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Ken Kweku Nimo zelebriert in seinem Buch „Afrika in Mode“ das afrikanische Modedesign und untersucht den Einfluss Afrikas auf die westliche Modeindustrie – damals wie heute ein ausbeuterisches Unterfangen

Ken Kweku Nimo: “Afrika in Mode – Luxus, Handwerk und textiles Erbe”, (Midas Collection)

Mode ist nicht nur die Kleidung, die wir tragen, sondern ist seit Jahrhunderten auch Ausdruck des Widerstands und Werkzeug der Befreiung. Ein Kaleidoskop der textilen Kreativwirtschaft Afrikas zeichnet Ken Kweku Nimo in seinem 2023 veröffentlichten Buch „Afrika in Mode: Luxus, Handwerk und textiles Erbe“ (Midas Collection) – dabei erzählt der ghanaische Forscher und Designer die bewegte Geschichte des Kontinents anhand der Textilindustrie. In drei großen Kapiteln befasst sich Ken Kweku Nimo mit der Geschichte der afrikanischen Mode, stellt bedeutende afrikanische Designer:innen vor und erzählt über die kulturelle Renaissance des Kontinents.

Ein (auf)blühender Kontinent
Afrika fristete lange ein Schattendasein in der modernen Welt der Mode: die Ressourcen des Kontinents wurden ungeniert ausgebeutet, die Kultur und Tradition dabei aber nicht respektiert. Kolonialismus, Handel, Globalisierung und Kultur nehmen Einfluss auf die Geschichte der afrikanischen Textilindustrie. Dabei ist die Unabhängigkeit Afrikas auch eine Frage der strukturellen Ungleichheit. Denn Afrika ist ein Kontinent, der viele Kulturen beherbergt. Forscher:innen sprechen von mehreren tausend Völkern und Ethnien, jeweils mit diversen Kulturen und Sprachen, die diesen Lebensraum prägen. Trotz kultureller Diversität wurde ihnen bislang wenig Beachtung in der konventionellen Modegeschichte geschenkt. Lange galt Afrika gar als unmodisch, wohl ein Überbleibsel des arroganten kolonialen Blick des Westens. Doch tatsächlich spielte Afrika in der Entwicklung einer globalen Modeindustrie bereits früh eine entscheidende Rolle.
Das vorkoloniale Afrika beherbergte ein komplexes Handelsnetz. Reiche Länder wie Ghana, Mali und Songhai trieben Handel über die Grenzen hinweg, ihre Handelswege führten über das Mittelmeer bis nach Europa. Währungen bestanden aus Messing, Eisen, Goldstaub, Stoffstreifen oder Kupfer – bereits im neunten Jahrhundert prägten die Kalifen Nordafrikas Golddinare und stärkten so den Handel mit Spanien und anderen Teilen Europas. Der interkulturelle Handel zwischen dem 5. und 19. Jahrhundert förderte den Aufstieg der Handelszentren in Afrika und beeinflusste zugleich die Kunst, Architektur und natürlich auch Mode des Kontinents. Unterschieden wird hier durch Forschende zwischen dem Transsaharahandel sowie demtransatlantischen Handel.
Der Transsaharahandel begann Anfang des 5. Jahrhunderts und erlebte ein Hoch vom 11. bis hinein ins 16. Jahrhundert, nicht zuletzt durch die arabische Invasion Nordafrikas und der damit verbundenen islamischen Kaufleute, die den Handel in der Region massiv beeinflussten und förderten. Die Handelsnetze begannen in Nordafrika und drangen weiter vor in die südlich gelegenen Regenwaldgebiete. Große Karawanen zogen durchs Land, berberische und maurische Händler:innen vertrieben ihre Waren, neben Gold war es vor allem auch der Sklavenhandel, der durch Kriege befördert wurde und eine der Haupteinnahmequellen im Handel mit Europa und der Levante darstellte. Stationen entlang der Route boten Sicherheit und Verpflegung, sodass der sichere Transit der Händler:innen und ihrer Waren gewährleistet werden konnte. Zugleich wurden Zölle und Abgaben erhoben. So erlebten Hafenstädte wie Sijilmasa (Marokko) und Oualata (Mauretanien) einen finanziellen Aufschwung und soziokulturellen Wandel. Die Städte erblühten, der kulturelle Reichtum wuchs und zugleich drangen neue politische und religiöse Ideale in die afrikanische Gesellschaft ein.
Der florierende Markt förderte auch die Verbreitung von Luxusgütern: Seidenfasern, Damaste, Leinen- und Baumwollkleidung fanden Einzug in die heimischen Märkte Afrikas und beförderten das Handwerk: Kofar Mata, das heutige Nordnigeria, versorgte die Nomadenstämme Nordafrikas, darunter auch die Tuareg, mit natürlichem Indigo-Farbstoff. In Zazzau wurde eine textile Produktionskette entwickelt, die den Baumwollanbau, die Spinnerei Weberei, Färberei, Schneiderei und Stickerei vorantrieb und qualifizierte Handwerker:innen anzog. Schnell wurden die traditionellen und üppig bestickten Gewänder, die sogenannten Girken Zazzau oder auch die Yar Madaka, zu Exportschlagern.
Bis ins 18. Jahrhundert haben sich Städte wie Salaga (Ghana), Djenne und Timbuktu (Mali) oder Ife und Kano (Nigeria) zu florierenden Orten des Handels und kulturellen Austausches entwickelt. Abgesandte und Kaufleute aus Europa brachten verzierte Dolche oder Schmuck als Geschenke, um die guten Beziehungen zu stärken und inspirierten damit auch die afrikanischen (Kunst)Handwerker:innen.
Letztendlich war es der transatlantische Handel, der den Transsaharahandel schwächte. Europäische Seehändler:innen konnten für die damalige Zeit schnell liefern und verdrängten die einheimische Handwerksindustrie zusehends vom Markt. Heimische Textilware wurde durch importierte Ware verdrängt, wodurch europäische Güter Teil der indigenen Bevölkerung wurden und zugleich ihre eigene Wirtschaft schwächte – eine Abwärtsspirale des sozioökonomischen Gefüges begann. Die größten sozioökonomischen Veränderungen brachte jedoch der Sklavenhandel und die damit einhergehende Kolonialisierung des Kontinents: Die Nachfrage nach Sklaven in Amerika und Britisch-Westindien stieg an, entlang der sogenannten „Sklavenküste“ in Städten wie Lagos, Porto Novo oder Anomabo gewannen sogenannte Handelsfürsten an Macht und Einfluss.

Kultur und Kleidung = Identität?
Kleidung spielt bei vielen Völkern Afrikas eine wichtige Rolle, insbesondere bei Festen und Riten. So trägt der Häuptling der Ngoni in Sambia während der N‘cwala-Zeremonie ein Löwenfell, um die ersten Früchte zu feiern. Im Königreich Swasiland gilt das Swasituch bis heute als wichtiges Symbol der eigenen Kultur. In verschiedenen Rottönen wird es durch Knoten zusammengehalten, umschlingt den Oberkörper und wird auch beim traditionellen Schilftanz getragen. Zeremonielle Kleidung von Priestern und Anhängern afrikanischer Religionen sind häufig auch ein Spiegel der reichhaltigen Natur: Die Stadtoberhäupter des nigerianischen Bundestaates Edo tragen ein rotes Kostüm, dessen gezackte Ränder an das Schuppentier erinnern sollen. Mit roter Tonerde und schwarzer Kohle bedecken sich die Sumanbrafo-Priester der Ashanti und in Simbabwe wird das Retso-Tuch verehrt und von Priestern und Wahrsagern getragen: ein schwarz-weißes Muster ziert den roten Stoff und gilt als Tor zur Geisterwelt der Ahnen. Kleidung und Spiritualität/Religiosität sind verwoben, bestimmten Materialien werden sogar mystische Kräfte zugeschrieben.

Europas blutiges Erbe
Vom späten 18. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert kolonialisierten europäische Staaten den afrikanischen Kontinent und prägen damit bis heute das politische und kulturelle Leben. Mode ist ein Werkzeug der Kolonialisierung gewesen, einer aufgezwungenen Akkulturation, die mächtiger ist, als man es sich zunächst vorstellt. Neue Bekleidungsnormen wurden durch christliche Missionare und lokale Strafverfolgungsbehörden durchgesetzt und geprägt, zugleich wurde der Baumwollimperialismus eingeführt, der die Produktionskapazität der einheimischen Textilindustrie unterwanderte und importierte Waren bevorzugte. Insbesondere in Westafrika machten christliche Missionare, darunter die Basler Mission, die Übernahme europäischer Kleidung zur Pflicht, wenn man an christlichen Gottesdiensten teilnehmen oder christliche Schulen besuchen wollte. Im Vordergrund stand der biedere Anstand des Christentums, der einen klaren Kontrast zu vielen traditionellen Gewändern afrikanischer Kulturen darstellt. Die Franzosen wollten gar die „kolonialen Untertanen“ durch Kleidung „zivilisieren“ und etablierten die strengsten Mechanismen kolonialer Machtausübung. Das sollte soweit gehen, dass sie Afrikaner:innen die französische Staatsbürgerschaft anboten, sofern sie die alten Traditionen und Gewänder ablegten und den französischen Idealen folgten.
In diesem Klima wurde Kleidung auch Symbol des Widerstands gegen die Assimilierung von Kulturen und Traditionen. Männer aus Kongo-Brazzaville trugen ihre Hemden offen, denn zugeknöpfte Hemden würden den Konventionen des weißen Mannes entsprechen. Ein bekanntes Beispiel sind auch die sogenannten Sapeurs, eine Subkultur in Kinshasa und Brazzaville, die als Widerstand zur Afrikanisierungspolitik von Präsident Mobutu Sese Seko entstand und durch ihren adretten Kleidungsstil auffällt: mit schnittigen Anzügen, Tabakpfeifen und Taschenuhren stellen sie das Erbe des Kolonialismus in Frage und machen sich auf die Suche nach der Identität und Freiheit. Vertreter:innen finden sich bis heute in den Slums und Armenvierteln.

Die Sapeurs, eine Subkultur in Kinshasa und Brazzaville, stellen mit ihrem Kleidungsstil das Erbe des Kolonialismus in Frage © UNHCR/Hélène Caux

Die Semiotik der Mode
Natürlich beeinflusst auch die Globalisierung den Kontinent und wirkt sich auf die Mode aus. Zugleich gibt es eine Gegenbewegung, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts existiert. Beispiel hierfür ist der erste Präsident Ghanas, Dr. Kwame Nkrumah, der bei seiner Amtseinführung bewusst auf traditionelle Kleidungsformen und Textilien zurückgriff – auch um das reiche Erbe seines Landes zu symbolisieren, dessen Verlust durch die Kolonialisierung europäischer Staaten drohte und die weitere Einflussnahme durch globalisierte Strukturen.
Medien, Technologien und Reisen beeinflussen den Kontinent, aber auch Lieferketten und Ressourcen(ausbeutung) bestimmen den Stil und die Semiotik der Mode Afrikas. So haben sich europäische Modelabels den traditionellen Wachsdruck angeeignet und vervielfacht, zugleich aber nicht auf den Ursprung und das Erbe dieser besonderen Modeform verwiesen – oder die Länder am Kapitalgewinn beteiligt, im Gegenteil: „Afrika leidet unter paradoxer ‚Ressourcenflucht‘“, schreibt der Autor.
Zwar beherbergt der afrikanische Kontinent eine Mehrheit bekannter Mineralien und Edelmetalle sowie Kautschuk und Holz, welche weltweit Verwendung in der Luxusindustrie oder auch auch in den Batterien unserer E-Autos finden. Zugleich kann der Kontinent aber nur ein geringes Wirtschaftswachstum aufzeigen. Seit Beginn des Transsaharahandels beliefern Minen aus West- und Südafrika den Weltmarkt mit Gold, schmücken die westliche Zivilisation und bringen dennoch kaum Wohlstand und Zukunftsperspektiven in die Länder. Koloniale Strukturen sind auch heute noch im kapitalistischen Weltmarkt verankert und führen zu einem Ungleichgewicht der Nationen, wobei der Reichtum des einen auf der Unterdrückung der anderen aufbaut.
Dr. Jutta Wimmler, die an der Universität Graz tätig ist, untersucht in „The Sun King‘s Atlantic“ (2017) die bis dato nur wenig erforschten Handelsaktivitäten zwischen Frankreich und Westafrika im 17. und 18. Jahrhundert. Frankreich wurde zum Zentrum der Mode, nicht zuletzt und vor allem durch den ausgedehnten Handel mit Westafrika: Elfenbein, Leder, Zibet zur Herstellung von Moschus, Harthölzer, Farbstoffe und Gummiarabikum beflügelten das französische Kunsthandwerk und setzten die Bausteine für ein französisches Modeimperium, das bis heute Bestand hat. Frankreich erlebte durch die umfangreichen Bestrebungen und die ausgedehnte Handelspolitik des Sonnenkönigs und seinem Minister Jean-Baptiste Colbert eine Renaissance französischer Kultur und Kunst. Nach letzterem wurde übrigens das Comité Colbert benannt, ein einflussreicher Zusammenschluss französischer Modeschöpfer:innen.
Jutta Wimmler sieht den Einsatz natürlicher Ressourcen aus Afrika als maßgeblichen Faktor für die Demokratisierung von Produkten in Europa, denn diese konnten nun schneller, einfacher und in höherer Kapazität produziert werden, sodass die Preise sanken und die Ware nicht mehr nur den Reichen vorbehalten war. Ein maßgeblicher Faktor war hier das Gummiarabikum, welches zum Großteil aus Senegambia stammte und dort bereits früh zur Behandlung von Ziegenfellen genutzt wurde: durch den Auftrag wurde die Haltbarkeit, Qualität und der Glanz der Ware verbessert. Wimmler geht davon aus, dass die Praktiken späterer Gerber in Frankreich durch die erfahrenen Techniken aus Senegambia entstanden. Nun konnten Gerber in Frankreich beschädigtes Leder ausbessern und somit die Produktpalette erweitern. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Modeindustrie des Westens nicht ohne die Ausbeutung und Nutzung afrikanischer Ressourcen und Techniken funktioniert(e).

Pionier:innen afrikanischer Mode
Die afrikanische Ästhetik hat früh Einzug in die Couture-Welt erhalten: Die „Mode à la girafe“ sorgte 1827 für reichlich Wirbel am Hof des französischen Königs Karl X. Nach der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun (1922) entstand die sogenannte „Tutmania“, bei der Accessoires an den Grabbeigaben des jungen Pharaos inspiriert wurden. Auch Marie-Louise Carvens fand ihre Inspiration für Kollektionen in den 1950er Jahren in der Ästhetik Afrikas. Kleider, Tücher und Badeanzüge aus Wachsdrucken, Batik- und Raffiastoffen finden sich hier. 1967 ließ Yves Saint-Laurent, der seine nordafrikanische Herkunft immer wieder auch durch seine Mode romantisierte, Models in traditionellen Bambara-Kleidern über den Laufsteg gehen. Bis heute zeugt der immerwährende Trend zu Tiermotiven auf Kleidern, Hosen, T-Shirts, Blusen und sogar Schuhen vom Einfluss afrikanischer Kulturgeschichte in der westlichen Modewelt: Der Ursprung stammt von Hautkostümen afrikanischer Könige, deren Erbe bis heute auf den großen Laufstegen der Welt und in den Schaufenstern riesiger Modekonzerne zu finden ist.

Und heute?
Afrika gilt als bislang weitgehend unerschlossener Verbrauchermarkt, der für die Weltwirtschaft enorme Möglichkeiten bereithalten könnte – würde man diese Entwicklung denn auch zulassen. Denn dazu gehören sowohl gesellschaftliche, soziale aber auch politische Stabilisatoren, die in vielen Teilen Afrikas immer wieder ins Wanken geraten – nicht zuletzt durch die Ressourcengewinnung westlicher Konzerne, die Land aufkaufen, Ressourcen ausbeuten und eine Bevölkerung zurücklassen, die dabei zusehen darf, wie das Kapital anderswo wächst. Im Bereich der Mode haben sich in den vergangenen Jahrzehnten jedoch langsam aber sicher junge Designer:innen und Labels aus Afrika etabliert, die ihr kulturelles Erbe in aktuellen Kollektionen verarbeiten, die sogenannte „Generation Couture“: „Inmitten des Kampfes um Unabhängigkeit und der schwelenden Gefühle des Panafrikanismus traten Afrikas bahnbrechende Modedesigner hervor“, stellt Ken Kweku Nimo fest.
Mitte des 20. Jahrhunderts mobilisierten junge Designer:innen die wenigen lokalen Ressourcen, um die regionale Textilwirtschaft wieder aufleben zu lassen und das Kunsthandwerk und einheimische Kunstformen zu fördern. Ihr Wissen um moderne Kenntnisse der Couture-Techniken verschmolzen mit traditionellen Formen und interpretierten klassische Textilstücke wie Bogolanfini, Aso-oke oder auch Adire neu. Auf einmal wurden die Textilien Afrikas mit den Formen westlicher Modevorstellungen fusioniert, z.B. in Anzügen und Kleidern und das durch einheimische Designer:innen – so gelang eine Rekonstruktion afrikanischen Modedesigns im Wirbel der niemals stillstehenden Modewelt.
Als Pionierin gilt die Designerin Folashade Thomas-Fahm, die 1952 Nigeria verließ, um sich in London zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Dort verzauberten sie die Schaufenster des Londoner West End so sehr, dass sie sich schließlich für ein Modestudium entschied. 1960 kehrte sie nach Nigeria zurück, wo sie eine eigene Produktionsstätte und Boutique gründete, in der sie sich auf die Simplifizierung und Modernisierung der Bekleidung für die wachsende Arbeiterklasse fokussierte. Ihr Ziel: Praktische Kleidung, die dennoch an die Traditionen des Landes erinnert. So kreierte sie z.B. Röcke mit Reißverschluss, welche indigene Tücher nachahmten, entwarf Strandkleidung aus indigenen Textilien und nahm eine Konfektionskollektion für ihre Boutiquen auf. Produziert wurde in Yaba, sodass Thomas-Fahm nicht nur die Mode für Arbeiter:innen revolutionierte, sondern eben diesen zugleich auch Arbeitsplätze garantierte. „Sie war Vorreiterin bei der Rückgewinnung der Identität einer Nation durch die Mode und änderte die Ansichten über die kreative Karriere eines Modedesigners“, schreibt Ken Kweku Nimo.
Wie pulsierend und nahrhaft die Zeit für junge Kreative gewesen sein muss, zeigt auch die legendäre Juliana „Chez Julie“ Norteye, die als Genie ihrer Zeit gilt. Ausgebildet an der École Guerre Lavigne in Paris, kehrte sie 1961 nach Ghana zurück und entwickelte sich in den kommenden drei Jahrzehnten zu der Modeikone der Hauptstadt Accra. Sie kleidete die Damen der Gesellschaft ein, veranstaltete legendäre Modeschauen und entwarf neue Modetrends, darunter das Kenta Kaba, ein elegantes Abendkleid aus traditionellen Kente-Stoffen. Eine ihrer vermutlich avantgardistischsten Kreationen war das Akwadan, bei der sie männliche Toga-Kleidungsstücke adaptierte und daraus ein raffiniertes Textil für die zeitgenössische Frau Afrikas entwarf – und stellte eben mal so auch geltende Geschlechterrollen in Frage. So verzauberte Chez Julie, die 1993 verstarb, nicht nur ihre Kund:innen, sondern ebnete den Weg für spätere Designer:innen, die sich trauten, moderne Weltkenntnis mit traditioneller Mode zu verbinden.
Wo Chez Julie die Wege ebnete, finden wir in Afrika heute eine florierende und pulsierende Modelandschaft. Junge kreative Designer:innen verstehen es, das reiche kulturelle Erbe der indigenen Bevölkerungen mit modernen Ansprüchen und nachhaltigen Ansätzen zu verschmelzen und lokale Materialien und Textilien zu globalen Luxusgütern zu verarbeiten. Der zwischen Lagos, Nairobi und Accra pendelnde Designer Bubu Oglsi bewegt sich beispielsweise an der Spitze der internationalen Slow-Fashion-Szene und befasst sich in der SS21-Kollektion „Land of Gods“ der Brand I.AM.ISIGO mit der Mythologie der Yoruba und Edo, gibt alten Handwerkstechniken wie dem traditionellen Färben und Weben eine Bühne und feiert zugleich die Facetten eines bunten und modernen Afrikas, das allmählich wieder beginnt, seine Identität zu zelebrieren.

Ken Kweku Nimo: “Afrika in Mode – Luxus, Handwerk und textiles Erbe”, (Midas Collection)

Bildquellen

  • Ken Kweku Nimo: “Afrika in Mode – Luxus, Handwerk und textiles Erbe”,: ISBN 978-3-03876-244-7 (Midas Collection)
  • Die Sapeurs, eine Subkultur in Kinshasa und Brazzaville, stellen mit ihrem Kleidungsstil das Erbe des Kolonialismus in Frage: © UNHCR/Hélène Caux
  • SS21-Kollektion „Land of Gods“ der Brand I.AM.ISIGO: © Chris Okoigun