Interview

Im Gespräch: Till und Felix Neumann, Hip-Hop-Duo Zweierpasch / „Hip-Hop ist im Kern eine Friedensbewegung“

Hip-Hop gegen Waffen und Waffenhandel. Ein Widerspruch in sich? Nein, meint das Freiburger Hip-Hop-Duo Zweierpasch. Ihre neue Single „Panzer Politik Poesie“ macht klar: Wir müssen aufhören, aufzurüsten. Das düstere Musikvideo jedenfalls endet drastisch. Fabian Lutz hat die Zwillingsbrüder und Musiker des „World Hip-Hop“ per Videocall getroffen. Ein Gespräch über den Waffenkult im Rap, den richtigen Sound und über das schwierige Image, eine „Europa-Band“ zu sein.

Kultur Joker: Das Image besagt: Hip-Hop und Waffen passen gut zusammen. Nur weniger im Kontext einer Kritik an der Waffenindustrie als im Rahmen unreflektierter Waffen- und Gewaltverherrlichung. Wie steht ihr zum Waffenhype im Hip-Hop?

Till Neumann: Den sehen wir kritisch. Wir fühlen uns so einer Art des Hip-Hops auch nicht zugehörig. Bisher haben wir auch keine Videos mit Waffendarstellungen gedreht, „Panzer Politik Poesie“ ist für uns da eine Premiere. Darüber haben wir mit dem Regieteam lange gesprochen und erst am Ende des Tages war klar: Auch ich und Felix tragen im Video eine Waffe. Das hat sich aber auch strange angefühlt.

Zweierpasch Videoszene ©Panoramique

Kultur Joker: Eure neue Single kommt sehr stylisch und martialisch daher. Schnelle, harte Raps und ein düsteres, atmosphärisches Video, das mit seinen Shootouts auch an coole Gangsterfilme erinnert. Ist da nicht doch eine heimliche Faszination an der Waffenästhetik dabei?

Felix Neumann: Der Kraft, die harte Worte und Waffen in Musikvideos haben, kann man sich nicht komplett entziehen. Wir haben uns zwar nicht bewusst für eine solche Ästhetik entschieden, aber der Impact hat uns voll angesprochen. Wer das Video bis zum Ende sieht, weiß aber auch, was wir damit aussagen wollen.

Kultur Joker: Dann besser umgekehrt gefragt: Wie gut eignet sich das Genre Hip-Hop für Friedens- und Verständigungsbotschaften? Viele Künstler*innen des Genres pflegen in ihrem Rapstil ja eine gewisse Härte oder sogar Aggressivität.

Till Neumann: Hip-Hop ist im Kern eine Friedensbewegung, allein wenn man daran denkt, wie die Kultur entstanden ist. Afrika Bambaataa und seine „Zulu Nation“ wollten ab den 70er-Jahren die physische Gewalt auf den Straßen in kreative Gewalt ummünzen. Statt mit Faust- und Waffenkämpfen sollte man in kreativen Hip-Hop- oder Tanzbattles gegeneinander antreten. Diese Ausprägung war immer da, aber medial nicht immer präsent. In dem Stil wollen wir den Hip-Hop aber weiterführen – wir sehen uns ganz in der Tradition der Gründerväter. Natürlich nutzt dieser sozialkritische „Conscious Rap“ auch Sprach-, Sound- und Bassgewalt – aber um etwas zum Positiven zu verändern. Hip-Hop hat etwas Hartes und Aggressives. Das hat uns als Jugendliche auch gefesselt. Einfach nur ein Beat und ein Mic und dann auf die Zwölf.

Kultur Joker: Zurück zu eurer Kritik an der Waffenindustrie. Grundsätzlich ein Herzensthema oder gab es einen bestimmten Auslöser, warum ihr euch jetzt so explizit in „Panzer Politik Poesie“ darauf bezieht?

Felix Neumann: Wir waren immer nah an der Friedensbewegung, schon über unsere Familie. Ich war auch immer ein Mensch, der gegen jede Gewalt und Waffennutzung ist. Es gab aber auch einen konkreten Auslöser für unseren Song. Wir haben 2018 bei dem bundesweiten Friedensstaffellauf „Frieden geht“ mitgemacht. Der begann bei Heckler und Koch im Schwarzwald und ging mit wechselnden Läufern in verschiedenen Etappen bis vors Bundeskanzleramt. Wir haben in Lahr und vor dem Kanzleramt jeweils ein Konzert gespielt. Das Thema Waffenhandel haben wir in Songs immer wieder angesprochen, aber erst nachdem wir im Rahmen unserer Konzerte viel mit Aktivisten gesprochen hatten, entstand die Idee, einen Song daraus zu machen.

Till Neumann: Als viel reisende Band kommen wir häufiger in Krisengebiete im Ausland. Wir waren schon in der Ukraine oder in Westafrika, wo die Lage politisch oft angespannt ist. Wir haben die Auswirkungen der weltweiten Aufrüstung unmittelbar mitbekommen, etwa angesichts der vielen Panzer nach den Maidan-Protesten in der Ukraine.

Felix Neumann: Wir hatten in Mali aber auch eine interessante Begegnung mit deutschen MINUSMA-Soldaten, das ist die UNO-Friedensmission, die dort im Einsatz ist. Uns wurde vorher bereits gesagt, dass wir während unseres Aufenthalts in Mali Militärschutz gebrauchen könnten. Neben uns im Restaurant aßen dann deutsche Soldaten zu Mittag, um für unsere Sicherheit zu sorgen.

Kultur Joker: Das war beruhigend, oder?

Felix Neumann: Grundsätzlich sind wir gegen Auslandseinsätze und damit auch gegen den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Mali. Aber ja, das hat uns schon zum Nachdenken gebracht. Wie weit soll man sich radikal gegen jeden Waffen- und Militäreinsatz aussprechen? Wir kamen aber zum Schluss, dass kein Waffeneinsatz doch die beste Lösung ist. Weniger Waffen bedeutet immer noch, dass Menschen sterben. Mittel- und langfristig ist die Abschaffung von Waffen der einzige Weg die Welt friedlicher zu machen.

Kultur Joker: „Panzer Politik Poesie“. Panzer und Politik passen gut ins Gegnerprofil der Friedensbewegung. Wie steht aber die Poesie zu diesen beiden?

Till Neumann: Im Titel steckt auch unsere Art, Musik zu machen. Wir greifen immer wieder politische Themen und aktuelle Debatten auf – aber nicht mit Fingerzeig, sondern auf eine poetische Art und Weise. Die Hörer sollen sich ihr eigenes Bild machen. Mit „Plastique de Rêve“ haben wir vor einem Jahr das Thema Plastikmüll auf eher abstrakte Weise behandelt. Für manche war das vielleicht zu abstrakt, aber wir finden es spannend, wenn man beim ersten Hören nicht gleich alles checkt. Wir machen es unseren Hörern als zweisprachige Band sowieso nicht immer einfach. Wir machen komplexe Musik, das wissen wir, aber das Leben kann man auch nicht auf zwei Buchseiten erklären.

Kultur Joker: Ist es also eine Gratwanderung zwischen Politik, die ja viele Menschen anspricht, und eurer eigensinnigen Poesie, die nicht gleich alle ansprechen wird? Müsst ihr auch manchmal Kompromisse machen und die eine kreative Idee dann doch verwerfen?

Felix Neumann: Wenn du Berufsmusiker bist, liegt dir natürlich daran, dass deine Musik auch viele Leute hören. Daher stellst du dir natürlich immer wieder die Frage, wie du deine Ideen zugänglich machen kannst. Als Künstler lebst du davon, welche Rückmeldung du bekommst und ob Interesse an deiner Kunst besteht. Wir haben mittlerweile auch mehr Geld für Videos, machen größere Tourneen, kommen immer wieder in neue Länder. Aber für den Erfolg habe ich mich noch nie gegen diesen Song oder gegen jenes Thema entschieden.

Kultur Joker: Es gibt aber schon pragmatische Fragen, denen ihr euch stellen müsst. Allein, wenn es um die Finanzierung geht.

Felix Neumann: Ja, da geht es aber eher um die Form der Songs. Wenn ein Song im Radio laufen soll, braucht er zum Beispiel eine bestimmte Länge und eine eingängige Bridge. Man kann sich schon die Frage stellen, ob man nicht zwei Songs auf dem Album eher zugänglich und auch fürs Radio macht, damit man seine Musik finanzieren kann. Für mich als Berufsmusiker ist es gut, wenn mir der Song gefällt und gleichzeitig auch den Hörgewohnheiten entgegenkommt und zum Beispiel auch auf Streamingplattformen funktioniert.

Kultur Joker: Corona setzt der Kulturbranche sehr zu, das ist offensichtlich. Habt ihr aus der Krisenzeit auch etwas Positives ziehen können?

Till Neumann: Wir sind von der Krise wie viele hart getroffen. Weil wir beide neben unserer Musik noch Nebenjobs haben, haben wir auch keine Soforthilfen bekommen. Aber es gab auch viel Positives. Wir sind vor kurzem beide Väter geworden und hatten ohne Tourneen mehr Zeit für unsere Familien. So komisch es klingt – das war kein schlechtes Timing. Und es bleibt viel Zeit für kreatives Arbeiten. Mit den vielen Terminen und Projekten die letzten Jahre hatten wir nicht immer so viel Zeit für Songwriting wie wir gern gehabt hätten. Die hatten wir aber jetzt und das haben wir genutzt. In den letzten acht Monaten haben wir zehn Songs veröffentlicht, manche mit, manche ohne Video, und zwei, drei Songs kommen die nächsten Monate dazu. Aber wie alle wünschen wir uns auch wieder mehr Normalität.

Kultur Joker: Mit eurem Kreativprojekt „Ecole du Flow“ bringt ihr Schüler*innen ab 8 Jahren aus Deutschland und Frankreich seit 2018 zusammen und gestaltet mit ihnen deutsch-französische Texte, Lieder und Videos. Am Ende stehen eine Jury und Auftritte vor großem Publikum. Die dritte „Ecole du Flow“ soll September 2021 starten. Was, glaubt ihr, können Kinder von dieser Erfahrung mitnehmen?

Felix Neumann: Einer der Gründe für diese Projekt liegt in unserer Biografie. Wir haben in der Schule früh gemerkt, dass wir Fremdsprachen mögen. Zur französischen Sprache kamen wir auch, weil wir als Hip-Hop-Fans französischen Rap für uns entdeckt haben. Weil wir die Texte aber nicht verstanden haben, wollten wir besser Französisch lernen. Ohne die Motivationsspritze Musik wäre das vielleicht nicht so gekommen.

Kultur Joker: Bei der „Ecole du Flow“ stehen aber auch bestimmte, auch politische Themen im Mittelpunkt der Kreativprojekte der Schüler*innen.

Felix Neumann: Mit Musik kann man bestimmte Themen einfach besser auf den Punkt bringen. Das ist die Kraft des Kreativen, die Magie der Musik. Im ersten Jahr der „Ecole“ hatten wir das Thema „Europa und Erster Weltkrieg“ im zweiten das Thema „Umwelt“. Musik ist auch das perfekte Medium, um Menschen zusammenzubringen, die nicht dieselbe Sprache sprechen. Wenn man zusammen an einem Track arbeitet, kann man zusammen Feuer fangen und zusammenwachsen.

Till Neumann: Die Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern sind sehr euphorisch. Für viele ist das ein Highlight im Schuljahr. Nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch die Aussicht auf ein Konzert – mit bis zu 800 Zuschauern! Mit so einem Projekt kann man über den Tellerrand schauen, man kann spüren, dass man in der Schule nicht nur für die Schule lernt, sondern mit einer Fremdsprache zum Beispiel auch cooles Zeug machen kann. Man kann Künstler werden.

Kultur Joker: Dahinter steht ja auch die europäische Idee einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Seht ihr euch dem als zweisprachige Band besonders verpflichtet – gerade auch zu Zeiten von Nationalismus, Rassismus und Grenzschließungen?

Felix Neumann: Wir werden immer wieder als die „Europa-Band“ präsentiert, aber ich mag den Begriff ehrlich gesagt nicht. Wir sind Befürworter der europäischen Idee und finden es super, dass man sich ohne Grenzkontrollen bewegen kann, die gleiche Währung hat oder keine Auslandsgebühren beim Telefonieren zahlen muss. Das klingt banal, aber früher war das alles nicht möglich. Die Europäische Union mit ihren Vorgaben und ihrem Bürokratismus finden wir aber weniger gut. Das sieht man auch an unserer Haltung zu Themen wie Fessenheim, Plastikmüll oder eben Waffenhandel. Die Union plant zum Beispiel, eine große europäische Armee aufzubauen. Wir wehren uns dagegen, als Band gesehen zu werden, die die Europäische Union repräsentiert, auch wenn die Union auch gute Ansätze verfolgt. Und: Wir reisen nicht nur in Europa, sondern in die ganze Welt. Es ist wichtig, auch einmal auf außereuropäische Kulturen zu treffen, ebenso auch auf Armut, Kriegsfolgen und die Umweltzerstörung weltweit. Als Band stehen wir für offene Grenzen und Kulturaustausch weltweit, nicht nur in Europa.

Kultur Joker: Zum Schluss ein Ausblick: Gemeinsam mit dem Rapper Master Soumy aus Mali arbeitet ihr am kommenden Album „Freedom“, im Herbst 2021 soll es eine Tour dazu geben. Was erwartet uns auf dem Album? War „Panzer Politik Poesie“ ein Vorgeschmack?

Till Neumann: Noch wissen wir nicht, welche Songs aufs Album kommen. Wir beginnen erst im April mit dem Songwriting. Auch schreiben wir noch an den Förderanträgen und hoffen auf ein „Okay“ vom Coronavirus. Aber wir gehen davon, dass alles läuft. Auf jeden Fall wird das Album, wie auch unsere Single, politisch. Master Soumy ist ein Sprachrohr der Jugend in Mali, der es sehr schlecht geht. Mali durchlebt harte Zeiten, mit Terrorismus, Armut, politischen Umbrüchen. Dafür wollen wir auch in Deutschland Gehör schaffen. Aber es wird auch um das Thema Umwelt gehen. Beim Thema Umwelt sitzen wir alle im selben Boot. Umwelt ist auch eine Frage der Freiheit und die steht im Zentrum des Albums. Denn wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir uns irgendwann sehr unfrei fühlen. Zu Zeiten von Corona, aber auch den Querdenker-Demonstrationen ist Freiheit aber ein sehr kontroverser Begriff geworden. Es wird also nicht einfach, sich auf wenige Songs zu beschränken.

Kultur Joker: Danke euch beiden für das Gespräch!

Bildquellen

  • Till und Felix Neumann auf dem ZMF 2020: Stefanie Ringshofer