Klimawandel erfordert fundamentalen Umbau der Automobilindustrie: Im Gespräch mit: Klaus Mertens, Fachreferent der IG-Metall und wissenschaftlicher Berater des Betriebsrats der ZF Friedrichshafen AG
Unter dem Titel „Fairwandel der Automobilindustrie“ organisieren der DGB Stadtverband Freiburg und die Umweltorganisation „Parents for Future“ Freiburg am 14. März 2025 eine gemeinsame Veranstaltung im DGB-Haus. Eingeladen ist als Fachreferent der IG-Metaller Klaus Mertens, wissenschaftlicher Berater des Betriebsrats der ZF Friedrichshafen AG, dem drittgrößten Automobilzulieferer weltweit. Erich Krieger befragte Klaus Mertens im Vorfeld.
Kultur Joker: Eine notwendige Transformation der Automobilindustrie wird vielfach diskutiert. Überwiegend geht es dabei um technische Innovationen etwa im IT-Bereich, betriebswirtschaftliche Rationalisierung meist verbunden mit Entlassungen und den Ruf nach staatlichen Subventionen. Warum fordern Sie stattdessen in Ihren zahlreichen Publikationen einen sozial-ökologischen Umbau dieser wichtigen Schlüsselindustrie?
Klaus Mertens: Die Transformation der Automobilindustrie wird ja nicht durch eine wirtschaftliche Schieflage erzwungen, sondern durch den Klimawandel einerseits und einer zunehmenden Ressourcenknappheit andererseits. Darauf muss die Automobilindustrie Antworten finden und die Mobilität der Menschen muss sich weltweit verändern. Auch weil immer mehr Menschen in großen Städten leben, in denen PKW-Mobilität mehr Probleme schafft als sie
löst. Also gilt es nachhaltige Mobilitätskonzepte für Stadt und Land zu entwickeln, um daraus dann mit den richtigen Produkten industrielle Antworten geben zu können. Das reicht von einer heimischen Fahrradindustrie über einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsindustrie mit entsprechenden Fahrzeugen bis hin zu einer beschleunigten Elektrifizierung der PKWs.
Kultur Joker: Die Gewerkschaftsbewegung hielt sich lange Zeit ziemlich bedeckt in Bezug auf Klimawandel und Umweltschutz. Was hat sich daran geändert und warum?
Klaus Mertens: Das hat damit zu tun, dass Klimawandel und Umweltschutz im industriellen Umfeld in den 70er- und 80er Jahren eher einer Frage der Verringerung von Emissionen gewesen ist, was ja sehr erfolgreich geschehen ist. Und erst in neuerer Zeit ist der Zusammenhang von industrieller Produktion und Nachhaltigkeit voll zum Tragen gekommen, eben weil Nachhaltigkeit nicht länger ein nice-to-have ist, sondern ein Erfolgs- und Kostenfaktor.
Das haben viele Unternehmen in Deutschland schlicht verschlafen und deshalb geraten hier Arbeitsplätze unter Druck. Diese Zusammenhänge hat die IG Metall allerdings schon 2009 in der Finanzkrise herausgearbeitet und entsprechende Forderungen aufgestellt.
Aktuell fordert die IG Metall ein 600Mrd-Investitionsprogramm und hat erst letztens eine 11-Punkte umfassende industriepolitische Strategie vorgelegt mit der die beschleunigte Orientierung auf Nachhaltigkeit zu einem Wettbewerbsvorteil der deutschen Industrie wird. Das folgt auch der bitteren Erkenntniss, dass die deutsche Industrie viele andere Wettbewerbsvorteile verspielt hat.
Kultur Joker: Was sind Eckpfeiler und Schwerpunkte einer sozial-ökologischen Gewerkschaftspolitik im Hinblick auf einen Perspektivwechsel in der Automobilindustrie?
Klaus Mertens: Sozial-ökologische Gewerkschaftsarbeit hat meiner Ansicht nach drei Handlungsfelder. Da ist zunächst die betriebliche Ebene, auf der die Mitbestimmung in Wirtschaftsausschüssen und Aufsichtsräten in zumeist sehr bescheidenem Rahmen an der Zukunftsfähigkeit der Unternehmen mitwirkt. Hier liegt es an uns, die Diskussion über den engen betriebswirtschaftlichen Rahmen hinaus auf Innovation und Zukunftsfähigkeit zu lenken. Denn ein gutes Ergebnis in Quartal 1, muss nicht heißen, dass es in Quartal 2 so bleibt. Und leider hat sich finanzgetriebenes, kurzfristiges Denken in den Unternehmen sehr breit gemacht, so dass strategische Kompetenz oft ins Hintertreffen gerät. Und da ist schon gut, wenn Gewerkschafter*innen mit am Tisch sitzen.
Die zweite Ebene ist die gesamte Branche, in der sozial-ökologische Themen über die Tarifverträge Eingang finden können. Da kann es beispielsweise um Arbeitszeitreduzierungen und Qualifizierungsmaßnahmen gehen. Tarifverträge sind eben viel mehr als nur Verabredungen zur Lohnsteigerung.
Die dritte Ebene ist dann die Politik, wo wie sich Gewerkschaften als Stakeholder der Beschäftigten mit ihren Interventionen für nachhaltige Beschäftigungssicherung, gute Arbeit in einer klimagerechten Welt einsetzen.
Kultur Joker: In der Schweiz forderten jüngst die Dachorganisation Klimastreik und die zuständigen Gewerkschaften gemeinsam die Abwendung von Massenentlassungen von bis zu 800 Beschäftigten im Stahlwerk Steeltec in Emmenbrücke und im Interesse einer nachhaltigen Stahlproduktion die Vergesellschaftung des Werks. Können Sie sich ähnliches auch hier im Bereich der Automobilindustrie vorstellen?
Klaus Mertens: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. So hat die IG Metall zusammen mit dem BUND (Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschlands) ein gemeinsames Papier zum Mobilitätssektor 2030 vorgelegt, in München haben Fridays For Future und IGM-Betriebsrat gemeinsam für die Standorterhaltung eines Zuliefererwerks gekämpft und wir arbeiten beispielsweise im Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende eng mit Umweltschutz- und Sozialverbänden zusammen. Das sind nur einige Beispiele für die vielfältige Zusammenarbeit von IG Metall und Umwelt-, wie Sozialverbänden!
Kultur Joker: Wie und in welchen Bereichen können und sollten Gewerkschaften und Umweltbewegung künftig zusammenarbeiten?
Klaus Mertens: Ich denke, dass wir in den nächsten Jahren eine intensive Debatte dazu führen müssen,
welche Produkte wir für eine sozial- und klimagerechte Energie- und Mobilitätswende brauchen und wie wir die mit der in den Fabriken des Landes ja schon bestehenden Infrastruktur aus Maschinen und Anlagen herstellen können. Und dazu braucht es Ideen und Kreativität, die – meiner Ansicht nach – aus dem Austausch über Branchen hinweg und zwischen Industrie und Zivilgesellschaft entstehen können.
Das würde ich mir zumindest sehr wünschen, dass das gute Leben und gute Arbeit in einem demokratischen und friedlichen Prozess gestaltet wird und nicht disruptiv, wie das derzeit von Libertären und Rechtsextremen weltweit getrieben wird!
Kultur Joker: Herr Mertens, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Veranstaltung „Fairwandel der Automobilindustrie“ am 14. März, 19 Uhr, Gewerkschaftshaus Friedrichstraße 41-43.
Bildquellen
- Wie kann die Automobilindustrie den nachhaltigen Wandel meistern?: © freepik/ usertrmk