Im Interview: Rapper Sido
Mit provokanten Texten und Totenkopf-Maske wurde er zu einem der erfolgreichsten deutschen Rapper: Sido. Mittlerweile ist der vor 34 Jahren als Paul Hartmut Würdig geborene Elternschreck selbst glücklicher Familienvater. Der einstige Rüpel des deutschen Rap ist zwar geläutert, aber zum Interview in einem Konferenzraum der Plattenfirma Universal in Berlin erscheint er demonstrativ eine halbe Stunde zu spät. Die kräftigen Arme vollständig tätowiert, am Handgelenk gut sichtbar die Rolex, im dichten Vollbart schimmern vereinzelte graue Haare. Olaf Neumann sprach mit Sido über dessen neues Album „VI“ und seinen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen an die Spitze der Charts.
Kultur Joker: In Ihrem neuen Album „VI“ erzählen Sie „vom Frust der Reichen“. Macht Geld nicht glücklich?
Sido: Ich habe mittlerweile selber ein bisschen Geld und komme ab und zu in Kreise, die richtig viel haben. Dann merke ich die Unterschiede. Ich fühle mich nicht wie einer dieser Reichen, die tatsächlich in Lappalien ihre großen Probleme sehen. Sie ärgern sich darüber, dass in Afrika gerade Ausschreitungen sind, denn sie würden doch so gerne auf Safari gehen. Geld macht sowas aus Menschen. Ich glaube, ich kann von mir behaupten, dass es mich nicht so ekelhaft gemacht hat, obwohl ich mit meinem Geld genauso umgehe wie andere, die viel haben. Aber ich fühle mich diesen Kreisen nicht zugehörig.
Kultur Joker: Mussten Sie je von Sozialhilfe leben?
Sido: Ja. Ich war aber immer fleißig und habe nie wirklich rumgehangen, wie man das von einem Kiffer denkt. Ich habe diese Sozialamtsjobs gemacht, bei denen man 1,50 Euro am Tag bekommt und Zigarettenstummel aufsammeln muss. Für mich war immer klar: das kann nicht mein Leben sein.
Kultur Joker: Wie haben Sie damals gelebt?
Sido: In der Wohnung, in der wir lebten, gab es Mäuse. Wenn man auf dem Bett vor dem Einschlafen eine Chipstüte liegen gelassen hatte, kämpften die Mäuse am nächsten Morgen darin um die letzten Happen. Andere Leute würden deswegen ausziehen, wir hatten uns damit abgefunden. Wir entwickelten dann verschiedene Methoden, um die Mäuse zu fangen. Die stinkenden Tiere hängten wir in Ziplock-Tüten an der Wand auf. Wenn ich da heute drüber nachdenke, ekelt es mich. Früher hatte ich diesen Ekel nicht. Aus einer Hilflosigkeit heraus habe ich mir im Viertel eine Alles-egal-Haltung angeeignet.
Kultur Joker: In „Löwenzahn“ rappen Sie, an der Scheiße könne man eingehen oder wachsen. Was hat Sie davor bewahrt, einzugehen?
Sido: Ich bin nicht doof. Und ich hatte einen großen Haufen Glück.
Kultur Joker: Welche Zeit hat Sie am meisten geprägt?
Sido: Meine ersten 18 Jahre. Mein Leben hat eine Wendung genommen, als ich meinen ersten Plattenvertrag bekam und merkte, dass es sich auch lohnt, Musik zu machen.
Kultur Joker: Welche Eigenschaften braucht man, um das Leben zu meistern?
Sido: Wenn man das erreichen will, wovon man träumt, braucht man Eier und Ellbogen: Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein. Ich hatte Glück, dass ich in der Schule nie eines der Opfer war, sondern immer ziemlich angesehen. Mir ging es in der Schulzeit sehr gut.
Kultur Joker: In dem Song „Zu Straße“ geben Sie zu, dass es bei Ihnen bis heute nicht ganz ohne Probleme geht. Woran liegt das?
Sido: Das liegt auch an der Sicht der anderen. Natürlich habe ich ein paar Sachen gemacht und musste hier und da gucken, wie ich an Kohle komme. Im Viertel war ich aber nie einer der krassen Gangster. Für die war ich eher ein Opfer. Als ich dann in einer besseren Gegend lebte, war ich für die anderen zwangsläufig der Typ aus dem Ghetto, der mit seinem Zigeunerpack gefälligst dahin zurückgehen soll, wo er herkommt.
Kultur Joker: Diese Vorurteile verfolgen Sie immer noch?
Sido: So was höre ich in dem Viertel, in dem ich jetzt bin. Ich bin nirgendwo so richtig angesehen. An mir prallt das ab, meine Mutter trifft es mehr als mich. Vielleicht ist derjenige, der das über uns sagt, ja ein Nazi. Die Nazis wollen einen mit solchen Aussagen möglichst hart treffen.
Kultur Joker: In „Knochen und Fleisch“ bitten Sie den Sensenmann noch um ein kleines bisschen Zeit. Was gab Anlass, über den Tod nachzudenken?
Sido: Im Rahmen einer Fernsehsendung habe ich beim Bestatter gearbeitet und hatte dort natürlich auch mit Leichen zu tun. Drei Wochen vorher habe ich meinen Onkel beerdigt. Ich habe viel über den Tod nachgedacht und dabei festgestellt, wie wichtig es mir ist, weiterzuleben. Es gab eine Zeit, da war mir das egal. Mittlerweile habe ich Angst vor dem Tod. Ich hoffe, ich habe alles erlebt, wenn es einmal soweit ist.
Kultur Joker: Was müssen Sie in Ihrem Leben unbedingt noch erledigen?
Sido: Die ersten 18 Jahre, von denen ich sprach, fehlen mir. So richtig los ging mein Leben eigentlich erst vor drei Jahren. Deswegen brauche ich noch ein bisschen Zeit. Ich denke jetzt schon daran, wie es ist, wenn meine Kinder groß sind und mich besuchen kommen. Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich viele Jahre meines Lebens verpasste durch Zeug, das ich mir reingeballert habe. Das möchte ich jetzt alles hinter mir lassen und anfangen zu leben.
Kultur Joker: Wie hat Sie das Familienleben verändert?
Sido: Ich bin nicht mehr auf der Suche nach der richtigen Frau, denn ich bin ja verheiratet, bis der Tod uns scheidet. Das nehme ich sehr ernst. Wir haben bereits nach sechs Wochen geheiratet, weil wir sofort wussten, dass wir zusammen gehören. Von meinen Kindern wirst du nie ein Foto in der Zeitung sehen, auch wenn uns dafür schon Geld geboten wurde, wird es das nie geben.
Kultur Joker: Sie haben Erzieher gelernt. Worauf legen Sie bei der Erziehung Ihrer Kinder Wert?
Sido: Als Erzieher lernst du keine individuelle Erziehung, was ein Kind ja braucht. Im Kindergarten werden alle gleich erzogen. Ich will aber nicht, dass mein Kind eine Maschine wird, sondern ein Individuum. Dieses Individuelle bekommt es zuhause.
Kultur Joker: In „Gürtel am Arm“ beschreiben Sie eindringlich, wie ein Heroinsüchtiger sich fühlt. Eigene Beobachtungen?
Sido: Das kenne ich aus dem Viertel zur Genüge. Auch in meiner Familie gab es damals ein, zwei Fälle. Mit Drogen kenne ich mich aus, ohne dass ich selber davon Gebrauch gemacht hätte. Mit meinem Song versuche ich zu helfen, ohne den Zeigefinger zu erheben. Er soll Angst machen vor der Droge.
Kultur Joker: Wird hierzulande genug über Drogen aufgeklärt?
Sido: Es wird auf jeden Fall über die Wirkung harter Drogen aufgeklärt, aber nicht darüber, was sie mit deinem Leben machen. Niemand kann sich ausmalen, was harte Drogen wirklich mit einem machen, solange man keine Abhängigen persönlich kennt. Man denkt, Drogen bereiten einem eine schöne Zeit, mit diesem einen schönen Moment fängt es bei jedem an. Man muss die Jugendlichen soweit aufklären, dass sie diesen Moment erst gar nicht erleben wollen. Ich verspüre eine Verantwortung gegenüber jungen Hörern. Ich weiß, dass ich ihnen mit meiner Musik helfen kann, in eine gewisse Richtung zu kommen.
Kultur Joker: Funktionieren Drogen als Mittel zur Kreativitätsförderung?
Sido: Das weiß ich nicht, aber wenn ich schreibe, kiffe ich. In dem Zustand könnte ich in einem Raum mit hundert Leuten sein und trotzdem konzentriert weiterschreiben. Inzwischen habe ich das Kiffen ziemlich reduziert. Zum Schreiben brauche ich es aber definitiv.
Kultur Joker: In „Selfie“ erzählen Sie, wie Sie mit respektlosen Fans zu kämpfen haben. Wie oft kommt das vor?
Sido: Es gibt tatsächlich solche Typen wie in dem Song. Sogar ziemlich häufig. Denen fehlt jeglicher Respekt. Sie kennen mich aus dem Fernsehen, aber ich weiß nichts über sie. Sie haben einen riesigen Vorteil, allein diese Situation ist schon ekelhaft. In einem Restaurant schleichen sich manchmal Betrunkene von hinten an mich heran und legen den Arm um mich, um ein Selfie zu machen. Einmal saß ich mitten im Meeting und da kommt ein Typ mit Alkoholfahne und umarmt mich einfach so. Ich bin für die wie ein Kumpel, weil sie meine Musik kennen. Ich bin immer offen für ein kurzes Gespräch, Fotos oder Autogramme, aber nicht auf diese respektlose Art und Weise. Das ist mir ehrlich gesagt peinlich.
Kultur Joker: Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Sido: Keine Ku‘dammspaziergänge mit der Familie mehr. Einkäufe tätige ich nur noch mit dem Auto. Meine Ruhe finde ich eigentlich nur noch im weiteren Ausland, wo man nicht von Deutschen belagert wird. Das ist der Preis des Erfolges. Das Schöne am Erfolg ist hingegen, zu wissen, dass es funktioniert, was man sich so ausdenkt. Ansonsten kann ich über meinen Kontostand nicht meckern. Aber das ist nicht das ausschlaggebende.
Kultur Joker: Können Sie noch unbefangen in einen Club gehen, um sich privat ein Konzert anzusehen?
Sido: Ich versuche, so viele Konzerte wie möglich in Amerika zu sehen, wenn ich dort bin. Oder ich gehe in Berlin mit Bodyguards los. Das mache ich aber nicht so gerne, weil es ein komisches Bild von mir abgibt.
Kultur Joker: Ihre diesjährige Tournee ist Ihre bisher größte. Was haben Sie sich dafür vorgenommen?
Sido: Darüber mache ich mir sehr viele Gedanken. Ich will nicht einfach nur Geld abgreifen, sondern den Leuten richtig was bieten. Für mich ist es eine große Nummer, in solchen Hallen spielen zu dürfen. Gäste wird es auch geben. Andreas Bourani kommt bestimmt mal vorbei.
Am 18. November, 20 Uhr, wird Sido in der Rothaus Arena in Freiburg zu Gast sein. Infos/Karten: www.koko.de
Bildquellen
- Ein großer Haufen Glück – SIDO 2015 © Murat Aslan: Foto: © Murat Aslan