Kleiner Grenzverkehr
Die große Landesausstellung „Liebe Deinen Nachbarn“
geht im Augustinermuseum Beziehungsgeschichten im Dreiländereck nach
„Liebe Deinen Nachbarn“ – der Ausstellungstitel der Beziehungsgeschichten im Dreiländereck klingt als seien zehn Gebote nicht genug, gerade für das Zusammenleben im Grenzgebiet. Es ist eine neuralgische Geschichte, die das Haus der Geschichte Baden-Württemberg im Augustinermuseum Freiburg erzählt. Und vor allem jedoch eine wechselvolle Historie, die durch neue und immer andere Allianzen geprägt wurde.
Die Große Landesausstellung 2012 nähert sich dem Thema der Grenzbeziehung mehr durch Geschichten als durch Geschichte und wählt auch keinen chronologischen Zugang. Gut möglich, dass die Ausstellung, wäre sie vor Ort, also in unmittelbarer Nähe der Grenze, konzipiert worden, andere und auch aktuellere Beispiele gewählt hätte. Der Streit um Kapitalflucht und arbeitende Deutsche in der Schweiz etwa, wird nicht erwähnt.
Ein erstes größeres Kapitel ist so den Ferien vom Krieg gewidmet, die viele Schweizer Familien französischen Kindern während des Zweiten Weltkrieges und später auch deutschen Kindern zukommen ließen.
Die Vitrinen mit viel selbst gemachten Souvenirs und Geschenken berichten von einer großen Sehnsucht nach Normalität inmitten des Krieges von Seiten der Jungen und Mädchen und einer großen Nähe zwischen Gastfamilie und den Kindern. Da ermahnt eine Gastmutter ja nicht in der Schule nachzulassen, viele Briefe und viel Herzlichkeit haben die Grenzen überwunden. „Liebe Deinen Nachbarn“ zeigt aber auch auf der politischen Ebene, dass Heiraten Stabilität zwischen Ländern versprach. So ist eines der Exponate der Themenschau der Hochzeitsmantel von Stéphanie de Beauharnais, eine Adoptivtochter von Napoleon, die 1805 Erzherzog Karl von Baden heiratete. Später stiftete sie das Prunkstück der bei Baden-Baden gelegenen Abtei Lichtenthal als Gewand für die Liturgie.
Es sind viele Anekdoten, die die Ausstellung zu berichten weiß. Eine kleinteilige Ausstellungsarchitektur, die mit vielen Schrägen und auch einer eigenen Typo arbeitet – es sind Buchstaben aus Wäscheleine gestickt – trägt dies Rechnung. Und vieles davon ist weitgehend unbekannt. Wer weiß denn noch, dass Georg Herwegh dank seiner revolutionären Ansichten in Baselland eingebürgert wurde und auch in Liestal begraben wurde. Oder dass der Basler Denkmalpfleger Rudolf Riggenbach 80.000 Dachziegel organisierte, um das durch den Luftdruck beim Bombenangriff 1944 abgedeckte Dach des Münsters wieder herzustellen.
Im Vergleich zu Frankreich mag das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland überhaupt glücklicher verlaufen sein. Mag es daran liegen, dass die Schweiz nicht eine derartige hegemoniale Rolle einnahm, mag sein, dass die gemeinsame Sprache doch eine andere Verbindung schuf.
Die Beziehungen zwischen Süddeutschland und dem Elsass sind da stärker in die Machtpolitik des 20. Jahrhunderts verwickelt und voller tragischer Einzelschicksale. Etwa das der „Malgré-nous“, gut 100.000 Elsässer, die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen zwangsrekrutiert wurden und nicht selten fielen oder mit deutschen Soldaten in russische Kriegsgefangenschaft gerieten. Anderes wie der Lebenslauf von Jérémie Risler gibt Anlass zu hoffen.
Der aus Cernay stammende Risler baute 1838 eine Filiale der väterlichen Fabrik in Freiburg auf, er heiratete in die Fabrikantenfamilie Pyhrr ein und gründete eine Knopffabrik. Für die Arbeiter schuf er nach dem Vorbild der sozialreformerischen Arbeitersiedlungen in Mulhouse Wohnungen, die bis heute bestehen. Ein gelungener Kulturaustausch.
Liebe Deinen Nachbarn. Beziehungsgeschichten im Dreiländereck. Augustinermuseum, Freiburg. Öffnungszeiten: di-so 10-17 Uhr. Bis 30. September 2012.Annette Hoffmann