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Im Gespräch mit Dr. Dirk Ehnts, Ökonom und Referent der Freiburger Diskurse: „Die Schuldenbremse ist vor allem eine Demokratiebremse“

Dr. Dirk Ehnts © privat

Über die Schuldenbremse wird öffentlich wenig diskutiert, das möchten die Freiburger Diskurse nun ändern und laden am 3. Juli, 19 Uhr (Universität Freiburg KG 3, Hörsaal 3044) Dr. Dirk Ehnts, einer der führenden deutschen Vertreter der Modern Monetary Theory, zum Vortrag ein. Elisabeth Jockers befragte Dr. Dirk Ehnts im Vorhinein.

Kultur Joker: Herr Ehnts, könnten Sie für uns die Hauptaspekte der Modern Monetary Theory bündig aufschlüsseln?

Ehnts: In unserem Alltag erleben wir Geld aus der Perspektive des Nutzers. Bevor wir Geld ausgeben, müssen wir erst welches einnehmen z.B. durch Arbeiten oder wir leihen uns Geld per Bankkredit. Das Geld ist aber staatlich und der Zweck ist der, dass sich der Staat mit Ressourcen versorgen kann, indem er sein Geld ausgibt. So kann er Arbeitskräfte beschäftigen, kann Gebäude und Autos mieten und all das kaufen, was er für sein Wirken benötigt. Bezahlt wird mit dem eigenen staatlichen Geld, welches die staatliche Zentralbank neu schöpft, wenn die Bundesregierung ihre Ausgaben bezahlt. Dabei gibt es kein Limit bei der Geldschöpfung der Bundesbank. Begrenzt sind die Ressourcen selbst, also Güter, Dienstleistungen, Rohstoffe und Arbeitskraft. Was der Staat verbraucht, können wir nicht mehr im Konsum verbrauchen. Das ist der Grund, warum der Staat sich beschränken sollte. Kauft er zu viel, fehlt es uns anderswo an Konsumgütern. Das kann dann auch zu höherer Inflation führen.

Kultur Joker: Aus welchen Mitteln speisen sich die Staatsausgaben der Bundesregierung derzeit?

Ehnts: Jeder Euro, den die Bundesregierung ausgibt, wird dadurch geschaffen, dass die Bundesbank im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen das Konto einer Bank erhöht. In gleicher Höhe wird das Zentralkonto des Bundes belastet. Alle Ausgaben werden also durch Geldschöpfung bezahlt. Da die politischen Regeln der Eurozone einen Kontostand von mindestens null am Ende jedes Geschäftstages erfordern, muss die Bundesregierung Staatsanleihen verkaufen, wenn die Steuereinnahmen alleine das Konto nicht auf null bringen. Praktischerweise haben die Banken immer dann zusätzliches Geld, wenn Staatsanleihen verkauft werden. Gibt z.B. die Bundesregierung 10 Mrd. € aus und nimmt 9 Mrd. € an Steuern ein, verbleiben 1 Mrd. € als zusätzliches Guthaben bei den Banken. Wenn die Bundesregierung jetzt 1 Mrd. € an Staatsanleihen verkauft, um ihr Konto auf null zu reduzieren, müssen die Banken einfach nur ihr Zentralbankguthaben eintauschen gegen besser verzinste Staatsanleihen. Das machen sie sehr gern, weil dann ihre Zinseinnahmen und damit die Gewinne steigen.

Kultur Joker: Wie unterscheiden sich private Überschuldung und staatliche Schulden?

Ehnts: Bei der privaten Überschuldung müssen Haushalte und Unternehmen ihre Schulden gegenüber der Bank bedienen, indem sie selber Zahlungen an die Bank leisten. Um die Staatsverschuldung zu reduzieren, müssen die Steuerzahlungen steigen. Hier wird deutlich, dass der Begriff „Staatsschulden” schlecht gewählt ist. Offiziell berechnet werden „Staatsschulden” als die Differenz zwischen den Staatsausgaben und den Steuereinnahmen über die Jahre hinweg. Mit anderen Worten: Ein großer Teil unseres Geldvermögens beruht auf dem Fakt, dass die Staatsausgaben meist über den Steuereinnahmen lagen. Fiskalische Defizite waren unsere privaten Überschüsse und damit ein Teil unserer Ersparnis.

Kultur Joker: Manche bezeichnen die Schuldenbremse als „zukunftsfeindlich“, für andere ist die schwarze Null eine Art Mantra. Ist sie überhaupt noch zeitgemäß?

Ehnts: Die Schuldenbremse war von Anfang an mit nur einer einzigen Begründung ausgestattet: Die Sicherung der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen. Diese allerdings wird durch die EZB gesichert, die durch ihre Anlaufprogramme dafür sorgt, dass immer eine Nachfrage nach (deutschen) Staatsanleihen vorhanden ist. Griechenland beispielsweise erreichte im Jahr 2020 eine Staatsschuldenquote (geteilt durch das BIP) von mehr als 210 Prozent. Wenn das problemlos möglich ist, dann können wir die Schuldenbremse vergessen. Eine niedrige Staatsschuldenquote hat keine positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft, es ist ein goldenes Kalb, um das wir kollektiv getanzt haben.

Kultur Joker: Inwiefern steht die Schuldenbremse einem zukunftsorientierten und nachhaltigen Staat im Weg?

Ehnts: Die Schuldenbremse ist vor allem eine Demokratiebremse. Die Bundesregierung ist dafür da, das Gemeinwohl als Ziel anzupeilen. Nachhaltiges Wirtschaften, Klimawandel bekämpfen, sinnvolle und qualitativ hochwertige öffentliche Güter und Dienstleistungen bereitstellen, u.a. im Bereich der Infrastruktur – all das kann nur der Staat, weil sich das für private Unternehmen nicht lohnt. Wenn der Staat aber so tut, als könne er nur dann „investieren“, wenn er das Geld wieder reinholt, weil sein Haushalt wie der einer schwäbischen Hausfrau funktionieren würde, dann wird es zu Minderausgaben kommen, sowohl bei den Investitionen wie auch im Bereich Soziales. Die privaten Investitionen werden in der Folge auch einbrechen, denn die Unternehmen sind auf staatliche Infrastruktur und öffentliche Güter angewiesen. Deutschland ist aktuell der kranke Mann der Weltwirtschaft, weil die deutsche Bundesregierung das Gegenteil von dem macht, was fast alle anderen in der Wirtschaftspolitik umsetzen. Die FDP meint wohl, dass die WählerInnen es honorieren, wenn der Staat kaputtgemacht wird. Diese Rechnung wird aber wohl nicht aufgehen. Die Menschen regen sich auf über Verspätungen und Zugausfälle bei der Deutschen Bahn, über zu volle Klassen in den Schulen, über zu wenige Perspektiven und zu geringe Löhne auf dem Arbeitsmarkt.

Kultur Joker: Welche Reformen sind gegenwärtig nötig?

Ehnts: Die Schuldenbremse war und ist eine ganz schlechte Idee. Warum sollten wir in der Verfassung via Schuldenbremse der Bundesregierung vorschreiben, wie viel Geld sie in etwa ausgeben kann? Das ist ein Angriff auf die Demokratie. Das Haushaltsrecht gehört zu den zentralen Pfeilern. Das Wirtschaftswunder hätten wir jedenfalls mit Schuldenbremse und Defizitregeln niemals geschafft. Auch die Einführung der Schuldenbremse in der Folge der globalen Finanzkrise von 2008/09 war verfehlt. Es ging um eine Umdeutung der „Finanzkrise“ in eine „Staatsschuldenkrise“ (in Griechenland), und in deren Folge kam die Schuldenbremse. Am besten wäre wohl eine Klage mit dem Argument, dass die Schuldenbremse insbesondere mit Artikel 20 im Grundgesetz – „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ – nicht vereinbar ist. Alternativ wäre eine Abschaffung wünschenswert, aber die dafür nötige Zwei-Drittel-Mehrheit wird nicht einfach werden.

Kultur Joker: Am 3. Juli geben Sie im Rahmen der Freiburger Diskurse „Eine Einführung in die Staatsfinanzierung“ – was erwartet Besuchende des Vortrages?

Ehnts: Ich werde im Detail erklären, wie die Bundesregierung Geld ausgibt und wie sich die Defizitgrenzen der EU und die Schuldenbremse des Grundgesetzes auf das Verhalten auswirkt. Gerade die Reform der Fiskalregeln der EU hat die Situation in der Eurozone wieder verschlimmert, weil jetzt alle Länder gleichzeitig sparen sollen. Die Pandemie-Jahre 2020-2022 waren aus wirtschaftspolitischer Sicht sehr gut, weil wir in der EU genau richtig reagiert haben. Die Defizitgrenzen waren ausgesetzt, die Schuldenbremse auch – und die Wirtschaft sprang schnell wieder an. Nun haben wir seit 2023 eine Bewegung zurück mit dem Ergebnis, dass wir 2023 wieder in die Rezession zurückgefallen sind. In meinem Vortrag werde ich ein paar Szenarien durchspielen, wie sich die Wirtschaft in Deutschland und der Eurozone im weiteren Verlauf des Jahrzehnts entwickeln könnte.

Kultur Joker: Lieber Herr Ehnts, vielen Dank für die Ausführrungen.

Anmeldung: www.freiburger-diskurse.de

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  • Im Gespräch mit Dr. Dirk Ehnts, Ökonom und Referent der Freiburger Diskurse: „Die Schuldenbremse ist vor allem eine Demokratiebremse“: Foto: Dovis via pexels