Gesundheit

Im Kampf gegen Stigmatisierung

Freiburger Bündnis gegen Depression

Depressionen werden häufig unterschätzt und irgendwo zwischen Schnupfen und Willensschwäche und Einbildung eingeordnet. Dabei handelt es sich um eine ernsthafte Erkrankung, an der die Betroffenen keine Schuld haben. Wird die Depression nicht erkannt, führt sie zu unnötigem Leiden und zur Gefährdung des Patienten, im schlimmsten Fall bis zur Selbsttötung (Suizid). Statistische Hochrechnungen gehen in Freiburg von 12 000 an Depression erkrankten Menschen aus. Mehr als 30 Menschen nehmen sich hier jedes Jahr das Leben. Damit es künftig soweit nicht kommt, hat sich bereits 2010 das Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. gegründet und ist seit Januar 2011 mit verschiedenen Veranstaltungen aktiv. Freiburg ist damit eine von knapp 70 Regionen und Städten, die sich deutschlandweit auf lokaler Ebene für die Aufklärung der Öffentlichkeit über Depressionen und eine Verbesserung der Versorgungsstruktur engagieren. Ziel ist die Aufklärung über Depressionen in der Öffentlichkeit und eine verbesserte Versorgung Betroffener. Dadurch soll sich das Wissen über die Depression ausreichend im Alltagswissen verankern. Die Kernbotschaften des Freiburger Bündnisses lauten: Depression kann jeden treffen / Depression hat viele Gesichter / Depression ist behandelbar. Unterstützt wird das Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. durch die Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters Dr. Dieter Salomon. Um optimale organisatorische Voraussetzungen für die regionalen Aktivitäten zu gewährleisten, wurde mit der Zentrale des Deutschen Bündnis gegen Depression ein dreijähriger Kooperationsvertrag geschlossen, wodurch die Aufklärungsmaterialien wie DVD´s und Broschüren für Betroffene, Angehörige und Ärzte zur Verfügung gestellt sind und der Koordinatorin durchgehend organisatorische Beratung zur Seite gestellt ist.

Ein kollegialer unterstützender Austausch findet auch unter den einzelnen regionalen Bündnissen statt, nach dem Motto: „Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden.“ Weiterhin wurde im November 2010 eine Schulung organisiert, bei der 13 Trainer-/Multiplikatoren aus verschiedenen Berufsgruppen (z.B. Ärzte, Apotheker, Lehrer, Mitarbeiter aus Beratungsstellen, Hebammen, Seelsorge und Polizei, Mitarbeiter aus dem Pflegedienst, u.s.w.) geschult wurden. Durch die Schulung wurden die Trainer grundsätzlich in die Lage versetzt, Depression leichter zu erkennen und über geeignete Unterstützungsangebote zu informieren. Es wurden Trainer geschult, die aus ihrem beruflichen Kontext heraus fundierte theoretische Kenntnisse zu Depression und Suizidalität besaßen, möglicherweise auch diagnostische sowie therapeutische Kompetenzen mitbrachten. Die Schulung der Trainer war auf die jeweilige Situation der verschiedenen Zielgruppen zugeschnitten, um dann in der Region Freiburg Informationsveranstaltungen zur Aufklärung über Depression anzubieten. Des weiteren werden spezielle Fortbildungen angeboten, die für Ärzte, Psychotherapeuten sowie Apotheker und pharmazeutische Mitarbeiter konzipiert sind, wo eine Optimierung von Diagnose und Therapie im Vordergrund der Schulungen steht. Diese Fortbildungen werden in der Regel mit den Landes- oder Bezirkskammern und/oder Verbänden in Kooperation geplant und akkreditiert. Eine hohe Akzeptanz und breite Wirksamkeit des Aktionsprogramms sichert sich das Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit auf lokaler Ebene. Durch eine kooperative Zusammenarbeit unterschiedlichster Institutionen und Personen, die primär oder sekundär in die Versorgung depressiv erkrankter Menschen eingebunden sind, entstehen hochqualifizierte Aktionen und Veranstaltungen zur Aufklärung und Entstigmatisierung von Depression und zielgruppenspezifische Angebote. Im Rahmen der interdisziplinären Bündniskampagne wurden verschiedene inhaltliche Schwerpunkte gesetzt, zu denen einzelne Arbeitsgruppen zielgruppenspezifische Angebote erarbeiten. Ein besonderer Schwerpunkt hier in Freiburg ist bereits seit Beginn der Kampagne die Arbeitsgruppe „Männer und Depression“, die sich aufgrund des offensichtlichen Bedarfs, der sich dazu sehr deutlich abzeichnete, gegründet hat. In den letzten Jahren ist klar geworden, dass die Bedeutung depressiver Erkrankungen bei Männern bisher deutlich unterschätzt wurde. Eine wichtige Ursache hierfür scheint zu sein, dass die Diagnosekriterien der WHO das depressive Krankheitsbild von Frauen deutlich beschreibt, aber für die Symptomatik männlicher Depressiver nicht gleich geeignet erscheint. Das bedeutet, dass während depressive Frauen über niedergeschlagene Stimmung, verminderten Antrieb, Verlust von Interesse und Freude, vermindertes Selbstwertgefühl und Gefühle von Freud- und Wertlosigkeit berichten, dominiert bei männlichen Depressiven oft eher berufliches Überengagement, das Abstreiten von Kummer und Niedergeschlagenheit, zunehmende Ärgerattacken, ein vermehrter Alkohol- und Nikotinkonsum und intensivierte sportliche Betätigung, dies jedoch ohne folgende Entspannung. Männer mit einer Depression wirken zwar in der Regel deutlich sozial zurückgezogen, verneinen dies aber und tun sich sehr schwer, über ihren veränderten psychischen Zustand zu sprechen. Dies dokumentiert sich auch in der Tatsache, dass in deutschen Hausarztpraxen bei Frauen die richtige Diagnose der Erkrankten nur in 45 Prozent gestellt wird, der Anteil von richtig diagnostizierten depressiven Männern jedoch sogar bei nur 24 Prozent liegt. Wie außerordentlich wichtig das Erkennen einer Depression bei Männern ist, verdeutlicht sich in der Tatsache, dass Suizide im Gegensatz zu Suizidversuchen bei Männern wesentlich häufiger vorkommen als bei Frauen. Die männliche Depression ist sehr stark durch das Stigma-Problem gefärbt. Männer haben ein wesentlich schlechteres so genanntes „Hilfesuchverhalten“ als Frauen, weil ihr Rollenstereotyp bestimmt ist durch Eigenschaften wie aktiv, zielorientiert, kompetetiv durchsetzungsfähig, unabhängig, selbstsicher und entscheidungsfreudig. Wenn sie diesen männlichen Idealen nicht mehr entsprechen können, entsteht hohe Scham, dass sie sich verbissen in Beruf, Sport, aber auch Alkohol und Streitereien stürzen. Hilfe wegen Traurigkeit, Lust- und Interessenlosigkeit oder Schlafstörungen aufsuchen ist für viele Männer kaum vorstellbar und bedeutet Niederlage. So geschehen Suizide bei depressiven Männern sehr häufig ohne jede Vorwarnung und ohne vorausgegangene Versuche, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies ist bitter, weil auch die Depressionen von Männern gut behandelbar sind und bei Minderung äußerer Belastungsfaktoren eine gute Prognose aufweisen. Ein weiterer Schwerpunkt beim Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. für das Jahr 2012 wird das Thema Depression bei Kindern und Jugendlichen. Leichte depressive Verstimmungen bis hin zu schweren depressiven Störungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, unter denen Kinder und Jugendliche leiden. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, steigt bei Jugendlichen gegenüber Kindern an: Bei Kindern im Vorschulalter liegt die Häufikeit bei ca. 1 Prozent, im Grundschulalter sind weniger als 2 Prozent der Kinder betroffen. Aktuell leiden 3-10 Prozent aller Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren unter einer Depression. Das Freiburger Bündnis plant zu diesem Thema einen Schülerkongress für das Jahr 2012, der auf verschiedenen Ebenen zur Symptomatik, Entstehungsformen, Therapiemöglichkeiten und Suizidprävention aufklärt und informiert. Auch bei über 60-jährigen können Depressionen im Alter die Lebensqualitat über Jahre stark beeinträchtigen; deshalb wurde dieser Bereich in die Arbeit des Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. als Schwerpunkt mit aufgenommen. Fast alle Menschen kennen Zeiten, in denen sie sich traurig oder niedergeschlagen fühlen. Mit dem Älterwerden können sich vor allem Verlusterlebnisse häufen – zum Beispiel in der Familie, im Freundeskreis, im Beruf oder gesundheitlich. Depressionen gehören neben dementiellen Erkrankungen zu den häufigsten psychischen Störungen im höheren Lebensalter. Zudem steigt das Suizidrisiko mit zunehmendem Alter, insbesondere bei Männern, drastisch an. Zu häufig werden depressive Symptome jedoch als normale Begleiterscheinung von Alter oder Lebenskrisen verkannt. Diesen Schwerpunkt thematisiert die Planungsgruppe AG Depression im Alter sehr erfolgreich bereits seit 2006 und erarbeitete dazu bisher bereits zwei erfolgreiche Veranstaltungsreihen mit Vorträgen zu Diagnose und Behandlung, Kurse zum Umgang mit Depression für Erkrankte, Angehörige, Ehrenamtliche und Fachleute, muttersprachliche Gesprächsvorträge für Menschen aus Italien, Spanien, Russland, Kroatien und der Türkei Die AG Depression im Alter hat sich dem Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. angeschlossen und erarbeitet derzeit eine dritte Veranstaltungsreihe für das Jahr 2012. Depression am Arbeitsplatz wird hier in Freiburg auch einen besonderen Stellenwert bekommen. Viele regionale Firmen und Unternehmen kennen das Phänomen: Mitarbeiter, die man über Jahre für ihr Engagement schätzen gelernt hat, scheinen plötzlich am Ende ihrer Kräfte zu sein: Konzentrationsprobleme, Motivationsverlust, Dünnhäutigkeit, Reizbarkeit, aber auch sozialer Rückzug können zu den äußerlich auffälligsten Veränderungen zählen. Ist der Mitarbeiter „ausgebrannt“, d.h. von andauerndem Stress körperlich und psychisch so erschöpft, dass er vorübergehend nicht mehr arbeiten kann? Oder sind die Veränderungen Anzeichen einer depressiven Erkrankung? Die Daten deutscher Krankenversicherer aus den letzten Jahren zeigen gestiegene Ausfallzeiten und Berufsunfähigkeiten aufgrund psychischer Erkrankungen. Psychische Erkrankungen sind die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit. Bei Männern ist der Anteil psychischer Erkrankungen als Berentungsdiagnose von 8 Prozent im Jahr 1983 auf fast 27 % im Jahr 2004 angestiegen, bei Frauen von unter 10 Prozent auf rund 37 Prozent (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 2006). Trotz insgesamt sinkender Krankenstände hat der Anteil psychisch bedingter Fehlzeiten an der gesamten Arbeitsunfähigkeit in den letzten Jahren stetig zugenommen (1980: 2,5 % auf 2008: 10,9 %; BKK Gesundheitsreport 2009). Dabei stehen quantitativ die affektiven Störungen im Vordergrund mit „F32 depressive Episode“ auf Platz eins (Gesundheitsreport 2009 der BKK und AOK) – Depressionen spielen innerhalb der psychischen Erkrankungen also eine besondere Rolle. Zum Schwerpunkt Depression am Arbeitsplatz und den Auswirkungen davon plant das Freiburger Bündnis gegen Depression e.V. eine Veranstaltung als Podiumsdiskussion mit Vertretern aus der Psychiatrie und Psychotherapie, der Krankenkassen, der Rentenversicherung, der Rehaberatung, der Arbeitsagentur und Vertretern aus der Wirtschaft und einem Betroffenen. Infos: www.freiburger-buendnis- gegen-depression.de oder Tel. 01803-076103 (9 ct. aus dem deutschen Festnetz). Sprechzeiten: donnerstags 12.30-14 Uhr. Spendenkonto: Sparkasse Freiburg Nördlicher Breisgau (68050101 BLZ), Konto: 12960114. Prof. Mathias Berger, Prof. Gunther Haag, Stefanie Hirth