Kernige Wahl-Versprechen: Das glauben sie selbst nicht!
Die Referentin ist felsenfest davon überzeugt, dass alle Parteien – CDU, CSU, AfD, sowie FDP und andere „Sonstige“ – die im Wahlkampf so eifrig für die Rückkehr zur Atomkraft strampeln, ihre zur Schau gestellte nukleare Begeisterung stickum einschlafen lassen, sobald sie Regierungsverantwortung übernehmen. In diesem Moment wird auch den Letzten klar, dass den atomaren Gesundbetern alles fehlt, was sie für die Einhaltung ihrer falschen Versprechen brauchen.

Was fehlt:
Für die Wiederbelebung der stillgelegten Altmeiler haben sie keine Betreiber, keine atomrechtliche Genehmigung, keinen Endlager-Nachweis, kein Geld, kein Finanzierungskonzept, keinen „Putin-freien“* Brennstoff und es fehlen Fachkräfte. Darüber hinaus fehlen denjenigen, die ihre Wähler:innen mit AKW-Neubau-Versprechen täuschen, sowohl Standorte als auch Reaktorbauer – außerhalb von Russland und China ist das Reaktorbau-Geschäft praktisch tot. Trotz aller PowerPoint-Reaktor-Jubelmeldungen irgendwelcher Startups, die ihre Versprechen nicht halten können, fehlen valide Konzepte für funktionierende Reaktortypen. Das alles zeigt die Referentin (die auch diesen Text hier schreibt) anhand von Zahlen und Fakten mit Quellen auf. Eine Diskussion setzt ein, warum nur diese Parteien ihre eigenen Wähler:innen belügen. Schließlich ist auch die Behauptung, Deutschland sei der einzige Geisterfahrer, der auf die Kraft von Wind und Sonne setze, glatt gelogen. Das bestätigt eine aktuelle Studie: Die Erneuerbaren wachsen in der gesamten EU rasant und lieferten 2024 mit 47% fast die Hälfte der EU-Stromproduktion.
Im Publikum kristallisiert sich eine Vermutung heraus, weshalb die genannten Parteien ihre Wähler:innen belügen: Hauptsache, es geht gegen alles was grün ist. Mit dieser Abgrenzung will man Stimmen fangen. Da geht‘s weder um Inhalte noch um technische oder wirtschaftliche Fragen. Diese Erklärung erscheint plausibel.
Atomschweiz – zu schön um wahr zu sein
Dann meldet sich jemand, der gerade an diesem Tag in der Zeitung gelesen hat, wie wahnsinnig gut das Schweizer AKW Leibstadt im letzten Jahr performt habe. Die Referentin staunt. Diese Sensation war ihr entgangen. Der Zeitungsartikel war schnell gefunden, und zwar nicht nur in „der Zeitung“. Mit ähnlichen Formulierungen ist die Meldung gleich in mehreren Süddeutschen und Schweizer Medien nachzulesen. Und teilweise wortgleich in der Pressemitteilung der Axpo, der AKW-Betreiberin: „Das Kernkraftwerk Leibstadt erzielte in seinem 40. Betriebsjahr die vierthöchste Produktionszahl seit Inbetriebnahme.“
Ein Jahr zuvor hatte die Pressestelle des AKW Leibstadt eine fast identische Botschaft in den Umlauf gebracht: “Dritthöchste Stromproduktion der Betriebsgeschichte“ – wobei die Stromproduktions-Zahlen fast identisch sind und sich gerade mal um ein halbes Prozent unterscheiden. Dennoch sollen Phrasen und Buzzwords wie „Rekordmarke“, „Leistungssteigerung“, „Jubiläum“, „zuverlässiger Betrieb“ bei Presse und Öffentlichkeit ein positives Wohlgefühl erzeugen, wenn es um den Leibstädter Meiler geht, der im Dezember seit 40 Jahren am Netz ist und damit das Ende seiner auslegungsgemäßen Betriebszeit erreicht hat.
Kritiklos: Medien copy-pasten Jubel-Suggestion
Und hej, „In der Schweiz produziert kein anderes Kraftwerk mehr Strom als das Kernkraftwerk Leibstadt“, meldet der Betreiber. Die Medien copy-pasten die Jubel-Suggestion, ohne dass irgendwem auffällt, dass es überhaupt kein Wunder ist, wenn das Kraftwerk mit der höchsten installierten Leistung den meisten Strom produziert. Eine Binse. Wenn das Qualitätsjournalismus am Limit ist, lesen wir womöglich bald, dass in den größten Eimer das meiste Wasser passt.
Es bemerkt auch niemand, dass das AKW Leibstadt mit einem Kapazitätsfaktor von 82,6%** schlechter performt, als die Schweizer Reaktorblöcke Gösgen (89.4 %), Beznau 2 (87.8 %) und der seit 2019 stillgelegte Reaktor Mühleberg (87.8 %). Einzig der Uraltmeiler Beznau 1 steht mit einem Kapazitätsfaktor von 80,4% schlechter da als Leibstadt. Da schlagen die zweieinhalb Jahre Totalausfall zwischen Oktober 2015 und März 2018 zu Buche, als Folge der fast 1000 Schwachstellen im Stahl des Herzstücks des Methusalem-Reaktors. Um das Sprödbruchrisiko des Reaktorstahls und damit das Risiko einer Nuklearkatastrophe zu verringern, wird bei diesem Reaktor das Notkühlwasser auf geriatrische 30° C vorgewärmt.
Von wegen „Putin-freie Energie“!
Zum AKW Leibstadt gibt es durchaus auch kritische Stimmen. Zum 40-jährigen Betriebs-Jubiläum warf Greenpeace ein Schlaglicht auf die Schweizer Abhängigkeit vom Russischen Staatskonzern Rosatom. Der Spaltstoff für das AKW Leibstadt stammt zu 50 %, der für die beiden Blöcke von Beznau zu 100 % aus Russland. Die AKW-Betreiberin Axpo wird für ihre Geschäfte mit Russland von verschiedenen Seiten scharf kritisiert, doch Axpo will die Verträge für Leibstadt (bis 2025) und Beznau (bis 2030) einhalten. Die Begründung des Axpo-Sprechers verstört: „Wenn Sie einen bewährten Lieferanten haben … wechselt man nicht so einfach.“
In der Pressemitteilung gab es noch eine weitere irreführende Aussage: „Alle vier Schweizer Kernkraftwerke zusammen decken in den Wintermonaten mit ihrer Stromproduktion bis zu 50 % des Schweizer Bedarfs.“ Diese verfing prompt bei der Badischen Zeitung, welche daraus eine glatte Falschaussage machte: „Schweizer Atomkraftwerke decken 50 Prozent des Strombedarfs“, lautete die wahrheitswidrige Zwischenüberschrift der BZ. In keinem einzigen Monat erreichte die Schweizer Atomstromproduktion auch nur annähernd den Durchschnittswert 50 %. Im Jahresmittel 2024 lag die Nettostromproduktion aus AKW bei knapp einem Drittel (31,6 %). Die Durchschnittlichen Monatswerte für den Winter 2024 sind: Januar: 38,1 %, Februar 41,8 %, März 37,3 % und Dezember 40,5 %.
Neben Greenpeace, ausgestrahlt.de und dem Trinationalen Atomschutzverband TRAS warnen auch die Internationalen Ärzt:innen für die Verhütung des Atomkrieges, IPPNW, in Deutschland und der Schweiz vor den Risiken des Langzeitbetriebs der eidgenössischen Altmeiler. „Wir können nicht akzeptieren, dass sich die politisch Verantwortlichen in der Schweiz damit herausreden, dass ihr Atomgesetz keine Laufzeitbegrenzung kennt“, so Jörg Schmid von IPPNW Deutschland. Die Ärzt:innen fordern die Stilllegung des Alt-Meilers von Leibstadt. Zumindest aber die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und eine grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung im Hinblick auf die Laufzeitverlängerung von hinten durch die kalte Küche. Womöglich müssen diese atomkritischen Organisationen den Termin für die nächste Presseaussendung à la „Leibstadt hat die drölft-höchste Stromproduktion“ Anfang Januar 2026 begleiten, damit das Bild des uralten Siedewasser-Reaktors direkt am deutsch-schweizer Grenzfluss Rhein, nicht wieder zwischen rosarot getüncht und völlig falsch daherkommt.
*O-Ton Jens Spahn, CDU
** über die gesamte Betriebsdauer gemittelt
Bildquellen
- Alle Jahre wieder: Anfang Januar senden die AKW-Betreiber aus Leibstadt Pressemitteilungen zur Stromproduktion. Der jeweils letzte Balken gibt turnusmäßig Anlass zum Jubeln Foto: 40 Jahres-Feier, Axpo,: Bildmontage Eva Stegen
- AKW Symbolbild: Foto: pixabay