Karl-Marx-Stadt: Ein neuer Stadtführer durch Chemnitz als Europäische Kulturhauptstadt 2025
Freiburg wollte auch einmal seine Bewerbung für die Europäische Kulturhauptstadt abgeben. Das scheitere damals – trotz umfänglicher Vorarbeiten – am Grünen Oberbürgermeister. Nun ist es Chemnitz geworden: gut so! Aktuelle Reiseführer sucht man, angesichts des breiten Programms der sächsischen Kommune, in diesem Jahr dennoch nahezu vergebens. Einer sticht aber hervor und soll deshalb kurz angezeigt werden.
Yvonne Schmuhl, die Autorin, war ehemals Bürgerin der DDR, landete dann, nach Ausbildungs- und Wanderjahren als Archäologin und Kunsthistorikerin im Westen, 2019 wieder in Chemnitz, wo sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sächsischen Landesmuseum für Archäologie (smac) tätig ist. Sie kam zurück und „begann das Entdeckte zu sammeln“, wie sie schreibt. Daher geht es bewusst um einen (geistreichen) Retro-Blick: Was ist heute noch in Chemnitz zu sehen und zu erfahren aus der DDR-Vergangenheit? Zusammengetragen sind 150 Gebäude, Kunstwerke und Denkmäler. Chemnitz besaß Anfang der 1930er Jahre über 360.000 Einwohner, heute sind es 250.000, ein starker Rückgang setzte mit der Wiedervereinigung ein, der Abschwung ist inzwischen indes gedämpft. Vor allem wegen vielfältiger Maschinenbauindustrie gehörte Chemnitz im 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Wirtschaftsstandorten Deutschlands. Vor diesem Hintergrund finden sich im Bereich der Architektur prächtige Beispiele der Gründerzeit, des Jugendstils, von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit. Aber diese Etappen sind nicht Schmuhls Thema, sie setzt historisch erst in der DDR-Zeit ein.
Die Umbenennung in Karl-Marx-Stadt erfolgte im Mai 1953 mit einem Staatsakt. Das bronzene Karl-Marx-Monument von der Hand des sowjetischen Bildhauers Lew Kerbel präsentiert das zweitgrößte Porträt überhaupt weltweit, ohne Sockel 7,10 m hoch und 40 Tonnen schwer. 1971 eingeweiht, avancierte die Plastik längst zum Wahrzeichen der Stadt, bis heute. Die Autorin gibt sieben Routenvorschläge. Berücksichtigt sind zahlreiche Kunstwerke im öffentlichen Raum, manche tatsächlich sehenswerte Plattenbau-Architektur. Ebenso die vielen Garagenhöfe, die längst ihrer ursprünglichen Funktion als Hort für die lang ersehnten DDR-Autos beraubt und dafür mittlerweile auch viel zu klein sind, aber bis heute (oft kreativ) genutzt werden, weil die alten Mietverträge Bestandsschutz haben – und deshalb jetzt im aktuellen Kulturhauptstadt-Programm eigene Aufmerksamkeit erfahren. Am besten schnappt man sich diesen Führer für die eigene Chemnitz-Reise und nimmt die Vorschläge als Leitfaden für Rundgänge. Die Stadt lohnt den Besuch allemal. Sie lebt von der vielfältigen Geschichte und deren Spuren, von ihren spannungsvollen Dissonanzen bis heute – wo der Alt-Rechte 84-jährige Alexander Gauland vor wenigen Tagen bei der Bundestagswahl das Direktmandant im Wahlkreis für die AfD mit über 32 % gewann (sein Wohnsitz ist offenbar eine Villa in Potsdam).
Yvonne Schmuhl, Als Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt war. Ein Führer zu Bauwerken und Kunst der DDR. Nünnerich-Asmus-Verlag, 2025.
Bildquellen
- Karl-Marx-Stadt: Ein neuer Stadtführer durch Chemnitz: Foto: Wheelbite Media/pexels