Kunst

Im Licht des Augenblicks: Die Fondation Beyeler widmet dem kanadischen Fotografen Jeff Wall eine Einzelschau

Nicht immer folgen Pfade einem direkten Weg. „The Crooked Path“ heißt eine Arbeit von Jeff Wall aus dem Jahr 1991. Der Weg, der wie ein Hase einen Haken schlägt, führt etwas rechts von der Bildmitte hinein in eine Brache, die in ein Industrieareal übergeht. Links stehen mehrere Bienenstöcke, deren Kästen so bunt sind als handelte es sich um Farbfeldmalerei. Der Tag wirkt verhangen, schwer einzuschätzen, um welche Tageszeit es sich handelt. Jeff Walls Aufnahmen haben oft dieses Moment der Irritation. Man glaubt zuerst, die Geschichte, die man in diesen Bildern versteckt vermutet, ließe sich linear erzählen, doch dann gerät man ins Stocken. Manchmal ist es ein Detail, wie die Aufschrift auf einem Reifen, manchmal das ganz Offensichtliche. Warum etwa, steckt dem hageren Mann, der auf einem Baumstumpf sitzt, der wiederum auf Betonteilen steht und der in Denkerhaltung auf eine Stadt schaut, ein Dolch im Rücken?
Es ist bereits das zweite Mal, dass in Basel eine Einzelausstellung des 1946 geborenen Kanadiers Jeff Wall zu sehen ist. Vor gut zwanzig Jahren zeigte das Schaulager 120 Arbeiten, was schwer wog, schließlich zählt Wall selbst etwa 200, die in den letzten 45 Jahren entstanden sind, zu seinem Werk. Die Einzelschau in der Fondation Beyeler ist mit 55 Arbeiten nicht so umfassend, doch die intimeren Räumlichkeiten des Renzo Piano-Baues erlauben andere Konstellationen als die größeren Dimensionen des Schaulagers. Und die schlicht „Jeff Wall“ betitelte Ausstellung ist in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstanden, der zudem im begleitenden Katalog erläutert, warum er welche Gruppen gebildet hat und auch Einblicke in die Entstehungsgeschichte einzelner Arbeiten gibt. Das macht die Präsentation besonders und derart sehenswert. „The Thinker“ etwa bezieht sich auf einen Denkmalentwurf Albrecht Dürers zum Bauernkrieg, dessen Spitze ein hinterrücks erdolchter Bauer bildete. Nicht selten haben Walls Fotografien solche kunstgeschichtlichen Referenzen wie etwa auch „A sudden gust of wind (after Hokusai)“, bei dem ein Windstoß einen Papierstapel durcheinanderwirbelt und einem Holzschnitt des Japaners nachempfunden ist. Wall selbst spricht auch lieber von Tableaus als von Inszenierungen, was näher am Bild ist als an den theatralischen Mitteln der Bühne.

Jeff Wall: „The Thinker“, 1986, Grossbilddia in Leuchtkasten, 239 x 216 cm © Jeff Wall

Am Anfang seines Werkes stehen die Großbilddias in Leuchtkästen der 1980er Jahre, die eine andere Farbigkeit zuließen als es bei Fotoabzügen möglich gewesen wäre und immer ein bisschen prägnanter waren als der Augenblick selbst. In den 1990er Jahren kamen Schwarzweiß-Aufnahmen hinzu und in seiner Basler Ausstellung sind nun auch Farbabzüge zu sehen. Dabei verblüfft, dass auch diese oft wirkten als verfügten sie über eine Lichtquelle. Seit 1991 montiert Jeff Wall zudem viele seiner Arbeiten digital aus Einzelbildern. Beim gut zehn Meter langen Triptychon „I Giardini“, das in einem Privatgarten in der Nähe von Turin aufgenommen wurde, ist dies offensichtlich, da Wall den Personen Doppelgänger zur Seite stellt. Die beiden Besitzer scheinen sich mit ihren Angestellten in einer Auseinandersetzung zu befinden, die Untertitel „complaint, denial, expulsion“ legen eine Erzählstruktur nahe. Vor allem in den früheren Arbeiten zeigt sich Jeff Wall als einer, der verfremdet. Er selbst spricht von einem fast dokumentarischen Arbeiten. Dass viele Leuchtkästen wie Sozialstudien wirken, hat mit der konkreten Lage seines Ateliers in Vancouver zu tun. Wall nahm Straßenszenen oft unmittelbar vor der Haustür wahr und stellte sie nach. Manchmal jedoch wie in „Fieldwork“ fotografierte er wirkliche Situation, hier eine archäologische Ausgrabung einer indigenen Siedlung auf einer Waldlichtung. Ihre gesellschaftliche Randlage ist oft Thema seiner Fotografien, Wall zeigt die kanadischen Indigenen in städtischen Brachen, abgedrängt und oft obdachlos. Doch nicht minder wichtig sind in Jeff Walls Werk literarische Einflüsse, die entweder unmittelbar die Bildidee prägten oder seine Herangehensweise. Und so weisen diese Fotografien immer wieder über sich hinaus.

Jeff Wall. Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen. Mo-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr. Bis 21.04.2024

Bildquellen

  • Jeff Wall: „The Thinker“, 1986, Grossbilddia in Leuchtkasten, 239 x 216 cm: © Jeff Wall
  • Jeff Wall: „A sudden gust of wind“, 1993, Grossbilddia in Leuchtkasten, 229 x 377 cm, Glenstone Museum, Potomac, Maryland: © Jeff Wall