InterviewMusikStadtleben

Im Gespräch mit André de Ridder, Generalmusikdirektor des Freiburger Theaters, über den genreübergreifenden „Freiburg.Phil Club“

André de Ridder hat keine Berührungsängste mit der Popmusik. Im Gegenteil – im „Freiburg.Phil Club“ sucht der Generalmusikdirektor des Freiburger Theaters ganz bewusst nach neuen Räumen und Kontexten für das Philharmonische Orchester Freiburg. Georg Rudiger hat sich mit dem 53-jährigen Berliner unterhalten – über Gemeinsamkeiten zwischen Rap und Barock, die Suche nach neuem Publikum und seine eigene musikalische Sozialisation.

Kultur Joker: Den „Freiburg.Phil Club“, in dem das Philharmonische Orchester als eine Art Vorband für Gäste aus den Bereichen Bereich Pop, Elektronik, Independent, Jazz und Avantgarde fungiert, haben Sie gleich zu Beginn Ihrer ersten Spielzeit 2022/23 ins Programm genommen. Warum ist Ihnen diese vierteilige Konzertreihe so wichtig?

André de Ridder: Zum einen ist das eine gute Möglichkeit, mit dem Orchester in die Stadt zu gehen. Wir sind das Philharmonische Orchester der Stadt – ich finde es schön, wenn dieser Klangkörper nicht nur in seinen normalen Spielstätten Theater und Konzerthaus zu hören ist. Demnächst möchten wir auch Stadtteilkonzerte einführen. Zum anderen mag ich die Zusammenarbeit mit anderen Veranstaltern der Stadt, in diesem Fall mit dem Jazzhaus und dem Slow Club. So erreichen wir auch ein neues Publikum. Wir hatten bei den Clubabenden schon viele Besucherinnen und Besucher zu Gast, die noch nie zuvor ein Orchester live gehört haben. Schließlich liegt es auch in meiner eigenen musikalischen DNA, dass ich gerne klassische und zeitgenössische Musik auf Augenhöhe mit anderen Musikgenres präsentiere.

Kultur Joker: Möchten Sie die Stile mischen?

de Ridder: Nicht unbedingt. Man könnte zum Beispiel auch einmal zuerst Stücke von Iannis Xenakis hören und anschließend eine Industrial-Noise-Band. Da gäbe es viele Gemeinsamkeiten in den Bereichen Dissonanz, Energie, Percussion. Das hatten wir noch gar nicht im Programm, wäre aber eine Idee für die Zukunft.

Kultur Joker: Wie lief denn der letzte „Freiburg.Phil Club“?

de Ridder: Da hatten wir die Kölner Rapperin Leila Akini zu Gast. Sie und ihre Managerin hatten schon immer den Traum, etwas mit Barockmusik zu machen. Es gibt von der amerikanischen Komponistin Gabriella Smith, von der ich bereits eine Komposition in meinem Eröffnungskonzert programmiert hatte, ein Werk namens „Brandenburg Interstices“, das ähnlich wie im Rap Motive und Strukturen aus Bachs 5. Brandenburgischem Konzert aufgreift und samplet, aber auf kompositorische Weise. An dem Abend hatten wir Bachs Musik im Original, Bachs Musik von Gabriella Smith verarbeitet – und dann hat Akinis Produzent aus dem Werk von Smith zwei Tracks elektronisch produziert. Das haben wir für das Orchester zurückübersetzt und live dazu gespielt. Das war sozusagen der Idealfall einer musikalischen Kollaboration.

Kultur Joker: Gibt es denn eine grundsätzliche Dramaturgie für einen „Freiburg-Phil Club“?

de Ridder: Normalerweise ist der Abend dreiteilig. Wir beginnen mit einem meist zeitgenössischen Werk von etwa zehn Minuten Dauer. Im zweiten Schritt gibt es eine Kollaboration zwischen der Gastband mit dem Philharmonischen Orchester. Das können Arrangements sein von bestehenden Stücken der Band oder auch ein ganz neues. Beim Auftritt der Freiburger Band „Wolkenkratzer“ im Slow Club haben die Bandmitglieder zu einem Stück improvisiert, das zuvor erst einmal alleine von unserer Cellistin gespielt wurde: „Industry“ von Michael Gordon für Cello und Verzerrer. Das war auch eine spannende Variante. Künstlerisch ist das Rezept nicht das gleiche. Im „Freiburg. Phil-Club“ entstanden schon Werke, die erst durch das Zusammentreffen der Künstlerinnen und Künstler in diesem Format ermöglich wurden. Im dritten Schritt spielen die musikalischen Gäste dann ihr eigenes Set.

Leila Akinyi trat beim letzten Freiburg.Phil-Club auf Foto: Janine Danikas

Kultur Joker: Wählen Sie die Bands alleine aus?

de Ridder: Beim Jazzhaus schlage ich welche vor und wir besprechen das zusammen. Bisher war das Jazzhausteam immer glücklich mit meinen Vorschlägen. Der Slow Club hat bislang selbst die Künstlerinnen und Künstler ausgewählt. Die stilistische Bandbreite ist dort weniger groß als im Jazzhaus. Der Slow Club möchte Bands einladen, die eine Bindung zu seinem Publikum haben – und diese dann auch in einem anderen Kontext präsentieren. Die Gastfreundschaft bei beiden Clubs ist hoch. Für unsere Musikerinnen und Musiker ist das ungewohnte Setting erst mal gewöhnungsbedürftig, aber am Ende sehe ich nur lächelnde Gesichter.

Kultur Joker: Die Bühne des Slow Clubs ist sehr klein. Das wird auch eine Rolle spielen bei der Programmierung.

de Ridder: Auf jeden Fall. Auf die Bühne im Slow Club passt wie beim ersten Konzert maximal ein Streichquartett. Bei den Folgeabenden spielten Soloinstrumente. Im Jazzhaus hatten wir schon einmal ein ganzes Streichorchester.

Kultur Joker: Gegenüber dem Kultur Joker haben Sie zu Ihrem Amtseintritt gesagt, dass Sie gerne in Kontakt mit dem Freiburger Publikum kommen möchten.

de Ridder: Dafür ist dieses Format ideal, weil die Orchestermitglieder und ich uns das Set der Band im Publikum anhören und danach häufig angesprochen werden. Und zwar meist von Leuten, die sonst nicht in klassische Konzerte gehen. Da haben wir wirklich einen Erstkontakt – das ist großartig. Der Schritt, uns dann einmal im Konzerthaus hören zu wollen, ist nicht mehr so groß. Unser Publikum ist durchmischter und jünger geworden. Andererseits lernen unsere Abonnenten hier auch völlig andere Musikrichtungen kennen.

Kultur Joker: Wieviel hat die Reihe mit Ihrer musikalischen Sozialisation und Ihrem persönlichen Musikgeschmack zu tun?

de Ridder: Sehr viel. Ich bin mit ganz verschiedenen Musikrichtungen aufgewachsen, habe auch selbst einmal in einer Band gespielt.

Kultur Joker: Mit welchem Instrument?

de Ridder: Mit Gitarre, selbst beigebracht. Und ich habe gesungen. Mein eigentliches Instrument, das ich gelernt habe, ist die Violine. Ich bin in einem musikalischen Haushalt groß geworden. Meine Mutter war Opernsängerin, mein Vater Dirigent. Er hat noch Wilhelm Furtwängler live gesehen und später bei Erich Leinsdorf studiert. Meine Eltern hatten einen ganz konservativen, klassischen Musikgeschmack. Aber in meinem Freundeskreis bin ich mit dem New Wave der späten 80er-Jahre groß geworden. Nach meinen Dirigierstudium an der Royal Academy of Music in London bin ich wieder stärker darauf zurückgekommen, weil in England die Trennung zwischen E-und U-Musik nicht so stark ist wie in Deutschland. Da gibt es viele Berührungspunkte.

Kultur Joker: Mit dem von Ihnen 2013 gegründeten Ensemble stargaze, dessen Mitglieder klassische Instrumente spielen, sind Sie auch zwischen den musikalischen Genres unterwegs.

de Ridder: Wir initiieren Projekte mit Künstlerinnen und Künstlern aus dem Bereich Pop und Elektronik. Wir haben schon ganz neue Stücke gespielt von Komponisten wie Bryce Dessner oder Greg Saunier, dem Schlagzeuger von Deerhoof. Nachdem David Bowie gestorben war, haben wir bei den BBC Proms einen Bowieabend gemacht mit Coverversionen dieser Popikone. Die stilistisch vielfältige Arbeit mit stargaze war für mich ein Vorbild für den „Freiburg.Phil Club.“

Kultur Joker: Im Neujahrskonzert dirigierten Sie im Freiburger Konzerthaus Max Richters „Vier Jahreszeiten“ nach Antonio Vivaldi, das Sie für die Deutsche Grammophon in der
Recomposed-Reihe aufgenommen haben. Das ist wohltönende Neoklassik, über die vielleicht einige Liebhaber der klassischen Musiker die Naserümpfen. Müssen Künstlerinnen und Künstler der klassischen Musik insgesamt neue Wege gehen, um mehr Publikum zu erreichen?

de Ridder: Ich bin natürlich nicht ‚neutral‘ was diese Frage betrifft, da ich unmittelbar mit der Genese des Richter/Vivaldi-Projektes verbunden bin. Aber ich finde es sowohl unter den Werken der sogenannten Neoklassik als auch denen Max Richters einen genialen Wurf, der auch dem Original, wenn überhaupt nötig, neue Hörerschaften und auch einen neuen, aktuellen Zugang verschafft hat. Die Idee war ja ursprünglich, eine Einspielung auf Deutsche Grammophon elektronisch zu ‚re-mixen‘ – der Komponist hat aber darauf bestanden, dies mit analogen Mitteln zu tun und selbst eine Neukomposition anzufertigen. Das hat er meines Erachtens sehr inspiriert getan. Es werden ja auch beispielsweise die Verwandtschaft von barocken Motiven und Sequenzen zur Minimal Music sehr deutlich und zu einem künstlerisch spannenden und beglückenden Amalgam geführt. Natürlich gewinnen wir damit auch neue Hörer für Konzertmusik überhaupt, dank der Popularität des Werkes, zum Beispiel in Netflix-Serien. Why not?

Kultur Joker: Herr de Ridder, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg mit dem „Freiburg.Phil Club“

Die nächste Veranstaltung in diesem Format findet im Mai 2025 statt. theater.freiburg.de

Bildquellen

  • Leila Akinyi: Foto: Janine Danikas
  • André de Ridder: Foto: Marco Morggreve