Nachhaltig

Kriminelle Energie: Umweltthemen und Feminismus zusammen denken? Das geht. Und ist oft bitter nötig. In Freiburg gibt es im November eine gute Gelegenheit, das hautnah zu erleben.

Was hat ein Energiekonzern, was hat eine Hochrisiko-Technologie mit dem Avignon-Vergewaltigungs-Prozess zu tun, der gerade in der gesamten internationalen Presse Aufsehen erregt? Jahrelang mischte ihr Ex-Mann K.O.-Medikamente in das Getränk von Gisèle Pélicot. Mit dieser heimtückisch erzwungenen ‚Soumission Chimique, sprich:chemischen Unterwerfung, konnte er sie in einem Forum namens „Gegen ihren Willen“ zur Vergewaltigung anbieten. 84 Täter, 84 Männer. Die Identifizierten leben allesamt im 20 km Umkreis des Tatorts. Nur durch einen Zufall kam alles raus und dem Gericht stehen nun hunderte Beweisvideos zur Verfügung, die zeigen, dass Männer aus allen sozialen Schichten und jeglichen Alters die wehrlose Frau vergewaltigten.

Die Scham muss die Seite wechseln
Gisèle Pélicot gehört zu den wenigen Ausnahmen, bei denen ein wehrloses Opfer aufsteht, beachtliche Kräfte entwickelt und sich mit hoch erhobenem Haupt aus der Opferrolle befreit. Ihre Devise „Die Scham muss die Seite wechseln“ zeigt Wirkung, sowohl weltweit als auch vor Gericht. Die Täter verstecken Ihre Gesichter, während die mutige Frau darauf besteht, dass der Prozess und die Beweisvideos öffentlich sind und so die Täter für jeden und jede sichtbar sind.
Ohne Frage, die aufrechte Gisèle Pélicot ist eine Vorkämpferin, doch sie ist nicht ganz allein. Vor wenigen Jahren befreite sich auch Maureen Kearney aus ihrer Opferrolle, nachdem ihr übelste sexualisierte Gewalt angetan wurde. In ihrem Fall wurde sie vorsätzlich gequält, um sie zum Schweigen zu bringen. Die mutige Whistleblowerin wollte 2012 einen Skandal in der Atomwirtschaft ans Licht bringen. Mit Methoden brutalster sexualisierter Gewalt, die man sonst nur von der Mafia kennt, sollte die Vereitelung milliardenschwerer Deals in der Schlüsselindustrie der Grande Nation verhindert werden. Selten war der Begriff ‚Atom-Mafia‘ passender als bei dieser Staatsaffäre.
Bis in die höchsten Sphären der Macht von Politik, Wirtschaft, Justiz und Polizei verbündeten sich die Mächtigen und kuschten die Befehlsempfänger, um eine scheinbar unumstößliche Wand des Schweigens gegen die Gewerkschafterin Maureen Kearney aufzubauen. Auf diese Weise wollten die Strippenzieher und Profiteure eines Atom-Deals mit dem totalitären „Reich der Mitte“ ungestört ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Die Gewerkschafterin befürchtete, dass das französische Nuklear-Know-how ausgerechnet an die für Technologieraub bekannten Chinesen verramscht wird, dass der Stolz der Nation, der Reaktorbau-Konzern Areva, zerschlagen wird und Tausende ihren Job verlieren. Sie behielt recht, genau so ist es gekommen. Für ihre Geschäftemachereien – egal mit welchem Schurkenstaat – hinterließen die Atommanager eine Schneise der Verwüstung. Mit Ansagen: „Wir werden französisch-chinesische Reaktoren bauen. Aber wir werden auch französisch-russische Reaktoren bauen“, polterte seinerzeit EdF-Chef Henry Proglio. Inzwischen machen zwei Staaten das darbende Reaktorbaugeschäft unter sich aus: China baut zu Hause, Russland baut im Ausland.
Und so schlug man eine weitere Scharte ins Kerbholz der durch Skandale geprägten Atombranche: Fälschungsskandal in Creusot, Vertuschungen in Fessenheim, Großkomponenten-Fehlschmieden aus Frankreich, Japan und Korea; Rosatom-Kriegsverbrechen und illegale russische Werks-Ansiedlung in Lingen (Emsland), Transnuklearskandal… um nur einige zu nennen. Der Fall der Gewerkschafterin Maureen Kearney unterscheidet sich insofern von dem der Gisèle Pélicot, da bei letzterer hunderte von Videobeweisen glasklar belegten, welche Rolle die Beteiligten bei diesem widerwärtigen, minutiös geplanten Komplott spielten. Im Gegensatz dazu verschwanden im Prozess von Maureen Kearney Beweise, Spuren wurden nicht weiterverfolgt und es gelang, das Opfer so weit zu verunsichern, dass schließlich eine hundsgemeine Täter-Opfer-Umkehr inszeniert wurde, bei der Politik, Wirtschaft, Polizei und Justiz unter einer Decke steckten.

Ungereimtheiten machten eine Journalistin stutzig
Es war eine Frau, mit deren Hilfe die Whistleblowerin das Blatt wenden konnte. Die Investigativ-Journalistin Caroline Michel-Aguirre vom Nachrichtenmagazin ‚Nouvel Observateur‘ wurde angesichts diverser Ungereimtheiten stutzig. Sie fing selbst an, nachzuforschen und immer tiefer zu graben. Dabei stieß sie auf einen Fall, der auf allen Ebenen frappierende Ähnlichkeiten mit dem Fall der Areva-Gewerkschafterin hatte: Die perfiden Details, wie die Opfer gequält und verletzt wurden, die erschreckend genaue Kenntnis von den Lebensumständen der Opfer, die es dem Täter erlaubten, ungesehen und ungehört in die privaten Räume einzudringen. Und der Umstand, dass beide Opfer in einem Whistleblower-Kontext standen, der den Chef des jeweiligen Konzerns in Bedrängnis brachte. Dieser Chef war in beiden Fällen – da er den Chefsessel gewechselt hatte – Henry Proglio. Die Spuren führten in beiden Fällen zu Proglios Mann fürs Grobe: Alexandre Djouhri. Die Journalistin machte die Namen öffentlich, die Gewerkschafterin schöpfte neuen Mut, nahm sich einen engagierteren Verteidiger und ließ die Kollaborateure entlang der gesamten staatlichen Hierarchie-Kaskade verdammt alt aussehen. Die Scham muss die Seite wechseln.
Caroline Michel-Aguirre schrieb die Ergebnisse ihrer intensiven Recherchen in einem Buch auf. Es wurde ein Bestseller in Frankreich. Ein deutscher Verlag hat nun die Übersetzungsrechte erworben. Das Buch diente als Vorlage für den gleichnamigen Kinofilm „Die Gewerkschafterin“, den es bereits in deutscher Übersetzung gibt.
Im Rahmen der internationalen Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ zeigt das Kommunale Kino am 29. November 2024, 19:30 Uhr, in Kooperation mit der Frauenbeauftragten der Stadt Freiburg und den Elektrizitätswerken Schönau den Film „Die Gewerkschafterin“, mit der französischen Schauspiel-Ikone Isabelle Huppert in der Hauptrolle. Die eigentlichen Hauptrollen werden an diesem Abend allerdings die Gewerkschafterin Maureen Kearny selbst sowie die Investigativ-Journalistin Caroline Michel-Aguirre spielen, die beide aus Paris anreisen, um im Anschluss an die Filmvorführung bei einem Gespräch tiefere Einblicke in diese ungeheuerliche Staatsaffäre zu geben.

Kartenvorbestellung: 0761 459800-22 oder www.koki-freiburg.de

Bildquellen

  • Caroline Michel-Aguirre und Maureen Kearney – nach der Vorpremiere des Films ‚La Syndicaliste‘ im Februar 2023 in Paris: © Marc Ausset Lacroix