Im Gespräch: Reinhild Dettmer-Finke und Volker Finke von der Initiative „Statt-Tunnel“
„Mitten in der Stadt Freiburg plant die Autobahn GmbH eines der spannendsten Autobahn-Innenstadtprojekte Deutschlands: die A 860 mit dem Stadttunnel Freiburg.“ Die ernstgemeinte Ankündigung der ‚Autobahn GmbH‘ klingt wie eine Drohung. Dagegen kommen ihre Werbezeichnungen wie irreale grüne Träumereien daher. Die Filmemacherin und Freiburger Kulturpreis-Trägerin Reinhild Dettmer-Finke und der Ex-SC-Trainer mit Kult-Status, Volker Finke, engagieren sich für Klimaschutz und die Mobilitätswende. Beide haben sich in die Freiburger Tunnel-Pläne vertieft und bringen mit immer mehr Mitstreiter:innen in der Initiative ‚Statt-Tunnel‘ die offiziellen Luftschloss-Fassaden ins Wanken. Was steckt hinter der unpräzisen Angabe der Autobahn GmbH, wonach „erhebliche Teile des Verkehrs“ in den Untergrund verlegt werden könnten?
Kultur Joker: Autoverkehr unter die Erde und obendrauf eine Flanier-Meile – das klingt doch erst mal ganz schön. Wieviele „Meilen“ sollen es denn werden, die an der Dreisam vollständig von Lärm und Abgasen befreit werden sollen?
Volker Finke: Oh, das wird enttäuschend. Gar keine Meile. Noch nicht mal ein Kilometer. Denn es wird weiterhin erheblichen Oberflächenverkehr geben müssen. Expert:innen sprechen von bis zu 60 %. Aber belastbare Planungen fehlen bis heute. Eine Variante: Auf der Südseite soll der Verkehr einspurig in beide Richtungen geführt werden. Da würde es weiterhin stinken und lärmen. Also, kaum Entlastung für die Anwohnenden, vermutlich sogar Staugefahr.
Auf der Nordseite, also der Dreisamstrasse, sieht es anders aus. Dort würde es für die Zufahrt zu den Wohnhäusern weiterhin eine Straße geben, die so breit sein müsste, dass sie bei den regelmäßigen Tunnelschließungen zur Revision bzw. bei Unfällen etc. als Alternativroute taugt. Sollte also das der Boulevard sein? Die 600 Meter von der Kronenbrücke bis zur Schwabentorbrücke? Davon die Hälfte Steilufer.
Übrigens würde die einzige Stelle, die heute an der Dreisam wirklich etwas „Stadt am Fluss“ vermittelt in Höhe des Café Extrablatt während einer Bauzeit von 8-10 Jahren zum Ablageplatz für Baufahrzeuge und Materialien werden. Das Café würde abgerissen. So sieht es der Pachtvertrag vor. Freiburg zahlt also einen ganz schön hohen Preis für am Ende etwas Entlastung für Wenige.
Kultur Joker: Mit dem Stadttunnel kann der 12 km lange B31-Abschnitt zwischen der A5, Autobahnabfahrt Freiburg-Mitte, und der östlichen Freiburger Stadtgrenze „hochgestuft“ werden zur Autobahn (A 860). Dies ist ein juristischer Kniff, um an Millionenbeträge aus dem Bundes-Verkehrsministerium zu bekommen, weil Stadt und Ländle nicht genug Steuermittel auftreiben können. Zwei Kilometer Tunnel und 12 Kilometer Stadt-Autobahn für 600 m Dreisam-Boulevard? Was bedeutet eine Autobahn mitten in Freiburg?
Reinhild Dettmer-Finke: Natürlich gilt immer noch die Erkenntnis: Wer Strassen sät, wird Verkehr ernten. Also, wenn ich eine Durchfahrt vereinfache, mache ich die Strasse attraktiver. Das heißt mehr Verkehr. Problematisch an der Autobahn sind die beiden innerstädtischen Vollanschlüsse auf der Strecke von 1400 Metern. Das Wort „Vollanschluss“ bedeutet, dass es in beiden Richtungen je eine Ein- und eine Ausfahrt gibt. Der eine soll an die Kronenbrücke. Das heißt, innerstätischer Verkehr Richtung Westen würde über die Faulerbadwiese geführt. Bei der Ganterbrauerei entstünde der „Ganterknoten“ mit Ab- und Zufahrten in Form von offenen Trögen und Rampen, da der Platz für die sonst üblichen „Ohren“ bei Autobahnvollanschlüssen fehlt.
Was uns große Sorge bereitet ist der Zufahrtsverkehr zu den Vollanschlüssen durch Stadtquartiere wie Oberau, Wiehre oder Sedanquartier. Welches Signal würde ein Schild Autobahnabfahrt Freiburg Münster auslösen? Mit dem PKW ohne Ampeln direkt in die Innenstadt? Wollen wir das?
Kultur Joker: In einem Brief der Tunnelbefürworter:innen an Verkehrsminister Wissing ist die Rede von 57.000 Kraftfahrzeugen pro Tag, davon allein 5.500 LKW. Wer sich an die Straße stellt, liest auf den LKW hauptsächlich Schriftzüge mit „Transport“ oder „Logistik“. Was wird denn da transportiert?
Reinhild Dettmer-Finke: Genau auf diese Frage hätten wir sehr gerne eine Antwort. Wir fordern eine qualitative Verkehrsuntersuchung, die zeigt vorher die LKW kommen, wohin sie fahren und was sie geladen haben. Das ist für eine Tunnelplanung, die auch vom Schwerverkehr entlasten soll, unverzichtbar.
Grundsätzlich müssen wir Verkehr reduzieren, auch um die Klimaziele zu erreichen.
Für die Pendler:innen muss der ÖPNV und das Radwegenetz ausgebaut werden. Güter gehören auf die Schiene und ihre Menge sollte grundsätzlich hinterfragt werden. So wie jeglicher Strassenbau. Dazu gehört auch die nicht mehr zeitgemäße Planung der „B31 West Neu“. Sie wäre ein weiteres Glied in dem schleichenden Ausbau einer „Schwarzwaldautobahn“ und würde die Anfahrt nach Freiburg noch attraktiver machen.
Kultur Joker: Warum diese Verkehrszunahme besonders im Schwerlastverkehr?
Volker Finke: Zum einen gibt es die wirtschaftspolitisch gewollte „Just in Time“ Logistik, bei der Unternehmen ihre Lagerhaltung auf die Strasse verlegen. Auch eine innereuropäische Arbeitsteilung z.B. in der Autoindustrie, in der Teile in vielen unterschiedlichen Ländern produziert und entsprechend transportiert werden müssen, trägt zum erhöhten Schwerverkehrsaufkommen bei.
Auffallend sind die vielen Kennzeichen aus osteuropäischen Ländern. Dahinter steckt ein problematisches EU-Verständnis. Viele westeuropäische Transportunternehmen haben mit EU-Fördergeld eine Filiale in Osteuropa aufgebaut, um die Fahrer zu den dortigen deutlich niedrigeren Mindestlöhnen zu bezahlen. Fahrer, die überwiegend in Westeuropa unterwegs sind. Das macht den Gütertransport zu billig. Er muss teurer und weniger werden: Faire Löhne, CO2-Bepreisung wären ein Anfang.
Kultur Joker: Können wir mit unserem Konsumverhalten den LKW-Verkehr reduzieren?
Reinhild Dettmer-Finke: Natürlich! Wir sind es gewohnt, dass Gemüse und Obst aus aller Welt zu jeder Jahreszeit verfügbar sind. Transportwege und andere ökologische Folgen auch in Erzeugerländern blenden wir zu gerne aus. Wir verbrauchen 3 Erden mit unserem Lebensstil der Externalisierung.
Kultur Joker: Und ob der „Verzicht“ auf Butter aus Irland, Milch aus Bayern oder Wasser aus Frankreich in Plastikflaschen wirklich Verzicht ist, müsste noch geklärt werden. Immerhin verursacht die LKW-Lawine Lärm, Gestank, Infrastruktur-Kosten und Klimaschäden. Gibt es Möglichkeiten, sie sofort aus der Stadt raus zu halten?
Reinhild Dettmer-Finke: Eine unserer Forderungen ist ja ein Transitverbot für Schwerlastverkehr, um die Anwohner:innen in Freiburg, in Falkensteig bis hoch in den Schwarzwald zu entlasten. Immer mehr 40-Tonner durchqueren Europa durch das Nadelöhr Freiburg, weil es attraktiver ist, als die Alternativrouten: Die bestehenden Autobahnen, z.B. in der Schweiz, sind deutlich teurer (Maut) und mit Nacht- und Wochenend-Fahrverboten unattraktiver. Auch die LKW-Maut-pflichtige A5/A8 ist für viele Routen nur unwesentlich länger. Das Transitverbot würde auch der regionalen Wirtschaft helfen. Handwerker, die stundenlang im Stau stehen, können ein Lied davon singen. Und nein, ein Transitverbot für den Schwerlast-Fernverkehr würde die Be- und Entladestationen im Umkreis von 75 Kilometern nicht betreffen. Grundsätzlich sind wir aber der Meinung, dass auch der Güterverkehr deutlich weniger werden muss.
Kultur Joker: Wie lange würde es dauern, bis die B31 zur Schwarzwaldautobahn A860 umfunktioniert würde?
Reinhild Dettmer-Finke: Die Umwidmung ist ja bereits im Bundesverkehrswegeplan 2030 angelegt. Allerdings sagt das nichts über den Zeitrahmen für den Bau des Tunnels aus. Wir sehen, dass ein mögliches Fertigstellungsdatum immer weiter verschoben wurde bis in die 2040er Jahre. Heute mag niemand mehr einen Termin nennen. Dafür gibt es gute Gründe: Steigende Kosten, fehlende Arbeitskräfte, Ressourcenknappheit und ein Klimagesetz, das emissionsstarke Bauwerke wie Straßentunnel auf den Prüfstand stellt.
Kultur Joker: Apropos Ressourcenknappheit: Der Asphalt-Klebstoff Bitumen ist nur ein Raffinerie-Nebenprodukt bei der Herstellung von Benzin und Diesel aus Erdöl. Das wird interessant nach dem Verbrenner-Aus. Aber nehmen wir an, die Bauarbeiten starten tatsächlich noch bevor der Mangel zu massiven Problemen beim Straßenbau führt. Wie geht’s nach der Planungsphase weiter?
Volker Finke: Also, Baubeginn wäre erst nach vielen Jahren, wenn alle Voruntersuchungen und Gutachten eingeholt sind, Planfeststellungsverfahren und Vorarbeiten abgeschlossen sind. Dann würden Baumaßnahmen unsere Stadt für 8-10 Jahre lahmlegen. Nur ein paar Beispiele: Ein Riesenloch beim Ganter. Fährt die Linie 1 dann noch? Wo fließt der Verkehr in Ost-West-Richtung? Wo fahren tausende LKW mit Aushub und Baumaterial? Lassen sich problemlos 1,4 km Tunnel unterhalb der Dreisam und einiger Stadthäuser bohren oder wird Freiburg ein neues Stuttgart 21? Oder Staufen? Wir machen uns große Sorgen!
Kultur Joker: Zum Schluss noch etwas Positives: Hertha BSC macht Schlagzeilen, weil der Präsident zu einer Radtour zum nächsten Bundesligaspiel einlädt. Würde eine solche Aktion in Freiburg auch funktionieren?
Volker Finke: Tatsächlich gibt es einen Fan, der ALLE Auswärtsspiele mit dem Fahrrad absolviert! Der hat meine volle Hochachtung!
Kultur Joker: Warum sieht man fast nie Profi-Kicker mit dem Fahrrad zum Training radeln?
Volker Finke (lacht): Dafür mag es viele individuelle Gründe geben. Vielleicht gibt es zu viel Parkraum am Arbeitsplatz. Mitunter fordern die Auto-Sponsoren auch die medienwirksame Anreise der Sportler mit der entsprechenden Marke.
Mir ist nicht bekannt, ob in Freiburg inzwischen die Spieler ihre Autos beim Sponsor Cazoo* bestellen müssen (lacht wieder), sehr schön ist, dass man Christian Streich fast ausschließlich auf dem Fahrrad sieht!
Kultur Joker: Herzlichen Dank für das Gespräch!
*Cazoo ist ein Online-Gebrauchtwagenhändler, der PKW via LKW frei Haus anliefert.
Die Initiative ‚Statt-Tunnel‘ wird unterstützt von
AK Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V.
Förderverein für klima- und umweltverträgliche Mobilität
FUSS- & RAD Entscheid FREIBURG
Mobilitätswende für Baden-Württemberg
Bildquellen
- Reinhild Dettmer-Finke und Volker Finke beim Klimastreik am 23. September in Freiburg. Mit ihren Mitstreiter:innen der Initiative StattTunnel engagieren sie sich gegen die geplante Autobahn durch Freiburg.: Foto: Eva Stegen