weniger gezahlt werden als für jene ihrer männlichen Kollegen. Ein Beispiel: Ein Münter-Gemälde erbrachte kürzlich bei einer Auktion 1,4 Millionen Pfund, ein Kandinsky kostet das 33-Fache: „Das sagt aber überhaupt nichts über die Qualität der Gabriele-Münter-Werke aus.“
Den Beweis dafür liefert bis zum 21. Mai die rund 80 Exponate umfassende Schau „Gabriele Münter. Menschenbilder“. Die 1877 in Berlin geborene Malerin gilt neben Paula Modersohn-Becker als bekannteste Vertreterin des deutschen Expressionismus, hat sich aber im Grunde nie auf einen einzigen Stil festgelegt. Vor allem probierte sie ganz unterschiedliche Techniken aus – von der Fotografie über Zeichnungen bis zu Grafiken. „Wir wollten keine Retrospektive machen“, erläutert Kathrin Baumstark, „sondern konzentrieren uns auf die Porträts.“ Gerade diese Werke veranschaulichen Gabriele Münters Experimentierfreude, sie sind farbintensiv, in ihnen spiegelt sich das Zeichentalent der Malerin wider. Sie soll wirklich als eigenständige Künstlerin im Mittelpunkt stehen – unabhängig von ihrer Biografie. Denn in der Vergangenheit wurde sie oft nur als Muse ihres einstigen Lebensgefährten Wassily Kandinsky wahrgenommen. Dabei sei sie in ihren eigenen Werken stark und groß gewesen, stellt Kathrin Baumstark klar. Außerdem habe sie mit Wassily Kandinsky und Franz Marc den Blauen Reiter gegründet: „Ihr Name wird bei den Gründungsmitgliedern aber immer unterschlagen.“ Zu Unrecht, versichert die Kunsthistorikerin. Gabriele Münter habe beim Blauen Reiter unter anderem die Hinterglasmalerei eingebracht.
Obwohl auch eine ihrer Hinterglasmalerei-Arbeiten in Hamburg zu sehen ist, dürfte eher ein großes Gemälde der Publikumsliebling werden: „Bildnis Marianne von Werefkin“ von 1909. Wer es betrachtet, sieht nicht einfach das Antlitz der russischen Malerin, sondern eine selbstbewusste Frau. Normalerweise ist dieses Bild in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München beheimatet. „Dort hat es den Status der Mona Lisa“, erzählt Kathrin Baumstark schmunzelnd. Nun hängt es ganz allein an einer ultramarinblau getünchten Wand, dadurch wird die Leuchtkraft der Farben noch einmal intensiviert.

Gabriele Münter: „Bildnis Marianne von Werefkin“, 1909
© Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Es fällt auf, dass es überhaupt keine weißen Wände in der Ausstellung gibt – einige wurden in Anthrazit gestrichen, andere in Blau. Die Exponate brauchen einfach einen dunklen Hintergrund, so sieht es zumindest die Kuratorin Kathrin Baumstark. Was ihr ebenfalls wichtig ist: eine offene Architektur. Wenn man vor den vier Selbstporträts der Künstlerin steht, die die Schau eröffnen, kann man den Blick gefühlt bis zum Ende der Ausstellung schweifen lassen, nein, besser: Der Blick springt automatisch wie eine Flipperkugel hin und her. Gleichwohl sollten Kunstbegeisterte natürlich jeden Winkel gewissenhaft abschreiten, damit ihnen keine Details verborgen bleiben. Etwa bei Gabriele Münters allererstem Holzschnitt „Weiblicher Kopf“. Er stammt zwar von 1902, könnte aber ebenso gut das Plattencover einer Dark-Wave-Band aus den Achtzigerjahren zieren. Wie akribisch Gabriele Münter die Mund- und Augenpartie herausgearbeitet hat, lässt einen staunen. In unmittelbare Nähe zu diesem Werk finden sich Linolschnitte, die Wassily Kandinsky abbilden. Bei ihnen bleibt der Hintergrund sehr abstrakt. Dadurch tritt der Maler als Person noch stärker in den Vordergrund.

All das liefert für Kathrin Baumstark den Beweis dafür, dass sich Gabriele Münter nicht allein auf ihre weibliche Intuition verlassen hat, sondern als Künstlerin stets sehr strukturiert vorgegangen ist. Bei ihrem Bild „Mutter mit schlafendem Kind“ von 1934, das Ruhe ausstrahlt, setzte sie bewusst Umrisslinien ein. „Röschen“ von 1926 verschreibt sich der Neuen Sachlichkeit: Eine schwarz gekleidete Frau hat eine kleine Katze auf der Schulter. Ihre Augen sind genauso intensiv blau wie die des Tieres. Allein diese beiden Arbeiten strafen all jene Lügen, die behaupten, Gabriele Münter wäre nach ihrer Trennung von Wassily Kandinsky als Kreative in der Bedeutungslosigkeit versunken.
Solchen Unterstellungen sind besonders Frauen ausgesetzt. Darum will Kathrin Baumstark deren künstlerische Einzigartigkeit hervorheben. Weil die Kunsthistorikerin auch Lee Miller für ein Ausnahmetalent hält, widmet das Bucerius Kunst Forum der Amerikanerin, geboren 1907, als erste Fotografin mit „Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour“ vom 10. Juni bis 24. September eine monothematische Ausstellung. Ihre Lebensgeschichte bewegt sich zwischen den Extremen. Als sie in New York in ein Auto zu laufen drohte, rettete sie der Verleger Condé-Nast und gab ihr danach direkt einen Modelvertrag für Vogue. Da Lee Miller von der Kunstszene, besonders vom Surrealismus, fasziniert war, wurde sie später Man Rays Assistentin, sie war eine Weile mit dem Künstler liiert. Bis sie ihn schließlich verließ.

Lee Miller: „Nude bent forward [thought to be Noma Rathner]“, Paris, 1930
© Lee Miller Archives England 2022

Während des Zweiten Weltkriegs war Lee Miller als eine der wenigen Frauen als Kriegsberichterstatterin tätig. Berühmt wurde ein Foto von ihr, das sie selbst in Hitlers Badewanne zeigt. Ihr Kollege David Scherman machte es am 30. April 1945. Wie das möglich war? Ein alter Mann brachte die beiden Amerikaner in Hitlers Wohnung, Lee Miller zog ihre Soldatenuniform aus und nahm ein Bad. So entstand ein Bild, das bis heute auf einen historischen Moment verweist: Hitler ist nicht mehr da.
Selbstredend wird es unter den rund 150 Aufnahmen aus der Zeit von 1929 bis 1951 sein, die in Hamburg gezeigt werden. Neben Fotos, mit denen Lee Miller die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau dokumentierte. „Sie kehrte traumatisiert aus dem Krieg zurück“, berichtet Kathrin Baumstark. In der Konsequenz änderte die Fotografin ihr Leben drastisch. Sie zog mit ihrem zweiten Mann, dem Künstler Roland Penrose, nach Sussex in England und entdeckte dort eine neue Leidenschaft: das Kochen. Fortan schrieb sie Kochbücher.
Lee Millers Geschichte fasziniert nun sogar die Filmwelt. 2023 soll der Biopic „Lee“ ins Kino kommen – mit Kate Winslet in der Hauptrolle. Von diesem Projekt berichtet Kathrin Baumstark durchaus mit Begeisterung, eins stört sie allerdings: „Filme, die von Künstlerinnen oder Malerinnen handeln, haben immer nur die Vornamen im Titel. Bei Männern sind es grundsätzlich die Nachnamen.“
Mit der Gleichberechtigung hapert es eben nach wie vor. Früher hatten Frauen aber noch viel mehr zu kämpfen, das belegt vom 14. Oktober bis 28. Januar 2024 die Ausstellung „Geniale Frauen. Malerei vom 16. bis 18. Jahrhundert“. Sie zeichnet den Werdegang von Künstlerinnen aus drei Jahrhunderten nach. „Sie kamen alle aus einem künstlerischen Umfeld“, sagt Kathrin Baumstark. La Tintoretta zum Beispiel war die Tochter des Malers Tintoretto. Man geht inzwischen davon aus, dass einige Werke, die ihr Vater erschaffen haben soll, eigentlich von ihr stammen.
Judith Leysters Karriere wiederum geriet ins Stocken, als sie 1636 ihren Malerkollegen Jan Miense Molenaer heiratete. Aus der Zeit nach ihrer Hochzeit sind wenige Werke von ihr bekannt, dabei galt die Niederländerin zuvor als eine der wenigen Malerinnen des Goldenen Zeitalters. Offenbar kümmerte sie sich als Ehefrau primär um ihre Familie und half wohl nur noch im Atelier ihres Mannes aus. Es heißt, das Paar habe wechselseitig an Bildern gearbeitet – das erschwert natürlich die Zuordnung eines Werks. Jedenfalls geriet Judith Leyster lange Zeit in Vergessenheit, einige ihrer Bilder wurden sogar fälschlicherweise Frans Hals zugeordnet. Vielleicht tragen solche Erkenntnisse wenigstens heute dazu bei, Künstlerinnen wie sie endlich aus ihrem Schattendasein herauszuholen. Verdient hätten sie es gewiss.

Weitere Infos: www.buceriuskunstforum.de

Bildquellen

  • Gabriele Münter: „Kleines Mädchen auf einer Straße, St. Louis“, 1900 © Gabriele Münter- und Johannes EichnerStiftung, München: © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
  • Gabriele Münter: „Bildnis Marianne von Werefkin“, 1909 © Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957: © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
  • Lee Miller: „Nude bent forward [thought to be Noma Rathner]“, Paris, 1930: © Lee Miller Archives England 2022
  • Lee Miller: „Fire masks“, London, 1941: © Lee Miller Archives England 2022