Im Gespräch: Marianne Haardt, Direktorin der Stiftungsverwaltung
Eine humane Zukunft für die Stadt
Seit einem halben Jahr ist Marianne Haardt Direktorin der Freiburger Stiftungsverwaltung, die unter ihrem Dach sechs kommunale Stiftungen beherbergt, zahlreiche Einrichtungen umfasst, rund fünfhundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt und über ein erhebliches Vermögen verfügt, das sich im Laufe der Jahrhunderte durch großzügige Stifterinnen und Stifter stetig entwickelt hat. Unsere Mitarbeiterin Cornelia Frenkel hat Marianne Haardt zu ihrem neuen Wirkungsfeld befragt.
Kultur Joker: Frau Haardt, haben Sie sich seit Ihrer Amtsübernahme besondere Schwerpunkte vorgenommen, um die Zukunft der kommunalen Stiftungen zu gestalten?
Marianne Haardt: In den ersten Wochen ging es vor allem darum, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und alle Stiftungseinrichtungen kennenzulernen. Das Spektrum ist breit: Pflegehäuser, Wohnanlagen für Senioren, Begegnungszentren, Betreuungsformen für Kinder- und Jugendliche, bis hin zum Weingut der Heiliggeistspitalstiftung. Ich war beeindruckt von dem hohen fachlichen Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich oft rund um die Uhr den ihnen anvertrauten Aufgaben widmen.
Kultur Joker: Was ist Kernpunkt der Stiftungsarbeit?
Marianne Haardt: Zunächst sind die Umsetzung der Stiftungszwecke und die wirtschaftliche Mittelverwendung die obersten Gebote. Unsere Stiftungen haben eine zum Teil jahrhundertealte Tradition, müssen aber innovativ und beweglich bleiben. Mir ist es wichtig, die Stiftungszwecke stetig neu zu interpretieren und sie gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen, also Denkprozesse anzuregen und in einer Art Zukunftswerkstatt zu überlegen, wo es in den nächsten zehn Jahren hingehen kann. Das Spektrum zeigt: wir tun viel Gutes, bieten Arbeitsplätze, sind ein Wirtschaftsfaktor und also mitverantwortlich für das soziale Klima in der Stadt. Erstaunlicherweise ist die Arbeit der Stiftungen wenig bekannt, ich möchte sie bekannter machen. Außerdem ist mir persönlich sehr wichtig, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst zu nehmen und ihnen Gestaltungsmöglichkeiten zu bieten.
Kultur Joker: Die kommunalen Stiftungen verfügen über ein beträchtliches Potential an Fördermitteln und Innovationskraft. Wie können Bürger überzeugt werden, dass wir noch mehr Anstifter brauchen, um Solidarität, Gemeinsinn und soziale Verantwortung zu stärken?
Marianne Haardt: Ich möchte zunächst deutlich machen, wie faszinierend die Geschichte der kommunalen Stiftungen ist, indem sie vom Engagement einzelner Personen lebt, die das Prinzip Verantwortung beim Wort genommen haben. Durch Bürgerinnen und Bürger sind sie entstanden, z.B. im 13. Jahrhundert die Heiliggeistspitalstiftung; Pfründner brachten einst ihr Vermögen ein und sicherten sich dadurch Versorgung im Alter. Im Zeichen christlicher Nächstenliebe haben viele Freiburgerinnen und Freiburger im Lauf der Jahrhunderte dazu gestiftet und fortgesetzt den Grundstock an Vermögen ausgebaut, mit dessen Erträgen wir die Stiftungszwecke umsetzen. Unser jüngstes Pflegehaus ist nach der Zustifterin Marga Sauter benannt. Bei der Waisenhausstiftung waren es Persönlichkeiten wie etwa Heinrich Wanner, Heinrich Sautier oder Philipp Merian, die mit ihren Gaben Gutes bewirken konnten. Mit dem Vermächtnis von Franz-Xaver und Emma Seiler, die in Übersee im Metzgergewerbe zu Geld gekommen sind, helfen wir heute Jugendlichen im Handwerk, und das Erbe des Landwirts Michael Denzlinger wirkt mit dem Seniorentreff im Freiburger Ortsteil Hochdorf fort.
Kultur Joker: Wie geht das Stiften vor sich?
Marianne Haardt: Das Spektrum der Stiftungsmöglichkeit ist vielfältig: da gibt es Spenden, die sofort helfen, es gibt Zustifter, die Geld oder Immobilien vermachen, zu Lebzeiten oder nach ihrem Tod; und es gibt Stifter, die eine eigene Stiftung gründen möchten. Außerdem tragen wertvolle Zeitstifter mit ihrem ehrenamtlichen Engagement zu mehr Menschlichkeit in der Stadt bei. Ich freue mich immer über Anfragen aus der Bevölkerung und bin stets berührt, wenn Menschen großzügig und uneigennützig handeln. Deshalb nehme ich mir ausreichend Zeit und Ruhe, um in einem ganz persönlichen Gespräch jeweils die unterschiedlichen Möglichkeiten des Stiftens zu erörtern.
Kultur Joker: Welche Herausforderungen ergeben sich in der Altenhilfe der Heiliggeistspitalstiftung angesichts der demografischen Entwicklung?
Marianne Haardt: Auch wenn aktuell die – bundesweite – Gesetzgebung die häusliche Versorgung stärken möchte, bin ich der Meinung, dass wir in die stationäre Versorgung weiterhin investieren müssen. Gerade bauen wir im Freiburger Stadtteil Neuburg ein neues Pflegehaus mit 71 Plätzen; parallel überlegen wir im Rahmen einer Zukunftswerkstatt, wie die Altenhilfe künftig aussehen kann. Deutlich ist: es wird mehr ältere Menschen geben, mehr Alleinstehende und mehr ärmere ältere Menschen. Um würdevolles Altern zu ermöglichen, brauchen wir Pflegekräfte; diese müssen wir gewinnen und die Attraktivität von Arbeitsplätzen in der Pflege steigern. Deshalb investieren wir bereits in Ausbildungsprogramme; z.B. vermitteln wir mit dem Projekt „Auftakt“ und unserer „Berufsorientierung Hauswirtschaft“ jungen Frauen Perspektiven.
Kultur Joker: Im Fachbereich Kinder- und Jugendhilfe trägt die Waisenhausstiftung zur Inobhutnahme für Mädchen in Problemsituationen bei. Sie bietet diesen ein temporäres Zuhause und versucht ihnen Perspektiven zu geben. Steht die „Zuflucht“ aktuell vor besonderen Herausforderungen?
Marianne Haardt: Ich freue mich, dass die „Zuflucht“ für Mädchen seit zwanzig Jahren in der zuverlässigen Trägerschaft der Waisenhausstiftung liegt, gerade weil mir als ehemalige Leiterin des Amtes für Kinder, Jugend und Familie das Thema bestens vertraut ist. Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren finden hier ein vorübergehendes Zuhause. Sieben pädagogische Fachkräfte auf 5 Vollzeitstellen stehen rund um die Uhr zur Verfügung. Aktuell sehe ich zwei Herausforderungen: Zum einen sind immer mehr Mädchen psychisch krank und dadurch nehmen Regelverstöße, Aggression und Suizidgefährdung deutlich zu, zum anderen nehmen wir mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlingsmädchen aus Syrien und afrikanischen Ländern auf, wobei wir uns gleichzeitig um Bereitschaftspflegefamilien bemühen.
Kultur-Joker: Es steht nicht explizit in den Satzungen, dass sich Ihre Stiftungen um die Integration von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund kümmern sollen. Dennoch, woran wird deutlich, ob und wie sich die kommunalen Stiftungen für die Integration von Menschen mit einer anderen Staatsbürgerschaft einsetzen?
Marianne Haardt: Integration ist nicht explizit als Stiftungszweck formuliert; dass wir uns darum kümmern, ist für mich schlichtweg selbstverständlich und ein Gebot des demokratischen und solidarischen Miteinanders. Außerdem ist die Realität längst in unseren Einrichtungen angekommen: hier arbeiten Menschen aus 31 Nationen – eine stolze Bilanz! Die Kinder- und Jugendhilfe bietet ein gutes Beispiel für Integrationsarbeit: rund 80 Prozent der Hortkinder haben Migrationshintergrund, bei der Schule für Erziehungshilfe sind es 50 Prozent. In der „Zuflucht“ werden unbegleitete minderjährige Ausländerinnen aufgenommen und auch in den Wohngruppen leben junge Menschen mit Fluchthintergrund. Sie sind da, und wir sorgen uns um sie mit der gebotenen Professionalität, das ist unser Auftrag.
Seit gut einem Jahr bieten wir zudem mit dem Projekt BiFF (Bildung integriert Flüchtlingsfrauen) Sprachangebote, inklusive Kinderbetreuung; mit Mitteln des Armenfonds werden auch soziale Projekte unterstützt, die sich um Integration bemühen und die „Bürgerspende Bildungsförderung“ – ein Fonds privater Spenden – wirkt im Bereich der Einzelförderung. Auch die meisten der jungen Frauen, die über das Ausbildungsprogramm „Auftakt“ für Pflegeberufe ausgebildet werden, haben Migrationshintergrund. Ich bin überzeugt – und habe es so erfahren – dass „das Fremde“ keine Bedrohung ist; vielmehr können Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen eine Bereicherung für uns sein.
Kultur Joker: Die Stiftungsverwaltung verwaltet einen umfangreichen Besitz, aus dessen Erträgen der Gestaltungsspielraum für wohltätige Zwecke erwirtschaftet wird; sie ist ein wichtiger Arbeitgeber, baut aber auch auf das Ehrenamt?
Marianne Haardt: Es ist gut, dass wir über Besitz verfügen, denn die Erträge aus Vermietung, Verpachtung und Vergabe von Erbbaurechten fließen in die Verwirklichung der Stiftungszwecke. Es ist erfreulich, dass wir mit unseren Einrichtungen zudem attraktive Arbeitsplätze für unterschiedliche Berufsgruppen bieten, in der Altenhilfe, Pflege, Hauswirtschaft, Kinder- und Jugendhilfe, in der Verwaltung und im Weinbau. Doch auch ehrenamtliches Engagement ist gefragt, insbesondere in der Altenhilfe und wir sind froh, mit dem „Freundeskreis Altenhilfe“ einen Partner zu haben, der für Engagement in der Altenhilfe wirbt und Ehrenamtliche an unsere Pflegeheime, Wohnanlagen oder Begegnungszentren vermittelt. Dort helfen Frauen und Männer bei Veranstaltungen, besuchen alte Menschen, begleiten sie zum Arzt oder organisieren Ausflüge und erbringen damit einen wertvollen Beitrag für die Lebensqualität im Alltag. Aber auch in der Kinder- und Jugendhilfe – etwa mit Nachhilfeunterricht – ist ehrenamtliche Mitarbeit sehr wichtig.
Kultur Joker: Beachtlich ist der Beitrag der Stiftungen in puncto Kunst und Erhaltung historischer Bauten. Ist das ebenfalls Stiftungszweck oder wie ist dies zu verstehen?
Marianne Haardt: Jede Stiftung ist zum Erhalt ihres Vermögens verpflichtet und darf nur mit ihren Erträgen arbeiten. Also müssen wir unser Eigentum pflegen, historische Bauten und Kunstgegenstände bewahren und diese der Öffentlichkeit zugänglich machen; im Augustinermuseum sind die kommunalen Stiftungen übrigens der zweitgrößte Leihgeber. Bedeutend ist auch ihr Beitrag zur Erhaltung des historischen Stadtbildes; so wurde z.B. die Restaurierung des Adelhauser Klosters unternommen und 2013 fertiggestellt, wobei die Bauabteilung der Stiftungsverwaltung ein feines Gespür für die ursprüngliche Raumstruktur gezeigt hat. Insbesondere bei der Museumsnacht und dem Tag des offenen Denkmals wird der Bevölkerung die Gelegenheit geboten, die Gebäude kennenzulernen. Zum historischen Stadtbild trägt auch das Stiftungsweingut der Heiliggeistspitalstiftung bei: am Schlossberg bewirtschaftet es Steillagen und erhält so das typische Stadtbild.
Kultur Joker: Die kommunalen Stiftungen sind vor allem mit sozialen Themen befasst, wie kommt es, dass ein Weingut zum Portfolio der kommunalen Stiftungen gehört? Und bitte geben Sie uns einen Tipp zu den edlen Tropfen des Weinguts!
Marianne Haardt: Das Stiftungsweingut hat derzeit einen wunderbaren Grauburgunder aus dem Holzfass im Sortiment. Im Übrigen zeigt die Geschichte des Weinguts, die seit dem Jahr 1298 bekannt und unverrückbar mit der Heiliggeistspitalstiftung verbunden ist, dass Genuss und Fürsorge gut zusammenpassen. Sogenannte Pfründner brachten früher ihre Rebberge und anderes Vermögen in das Spital ein, die Spitaltrotte war über Jahrhunderte für die Versorgung der damaligen „Insassen“ verantwortlich. Wasser konnte seinerzeit nicht getrunken werden, es war nicht sauber genug, also war Wein ein wichtiges Lebensmittel.
Gemäß der Spitalordnung aus dem Jahr 1318 erhielten die Schwächsten und Kranken täglich vier Maß Wein (rund 6 Liter). Bis zum Jahr 1803 befanden sich Spital und Weingut am Münsterplatz, heute wird der Wein auf dem Jesuitenschloss hergestellt. Ich finde, das Stiftungsweingut ist ein schöner Botschafter für die vielen interessanten Geschichten der Stiftungen.
Kultur Joker: Frau Haardt, wir bedanken uns für das Gespräch.
Stiftungsverwaltung Freiburg, Adelhauserstr. 33.
www.stiftungsverwaltung-freiburg.de
Tel.: 0761/2108-111