Koksender Graf trifft offenherzige Gräfin
Eine charmante, konventionelle Produktion von „Le Nozze di Figaro“ an der Straßburger Oper
Sexuelle Übergriffe im Berufsleben gibt es nicht erst seit der Affäre um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein. In Mozarts Oper „Le Nozze di Figaro“ werden die Kammerzofe Susanna und die Gärtnerstochter Barbarina von ihrem Vorgesetzten, dem Grafen Almaviva, bedrängt.
Dabei hatte dieser Graf auf das zumindest literarisch überlieferte „Ius primae noctis“, das Recht eines Adligen auf die erste Nacht mit einer frisch verheirateten Braut, gerade erst verzichtet. Dass der Page Cherubino ebenfalls alles betatscht, was bei Drei nicht auf den Bäumen ist, fällt da eher unter den Bereich „Jugend forscht“.
An der Straßburger Opéra national du Rhin grapscht Davide Luciano in der Rolle des Grafen schon bei der ersten Begegnung in Susannas Dekolleté, als er ihr für ein Foto eine Perlenkette umlegt und sie in erotischer Pose drapiert. Aber Susanna lässt sich das durchaus gefallen und fühlt sich auch ein wenig geschmeichelt: Der glockenhelle, fein konturierte Sopran von Lauryna Bendziunaite bleibt ungetrübt.
Regisseur Ludovic Lagarde lässt der „Commedia per musica“ ihre Leichtigkeit. Mozart möchte Situationen eher beschreiben als werten und zeigt seine Protagonisten vielschichtig. Die Adelskritik kommt nicht mit dem Holzhammer daher. Die Verletzungen der Figuren finden sich beim genauen Hinhören aber doch in der Musik wieder, wenn sich für einen kurzen Moment die heitere Stimmung eintrübt oder das hohe Tempo angehalten wird.
Trotzdem braucht es ein wenig, bis der handwerklich sauber gearbeitete Abend auf Touren kommt. Auf der fantasielosen Bühne von Antoine Vasseur mit den geschwungenen Raumteilern bleibt die komplexe Beziehungsgeschichte zunächst harmlos. Das Orchestre symphonique de Mulhouse hält unter seinem Chefdirigenten Patrick Davin die Balance zwischen genau ausgearbeiteten Details und der Entwicklung von großen Spannungsbögen.
Gerade in den grandios komponierten, sich steigernden Ensembles, die die dazukommenden Personen mühelos integrieren, entwickelt das Orchester eine große Sogwirkung. Auch szenisch wird der Abend dichter und schlüssiger. Den Grafen Almaviva sieht der Regisseur als Modezar mit Seidenmantel und Sneakers (Kostüme: Marie La Rocca), der auch mal auf dem Bett kokst und sich das kurzberockte Model aufs Zimmer bestellt, wenn er seine neueste Kreation anschauen möchte. Dass diese Frau, der er grob Lippenstift ins Gesicht schmiert, zum Schlussbild die Idylle stört, weckt in ihm vielleicht doch noch ein schlechtes Gewissen.
Davide Luciano ist mit seinem markanten, aber nie polternden Bassbariton ein Macho mit Charme. Andreas Wolfs Figaro bricht nur in der Höhe ein wenig ein – ansonsten kann er seinem Chef durchaus auch in Sachen Selbstbewusstsein und Ausstrahlung das Wasser reichen. Vannina Santoni gibt eine offenherzige Gräfin, die mit ihrem tragfähigen, zur Schärfe neigenden Sopran eine besondere Farbe ins Ensemble bringt.
Auch bei den kleinen Rollen ist Charakteristik mehr gefragt als reine Klangschönheit: Gilles Ragon als skurrile Gouvernante Don Basilio, Arnaud Richard als kauziger Bartolo oder Marie-Ange Todorovitch in der Rolle der hysterischen alten Dame Marcellina. Neben Anais Yvoz (Barbarina) gefällt vor allem Catherine Trottmanns flatternd-sinnlicher Cherubino, dessen direkte Emotionalität den Personenreigen immer wieder belebt.
Im vierten Akt öffnet sich die Bühne und eine Schneekanone sorgt für weißen Glitzer. Die Nachtszene im Garten mit dem Verwechslungs-Showdown wird präzise ausgespielt. Eine zündende Gesamtidee fehlt aber diesem „Figaro“.
Nach der sperrigen Eröffnung mit Philippe Manourys Atomkatastrophen-Oper „Kein Licht“ setzt die Straßburger Oper unter ihrer neuen Intendantin Eva Kleinitz mit dieser Produktion auf Charme und Konvention. Das Publikum dankt es ihr mit kräftigem Beifall.
Georg Rudiger
Weitere Vorstellungen: Mulhouse/Filature: 10./12. November 2017. Tickets: www.operanationaldurhin.eu
Vielen Dank, toller Beitrag