Literatur

Jacob-Grimm-Preis: Der Übersetzer Hans Wolf erhält den Kulturpreis für Deutsche Sprache

In Baden-Baden zum 23. Mal der Kulturpreis Deutsche Sprache in drei Sparten verliehen: Vor rund 300 Zuschauenden erhielt der Übersetzer Hans Wolf den mit 30.000 Euro dotierten Jacob-Grimm-Preis (Hauptpreis). Weiterhin ausgezeichnet wurden Steffen Gailberger für sein Konzept „Leseband“ zur systematischen Leseförderung an Schulen (Initiativpreis) sowie das in Koblenz und Darmstadt beheimatete „Liebesbriefarchiv“ (Institutionenpreis).

„Wer die Arbeit des Übersetzens ernst nimmt, kennt auch den ernstesten seiner Begleiter, den Skrupel“, sagte Hans Wolf anlässlich der Preisverleihung im Kurhaus Baden-Baden. Wie oft müsse der Übersetzer ein Wort, einen Satz hin und her wenden, ehe er die subtilsten Nuancen des Tons ausgehorcht und kontrolliert habe. „Niemand wird so intim mit der Gedankenwelt eines Schriftstellers wie sein Übersetzer; er ist sein bester – und oft vielleicht einziger – Interpret“, beschrieb Wolf die intensive Auseinandersetzung, die nötig ist, um einen Text adäquat in eine andere Sprache zu übertragen.

Auf diese Auseinandersetzung verwies auch die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Stefana Sabin in ihrer Laudatio: „Kaum jemand beherrscht das kontrollierte Lavieren zwischen wörtlicher und idiomatischer Wiedergabe, zwischen geduldiger Auseinandersetzung mit dem Text und schöpferischer Annäherung so gut wie Hans Wolf.“ Er schaffe es, die Essenz eines Werks zu erfassen und diese so ins Deutsche zu übertragen, dass die Intention des Autors und die Stimmung des Werks bewahrt werde, so Sabin. Am Ende ihrer Rede hob sie noch einmal die Bedeutung literarischer Übersetzungen hervor: „Übersetzer wie Hans Wolf sind Hauptfiguren der Literaturszene, ohne die es keine Literaturszene gäbe.“

Initiativpreis: Systematische Leseförderung für benachteiligte Kinder

Zuvor wurde der mit 5.000 Euro dotierte Initiativpreis Deutsche Sprache an Professor Steffen Gailberger als Initiator und Organisator des Förderkonzepts „Leseband“ überreicht. In ihrer Laudatio blickte die Autorin Andrea Schomburg in die Zeit zurück, als Hamburger Grundschüler bei der Lesekompetenz im Bundesvergleich noch einen desaströsen drittletzten Platz belegten: „Mehr als ein Viertel der Kinder konnte damals am Ende der Grundschulzeit nicht sinnentnehmend lesen – 2021 stand die Hansestadt auf einem sensationellen drittbesten Platz.“ Diese Entwicklung sei Preisträger Steffen Gailberger zu verdanken, der seine Energie und Arbeitskraft in den Dienst derjenigen gestellt habe, die es schwerhaben im Bildungssystem, indem er mit dem ‚Leseband‘ konkrete, kleinschrittige Methoden zur Leseförderung entwickelt und immer wieder evaluiert habe. „Wie schön, dass das ‚Leseband‘ inzwischen durch viele Klassen deutscher Schulen flattert“, schloss sie ihre Rede.

Professor Gailberger hob in seiner Dankesrede hervor, dass für ihn Lesekompetenz die Grundvoraussetzung für Chancengleichheit und die aktive und kritische Teilhabe an unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung sei. Die Preisverleihung erfülle ihn, „ob nun als Universitätsprofessor oder ehemaliger Hauptschullehrer, zu gleichen Teilen mit Demut, Glück und Dankbarkeit. Es freut mich vor allem, dass der systematischen Sprach- und Leseförderung für benachteiligte Kinder in Deutschland mit dieser Ehre eine noch größere Sichtbarkeit verliehen wird.“

Institutionenpreis: Liebesbriefe als Kulturgut des Alltags

Den undotierten Institutionenpreis Deutsche Sprache erhielt das „Liebesbriefarchiv“ mit Sitz in Koblenz und Darmstadt. Die Laudatio hielt der Moderator und Kulturredakteur Hendrik Heinze: „Liebesbriefe ganz normaler Menschen zu sammeln und aufzubewahren, sie mit heißem Herzen zu verschlingen und mit kühlem Kopf zu studieren, das ist eine so einleuchtende und offensichtliche Idee, dass sie schon vor Jahrhunderten jemand hätte haben können.“ Die Schweizer Linguistin Eva L. Wyss habe 1997 damit begonnen, Liebesbriefe als einzigartige Quelle der Alltagskultur zu sammeln und zu archivieren. Neben der Kraft, die Liebesbriefe enthalten und entfalten, sprach Heinze auch die soziologische Komponente an: „Liebesbriefe sind immer auch Dokumente ihrer Zeit. Was und wie zwei Liebende einander schreiben, gibt Auskunft über gesellschaftliche Verhältnisse und Konventionen.“

Die Preisträgerin Eva L. Wyss als Begründerin des Archivs sagte in ihrer Danksagung, sie habe sich damals nicht vorstellen können, welche Vielfalt an textlichen Formen, Formaten und sprachlichen Ausgestaltungen sich in den Briefen beobachten lasse. „Das Liebesbriefarchiv hat der Forschung neue Horizonte eröffnet. Es zeigt, dass die wirklich spannenden Geschichten oft nicht in großen historischen Dokumenten, sondern in den kleinen, privaten Zeilen der Menschen liegen“, so die Wissenschaftlerin. Etwa 50.000 Liebesbriefe habe sie mit ihren Mitstreiterinnen inzwischen gesammelt.

Bildquellen

  • Hans Wolf erhielt in Baden-Baden den mit 30.000 Euro dotierten Jacob-Grimm-Preis für seine Leistungen als Übersetzer: Foto: Eberhard-Schöck-Stiftung