Im Gespräch: Paula Kommoss, künstlerische Leiterin der zweiten Biennale für Freiburg
In Freiburg ertönt das „Lied der Straße“. Unter diesem Motto setzt sich die zweite Biennale für Freiburg mit der Straße als politischem Raum und Ort der gelebten Öffentlichkeit auseinander. Nach dem Eröffnungswochende vom 16.–18. Juni läuft die Ausstellung der Biennale noch bis zum 30. Juli – an Orten wie dem Kunstverein, dem Museum für Neue Kunst, dem Kommunalen Kino, dem Pförtnerhaus, dem DELPHI_space oder gar dem Seepark. Begleitet wird die Ausstellung von einem abwechslungsreichen Veranstaltungsprogramm zwischen Street Art, kritischen Kunstpositionen und Diskussionsformaten. Entsprechend neugierig hat Fabian Lutz an Paula Kommoss, künstlerische Leiterin der Biennale, einige Rückfragen gerichtet und erfahren, wie die Biennale auf die Straße kommt, was der Feminismus damit zu tun hat und wer diese hübsche Eule im Stadtgarten eigentlich gestaltet hat.
Kultur Joker: Liebe Paula, was verbindest du mit Freiburgs Straßen?
Paula Kommoss: Freiburgs Straßen verbinde ich mit dem Anfang meiner Studienzeit dort. Ich erinnere mich an eine Art Aufbruchsstimmung. Ich denke an die ersten Demos, an denen ich teilgenommen habe. Freiburgs Straßen erinnern mich aber auch an die Geschichte, die sich in ihnen manifestiert. Wenn man durch die Straßen läuft, sieht man die architektonischen und materiellen Einflüsse, nicht nur aus dem Mittelalter, sondern auch aus der Nachkriegszeit.
Kultur Joker: Du warst nach deiner Freiburger Zeit an verschiedenen Orten tätig. 2016 warst du kuratorische Assistentin am Fridericianum in Kassel, 2017 Assistentin am Deutschen Pavillon der 57. Venedig Biennale, 2018–2021 warst du unter anderem Koordinatorin für das öffentliche Programm an der Frankfurter Städelschule. 2021 hast du in Frankfurt den Ausstellungsraum ELVIRA gegründet. Freiburg und du hatten also Zeit sich zu verändern. Wie trittst du Freiburg heute gegenüber?
Paula Kommoss: Ich finde es spannend, den Freiburger Institutionen heute auf kuratorischer Ebene zu begegnen und darüber ganz neue Seiten zu entdecken. Ich habe mich vor allem darüber gefreut, wie positiv unsere Kooperationspartner:innen in den Austausch gegangen sind, schon während der Vorbereitungszeit.
Kultur Joker: Sind dir die Straßen Freiburgs nach Venedig und Frankfurt nicht auch zu eng geworden? Wo siehst du Spannungen in der Auseinandersetzung?
Paula Kommoss: Mir geht es mit der Biennale auch darum, die Widersprüche der Freiburger Straßen in den Blick zu nehmen. Die Infrastruktur der Straße verlangt von uns zunächst, gewisse Normen zu lernen und einzuhalten. Die Straße ermöglicht aber ebenso, dieser Ordnung etwas entgegenzustellen. Da passiert in Freiburg viel: Seit Ende der 1960er gibt es eine lebendige Protestkultur. Unter anderem über unsere Kooperationen mit dem Archiv Soziale Bewegungen und der Feministischen Geschichtswerkstatt stellen wir Institutionen vor, die sich intensiv damit beschäftigen.
Kultur Joker: In deiner kuratorischen Arbeit in Frankfurt ging es dir darum, „ein Programm zu entwickeln, das Künstler:innen in einen Dialog mit externen Positionen setzt“, wie du im Interview mit dem Schirn Magazin verraten hast. Ist das auch dein Ansatz in Freiburg?
Paula Kommoss: Für mich wird ein Kunstprojekt spannend, wenn es im lokalen Kontext verankert ist. Seit über einem Jahr führe ich Dialoge mit Institutionen vor Ort, bin aber auch in die Freiburger Archive gegangen. Ich hoffe, dass ich manchen Freiburger:innen so auch Dinge präsentieren konnte und kann, die sie noch nicht gesehen haben.
Kultur Joker: Die zweite Biennale für Freiburg hatte einen großzügig angelegten Prolog (Februar bis Mai), der den intermedialen Zugang des Formats mit Filmen, Performances und Workshops abgebildet hat. In der nun stattfindenden Ausstellung erscheinen die dort begonnenen Recherchen und künstlerischen Ansätze verdichtet. Noch einmal rückblickend gefragt: Wie lautet dein Fazit – hat es sich gelohnt, sich so auf die Biennale einzustimmen?
Paula Kommoss: Absolut! Es gab sehr viele tolle Formate, etwa unsere Zusammenarbeit mit dem aka-Filmclub oder die performative Aktion mit Maximiliane Baumgartner, die Bezug auf die Freiburger Künstlerin Eva Eisenlohr genommen hat. Es war faszinierend, die unterschiedlichsten Menschen bei den gut besuchten „Pflaster“-Spaziergängen zu treffen und so zu sehen, dass es ein großes Interesse gibt, mehr über die Freiburger Geschichte und deren verschiedene Kontexte zu erfahren. Das Pflaster „Feministische Geschichte im Stühlinger“ mit Birgit Heidtke und Hannah Kindler hat generationsübergreifend Leute von 20–70 Jahren angesprochen. Ich glaube, diese Formate werden noch lange nachhallen. Auch unser Spaziergang in Dietenbach war spannend, da waren Befürworter:innen und Gegner:innen des Neubauprojekts vor Ort. Vielleicht haben wir es darüber sogar geschafft, eine Architektur-Biennale zu initiieren.
Kultur Joker: Wirklich? Wie ist das passiert?
Paula Kommoss: Noch ist ja nicht klar, wer in Dietenbach baut. Der Architekt Wolfgang Borgards, der das „Pflaster“ geleitet hat, hat während des Spaziergangs aber mit einer Künstlerin überlegt, ob sie beide nicht eine entsprechende Ausschreibung für Bauprojekte gestalten. So etwas zu sehen, ist total schön und auch unser Ziel: Menschen zusammenbringen, die weiter miteinander in Dialog bleiben und eigene Projekte initiieren. Die Biennale ist eine Einladung, ein Geschenk für alle Freiburger:innen.
Kultur Joker: Gab es auch Konflikte während dieser Begegnungen?
Paula Kommoss: Natürlich gab es Reibepunkte, Widersprüche, etwa bei den Pro- und Kontrapositionen beim Dietenbach-Spaziergang. Aber die wollen wir auch behandeln.
Kultur Joker: Du hast die Kooperation mit der Feministischen Geschichtswerkstatt erwähnt und die Auseinandersetzung mit der Künstlerin Eva
Eisenlohr. Wie feministisch ist der Zugang der Biennale zu Freiburgs Straßen?
Paula Kommoss: Der öffentliche Raum war lange Männern vorbehalten. Die Geschichten von Frauen, die sich durch die Straßen bewegen, erzählten meist vom Unterwegssein, dem Weg zur Arbeit oder zum Einkauf. Sich diesen Geschichtsmodellen bewusst zu werden und zu fragen, wie es damals war und wie heute, finde ich wichtig. In unserer Ausstellung werden sehr mutige Frauen vorgestellt, zum Beispiel Lotty Rosenfeld, die in Chile Straßenmarkierungen veränderte und sich so der Diktatur entgegenstellte. Sie hat den Raum sich und der Bevölkerung neu angeeignet. Die Künstlerin Amal Kenawy hat eine öffentliche Performance-Aktion in Ägypten durchgeführt und wurde dafür von einem Männermob angefeindet und schließlich festgenommen. Eva Eisenlohr wurde während des Nationalsozialismus verfemt, ihr institutioneller Erfolg blieb auch danach aus. Dennoch verschrieb sie sich dem Kunstschaffen und der Kunstpädagogik.
Kultur Joker: Ich zumindest kannte Eva Eisenlohr, auch als Freiburger, bisher nicht. Jetzt zumindest weiß ich, wer die Eule im Stadtgarten gestaltet hat.
Paula Kommoss: Ja, Eva Eisenlohr blieb nach dem Nationalsozialismus weiterhin als Künstlerin tätig und hat dabei auch Skulpturen für den öffentlichen Raum geschaffen. Mir ist es auch selbst ein großes Anliegen, diese Frauen zu zeigen und dem Publikum die Möglichkeit zur Auseinandersetzung zu geben.
Kultur Joker: Mir ist der, auch im Vergleich zur ersten Biennale, stärker ausgeprägte Bezug zur Subkultur aufgefallen. Da gibt es die Auseinandersetzung mit der Freiburger Protestkultur, etwa über die Kooperation mit dem Archiv Soziale Bewegungen oder den Listening Sessions, bei denen unter anderem die Musik der Hausbesetzer:innen zu hören war, aber auch die Kooperation mit dem Slow Club. Ist das ein Versuch, die saturierte Kunstwelt auch einmal zu verlassen?
Paula Kommoss: Es ist der Versuch, die Biennale weiter zu öffnen und weitere Perspektiven auf die Straße zu integrieren. Freiburg hat bereits so viel zu bieten, das möchten wir auch hervorheben. Unsere Arbeit mit der Subkultur geht aber auch über Freiburg hinaus. Ein Höhepunkt ist eine Listening Session mit dem deutschen Rapper Torch in der Freiburger Poolbar zum Ende der Ausstellung. (29. Juli, 20 Uhr.)
Kultur Joker: Zur Subkultur, speziell dem Hip-Hop, gehören auch Graffiti oder Street Art. Finden diese Kunstformen auch Platz in eurem Programm?
Paula Kommoss: Ja. Kirti Ingerfurth, der in Freiburg arbeitet und dessen Werke wir zeigen, nutzt Elemente der Streetart, zum Beispiel Stencils, und wird auch inspiriert von den Dingen, die auf den Freiburger Straßen passieren. Seine Stencils findet man auch dort, die sind vielen Freiburger:innen sicher bekannt. Die Schwabentorbrücke wird im Laufe der Biennale mit fotografischen Arbeiten erweitert werden, vom Freiburger Künstler Anas Kahal. Und zum Abschluss der Biennale (21.–31. Juli) wird die Bushaltestelle Ferdinand-Weiß-Straße von Finnegan Shannon künstlerisch durch ein großes Plakat gestaltet. Es wird also auch hier viel zu entdecken geben und vielleicht sieht man die öffentlichen Spielorte, wie die Schwabentorbrücke danach noch einmal ganz anders als zuvor.
Kultur Joker: Du hast bereits davon gesprochen, dass die Biennale ein Geschenk für die Freiburger:innen sein soll. Was soll von der Biennale auf den Straßen Freiburgs bleiben? Was wünschst du dir?
Paula Kommoss: Ich wünsche mir, dass unser Publikum unterschiedliche Impulse mitnimmt und weiterträgt – auch über die Generationen hinaus. Dass man sich in die Stadt, auf die Straßen Freiburgs begibt und sich an diese oder jene Performance oder Position erinnert. Dass man zum Beispiel die Kunstwerke Eva Eisenlohrs in der Öffentlichkeit häufiger wahrnimmt. Oder dass man bestimmte Orte Freiburgs ganz neu betrachtet, zum Beispiel den Seepark, an dem die Eröffnung der Biennale stattgefunden hat. Dass Leute, auch ohne die Biennale, hier öfter zu Besuch kommen und vielleicht denken: „Hier erklang doch das Lied der Straße!“ Es würde mich sehr freuen, wenn das passiert.
Kultur Joker: Vielen Dank, Paula, für das Gespräch!
Bildquellen
- Paula Kommoss: Foto: Sévérine Kpoti