Im Gespräch: Prof. Dr. Michael Pregernig, Fachmann für Nachhaltigkeit im gesellschaftspolitischen Kontext
Prof. Dr. Michael Pregernig ist ausgewiesener Fachmann für Nachhaltigkeit im gesellschaftspolitischen Kontext. Wie Umweltpolitik an der Schnittstelle von Forschung, Politik und Gesellschaft funktionieren (kann), dazu hat Julian Hienstorfer ihn befragt.
UNIversalis: Herr Pregernig, Sie haben den Lehrstuhl für Sustainability Governance der Universität Freiburg inne. Könnten Sie kurz skizzieren, worum es sich dabei handelt?
Pregernig: In der Lehre sind wir vor allem für den internationalen Master of Science Studiengang „Environmental Governance“ – kurz MEG – zuständig, der in Freiburg bereits 2005 gegründet wurde. Studiengänge, die Umwelt und ein breiteres Spektrum an Sozialwissenschaften zusammendachten, gab es damals noch recht wenige. Es existierten lediglich solche, die entweder rein politikwissenschaftliche Zugänge zu Nachhaltigkeit und Umwelt wählten oder sich auf einen naturwissenschaftlich-technischen Zugang fokussierten. Der MEG ist dazwischen angesiedelt, er ist dezidiert interdisziplinär.
UNIversalis: Inwiefern ist dieser Ansatz eine Besonderheit?
Pregernig: Typischerweise sind Studiengänge noch stark an einzelne Disziplinen geknüpft – was wohl aus ihrer Verortung in disziplinär organisierten Fakultäten resultiert. Damit lassen sich viele Umwelt- und Nachhaltigkeitsproblematiken aber nicht ganzheitlich greifen. Die Idee unseres Studiengangs war es, ein besonderes Augenmerk auf disziplinare Offenheit zu legen, um damit integrative und querschneidende Fragestellungen adäquater angehen zu können.
Mein persönliches Forschungsinteresse ist dabei die Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Wie die wechselseitige Kommunikation gelingen kann – damit habe ich mich in den letzten Jahren viel beschäftigt.
UNIversalis: Wie werden denn wissenschaftliche Erkenntnisse von der Universität in die Öffentlichkeit getragen?
Pregernig: In der öffentlichen Diskussion ist bisher besonders die Schnittstelle von Wissenschaft und Politik problematisiert worden. Eine Verbreiterung der Debatte in Richtung einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Akteuren – aber auch der Wirtschaft – fand erst in den letzten Jahren statt.
UNIversalis: Wie können denn diese Schnittstellen nun verbessert werden?
Pregernig: Ich glaube, dass man hier nicht erst am Ende der Kette, bei der Wissenschaftskommunikation, ansetzen darf, sondern dass schon bei der Frage begonnen werden muss, welche Forschung denn überhaupt gefördert wird. Da hat sich in den letzten Jahren ein starker Trend in Richtung problembezogener Forschungsprogramme gezeigt, zum Beispiel zu Biodiversität, Klimaschutz oder Kreislaufwirtschaft. Gerade aus den Fachministerien heraus kommt der Ruf nach Forschung, an deren Ende anwendbare Ergebnisse stehen. Das ist nicht immer einfach. Daneben braucht es natürlich auch weiter grundlagenorientierte Forschung.
UNIversalis: Wie schätzen Sie denn den Umgang mit den wissenschaftlichen Ergebnissen ein? Pickt man sich da die Rosinen heraus oder werden auch ambivalente Ergebnisse akzeptiert?
Pregernig: Es gibt dieses Cherry-Picking durchaus. Gerade in kontroversen Feldern wie der Umweltpolitik – Stichwort Kohleausstieg – ist es wenig verwunderlich, dass es kracht, wenn ökonomische, soziale und ökologische Interessen aufeinandertreffen. Da suchen sich die jeweiligen Interessensvertretungen jene wissenschaftlichen Ergebnisse heraus, die ihre Belange am besten befördern.
Ein Problem sehe ich auch darin, wie man sich den Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen vorstellt. Wenn man hier erwartet, dass die Wissenschaft lediglich einen Bericht vorlegt und Politik und gesellschaftliche Akteure damit machen können, was sie wollen, dann überrascht es nicht, wenn nur das aus den Ergebnissen herausgelesen wird, was den jeweiligen Interessen entspricht.
Diesem – meiner Meinung nach naiven –Transferbild versucht man nun auch von wissenschaftlicher Seite aus zu begegnen.
UNIversalis: Wie kann man denn etwas dagegen tun?
Pregernig: Ein Trend, der dem entgegenwirkt, ist der der transdisziplinären und transformativen Forschung. Darunter versteht man einen Modus von Wissenschaft, der nicht nur verschiedene wissenschaftliche Disziplinen zusammenbringt, sondern auch gesellschaftliche Akteure in den Forschungsprozess miteinbezieht.
Bereits in der Phase der Formulierung von Forschungsfragen werden zivilgesellschaftliche Akteure, also organisierte Bürger:innenschaften eingeladen, ihre Interessen zu formulieren. Auch im Forschungsprozess selbst werden die gesellschaftlichen Akteure inkludiert. Wenn man in diesen Formaten forscht, ist die Gefahr, dass am Ende ein Cherry-Picking stattfindet, deutlich geringer, weil die verschiedenen Akteure von Beginn an involviert waren. In Baden-Württemberg wurde diese Art von Forschung zuletzt unter anderem durch die sogenannten „Reallabore“ vom Wissenschaftsministerium recht prominent gefördert.
UNIversalis: Was kann man denn unter einem solchen Reallabor verstehen?
Pregernig: Ein Reallabor ist ein Forschungskontext, in dem zivilgesellschaftliche Akteure, aber auch Unternehmen, politische Akteure und solche der Verwaltung zusammen mit der Wissenschaft versuchen, Probleme zu benennen, zu beforschen und aus all dem etwas zu lernen. Vor ein paar Jahren hatten wir an der Universität Freiburg beispielsweise ein Reallabor im und zusammen mit dem Nationalpark Schwarzwald. Auch mit der Stadt Freiburg hat unsere Fakultät schon in zahlreichen transdisziplinären Projekten zusammengearbeitet.
UNIversalis: Nun gibt es auf Bundesebene seit kurzem auch das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ist das Symbolpolitik oder ist die Politik auch auf dieser Ebene sensibler für das Thema Nachhaltigkeit geworden?
Pregernig: Die Hoffnung, dass diese Themen in Zukunft prominenter sein werden, besteht durchaus. Da ist mittlerweile der Problemdruck zu groß geworden, um sich wegzuducken. Der Klimawandel und seine Folgen sind schlicht und ergreifend nicht mehr wegzuleugnen; ein Trockenfrühling und Hitzesommer folgt auf den nächsten. Die Politik bewegt sich, und die Grünen sind da sicherlich ein progressiverer politischer Akteur. Aber man sieht auch, dass sich konservativere, wirtschaftsorientiertere Parteien Umwelt- und Klimaschutz auf die Fahnen schreiben. Klimapolitik ist zum Mainstream geworden.
UNIversalis: Aber wie viel ist denn dabei „auf die Fahnen schreiben“ und wie viel ist tatsächliche Umsetzung?
Pregernig: Es muss noch viel getan werden, die Probleme sind riesig und es geht mitunter doch noch in recht kleinen Schritten voran. Aber beispielsweise das neue Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, von dem wir vorhin gesprochen haben, finde ich in seinem Zuschnitt spannend. Zunächst klingt es widersprüchlich, dass da ein Minister für Wirtschaft auf der einen und Klimaschutz auf der anderen Seite zuständig sein soll. Manche mögen sagen: Es ist vor allem die Wirtschaft, die den Klimaschutz infrage stellt. Ich sehe diese Verbindung aber als große Chance, weil damit nicht ein Ministerium dem anderen den schwarzen Peter zuschieben kann, sondern Widersprüche innerhalb einer Verwaltungseinheit aufgelöst werden müssen.
Früher war Umweltpolitik sehr silomäßig strukturiert: Es gab ein Umweltministerium, ein Agrarministerium und ein Verkehrsministerium. Wenn man sich aber fragt, wo die Umweltprobleme denn eigentlich herkommen, dann wird deutlich, dass es beispielsweise agrarische Strukturen sind, die zu Nitrat-Problemen oder Biodiversitätsverlust führen. Es sind bestimmte Formen der Mobilität, die zu Emissionen führen. Diese Beispielreihe ließe sich fortführen. Man wäre politisch besser gefahren, wenn man bereits früher querschneidende, integrativere Verwaltungseinheiten geschaffen hätte. Jetzt gibt es mit dem neuen Ministerium aber die große Chance, Wirtschaft und Klima unter einen Hut zu bekommen. Klimaschutz kann nur dann effektiv sein, wenn er auch von der Wirtschaft betrieben wird – und er wird es auch.
UNIversalis: Das ist ein interessanter Punkt. Haben Sie dafür ein Beispiel?
Pregernig: Wenn Sie sich den letzten Klimagipfel in Glasgow ansehen, dann ist auf der politischen Ebene nicht allzu viel vorangegangen. Im Vorfeld der Konferenz haben aber einige große Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen beschlossen, dass es für sie mittelfristig nicht mehr tragbar ist, in fossile Energien zu investieren. Dementsprechend werden jetzt auch ihre Portfolios umgestellt, sodass beispielsweise nur noch in Unternehmen investiert wird, die auf erneuerbare Energien setzen.
UNIversalis: Die Wirtschaft wird somit also zum Triebfaktor der Nachhaltigkeit?
Pregernig: Diese Unternehmen tun das nicht aus altruistischen Gründen, sondern weil das altbewährte Business-Modell zusammengebrochen ist. Es macht für sie keinen Sinn mehr, in große Öl- oder Gasunternehmen zu investieren, weil ihre Kunden das nicht akzeptieren oder weil sie damit rechnen müssen, dass die Politik in einigen Jahren Regulierungen bringen wird. Dieser Trend „raus aus den fossilen Energien“ hat sich mit dem schrecklichen russischen Angriffskrieg in der Ukraine nun nochmal beschleunigt.
Zurück zu Ihrer Frage: Ja, ich sehe Wirtschaftsakteure durchaus als wichtigen Triebfaktor. Wenn große Versicherungen oder Investmentfonds beginnen umzudenken, dann lässt sich dadurch viel verändern. Das heißt aber nicht, dass es für große Transformationen nicht auch anderer gesellschaftlicher Akteure bedarf. Wirtschaftliche Sektoren haben sich ja nicht zuletzt deshalb zu bewegen begonnen, weil soziale Bewegungen dies – zum Teil lautstark auf der Straße – eingefordert haben.
UNIversalis: Sie denken an Bewegungen wie Fridays for Future?
Pregernig: Genau. Aber daneben gibt es auch noch eine ganze Bandbreite von Umweltverbänden: vom moderaten WWF über Greenpeace bis hin zu radikaler argumentierenden und handelnden Gruppen wie Extinction Rebellion. Ohne die wären Wirtschaftsakteure sicherlich nicht ganz so progressiv, wie sie es im Moment sind. Das Zusammenspiel von staatlicher Politik, Unternehmensstrategien, aber auch von Aktionen zivilgesellschaftlicher Akteure macht in der Summe erst erklärbar, wie und warum Umweltpolitik funktioniert – oder eben auch nicht.
UNIversalis: Wie gefährlich ist es denn, bei den Themen Umwelt und Nachhaltigkeit – und vielleicht auch besonders in Freiburg – in eine intrinsischen Argumentations-Bubble zu geraten und Teile der Bevölkerung gar nicht zu erreichen?
Pregernig: Vielleicht kurz vorab: Freiburg sieht und verkauft sich erfolgreich als Green City. Wenn man es historisch betrachtet, ist es sicherlich so, dass die Stadt in gewissen Themen Vorreiter war. Heute ist Freiburg in manchen Bereichen nach wie vor recht progressiv, in anderen vielleicht nur gutes Mittelfeld. Dies gilt vor allem, wenn man nicht nur auf Fragen der Umwelt, sondern auf Nachhaltigkeit schaut, wo ja neben Ökologie auch ökonomische sowie soziale Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen berücksichtigt werden. Besonders drastisch sieht man das in Freiburg am Beispiel der Wohnraumfrage. Ich weiß, dass Dietenbach für viele ein rotes Tuch ist, aber zu sagen, dass in Freiburg nicht gebaut werden darf, führt dazu, dass die, die es sich leisten können, in Freiburg bleiben und die, die es nicht können, in die Randlagen verdrängt werden. Das ist wiederum umweltpolitisch problematisch, weil die Flächenversiegelung dann einfach woanders stattfindet, nachhaltige Mobilitätslösungen auf dem Land schwerer realisierbar sind als in der Stadt. An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig es ist, dass Probleme integrativ und systemisch betrachtet werden.
UNIversalis: Da haben Sie sicherlich recht. Kann man in Freiburg also von Bubble-Verdrängungsmechanismen sprechen?
Pregernig: Die Gefahr der Bubble besteht durchaus. Wir legen deshalb gerade in unserem Studiengang auf eine systemische Betrachtung großen Wert. Ernährung, Mobilität und Klima können nicht eng sektoral gedacht werden, sondern müssen als System verstanden werden. Dazu gehört auch, dass lokale Fragen global gedacht werden müssen. Ein Teil der umweltpolitischen Erfolgsgeschichte Deutschlands beruht ja darauf, dass wir negative Effekte externalisiert haben. Der Industriestandort Deutschland ist unter anderem deshalb so „sauber“, weil wir mittlerweile vieles, billig – und oft auch schmutzig – in anderen Ländern produzieren lassen. Bei uns gibt es regelmäßig einen Aufschrei, wenn wir hören, dass Rohstoffe andernorts unter umwelt- und menschenrechtlich bedenklichen Bedingungen produziert werden. Dieser Aufschrei ist legitim; aber die „moralische Last“ liegt letztendlich auch bei uns, weil es unser Konsum ist, der diese Produktionssysteme stützt.
UNIversalis: Es gibt das Format der Freiburger Umweltgespräche, bei denen Sie zuletzt auch selbst einen Vortrag gehalten haben. Ist das eine Möglichkeit, gesamtgesellschaftlich in den Dialog über Nachhaltigkeit zu treten?
Pregernig: Es ist zumindest ein erster Versuch. Mit dem Jazzhaus als Veranstaltungsort gelingt es auch, diversere Gruppen anzusprechen. An der Universität, an der solche Formate bisher liefen, bleibt es halt doch recht „akademisch“. Gleichzeitig sieht man selbst im Jazzhaus eine gewisse Schieflage. Bei den Umweltgesprächen sind es schon auch immer wieder die „üblichen Verdächtigen“ im Publikum: Eher die Leute, die in zivilgesellschaftlichen Initiativen aktiv sind oder sich in der Verwaltung mit diesen Themen beschäftigen. Einen wirklichen Querschnitt der Bevölkerung stellt das nicht dar.
UNIversalis: Haben Sie Zuversicht, dass sich das ändern lässt?
Pregernig: Im Bereich Umweltbildung wird einiges getan. Da ist die Stadt Freiburg sehr aktiv, und es gibt auch einige Umweltbildungs-Träger mit niedrigschwelligen Angeboten. Trotzdem würde ich persönlich nicht zu viel Hoffnung in die Lösung unserer Umwelt- und Nachhaltigkeitsprobleme durch eine Mobilisierung der breiten Bürger:innenschaft legen. Das klingt jetzt erstmal komisch. Was ich aber meine ist: Auch wenn es die Handlungen Einzelner sind, die zu Umweltbelastungen führen, so kommt der gestaltende Rahmen doch von der Politik. Lassen Sie mich das am Beispiel der Mobilität zeigen. Ob und wie viel mit dem Auto gefahren wird oder mit alternativen Mobilitätsformen, das entscheiden wir als Individuen. Aber wie leicht oder wie schwer uns das eine oder das andere gemacht wird, das hängt von der Verkehrsinfrastruktur, vom Ausbau des öffentlichen Verkehrs und dessen Tarifgestaltung ab – und das sind alles politische Fragen. Die Verschiebung der Verantwortung auf das Individuum empfinde ich als perfide Strategie des Blame-Shifting. Daran muss sich etwas ändern. Umweltbildungsprogramme sind eine gute Sache, aber sie können nur flankierende Maßnahmen sein, damit politische Instrumente greifen. Sie dürfen der Politik nicht dazu dienen, die Verantwortung für Umweltschutz und Nachhaltigkeit allein auf die individuelle Ebene abzuschieben.
UNIversalis: Ein fulminantes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pregernig.
Bildquellen
- Prof. Dr. Pegernig: Foto: privat