InterviewMusik

Im Gespräch: Liedermacher, Poet und Aktivist Konstantin Wecker

Der Ungehorsame

Konstantin Wecker, Liedermacher, Poet, Aktivist und bekennender Anarchist, wird am 1. Juni 70 Jahre alt. In seinem Geburtstagsalbum „Poesie und Widerstand“ singt er gemeinsam mit vielen Gastmusikern mächtig und ausdrucksvoll gegen die Verhältnisse an. Der streitbare Künstler erhielt kürzlich den Deutschen Kleinkunstpreis 2017 sowie den Ehrenpreis des Landes Rheinland Pfalz 2017. Olaf Neumann sprach mit dem vor Vitalität strotzenden Sänger über die Vorzüge des Älterwerdens, Nationalismus und Pazifismus. Konstantin Wecker ist am 17. Juli auf dem ZMF in Freiburg zu Gast.

Kultur Joker: Für Ihr Geburtstagsalbum „Poesie und Widerstand“ haben Sie 31 Ihrer persönlichen Lieblingstitel live in einem Münchner Tonstudio neu eingespielt. Haben Sie vor allem jene Ihrer Lieder ausgesucht, die heute noch aktuell sind?

Konstantin Wecker: Das spielte natürlich auch eine Rolle. Wobei ich bei der Durchsicht der wichtigsten Titel festgestellt habe, es gibt kaum welche, die heute nicht wieder aktuell sind. Ich habe mich beim Schreiben nie an die bestehende politische Situation gehalten. Ich wollte für mein Publikum endlich auch mal eine CD machen mit Liedern, die es im Konzert hören kann. Dabei hat sich herausgestellt, wie man alte Titel wieder völlig neu beleben kann. Wir haben in zwölf Tagen diese 31 Lieder live im Studio eingespielt. Das ging, weil wir sie auch wirklich kennen.

Kultur Joker: Sie stehen seit 50 Jahren auf der Bühne, aber von Tourmüdigkeit ist bei Ihnen keine Spur. Wie kommt‘s?

Wecker: Das Heftigste war bis jetzt meine „Wut und Zärtlichkeit“-Tournee vor drei Jahren. Sie ist nicht mehr zu toppen. Damals lebte Dieter Hildebrandt noch, und ich wollte vor ihm ein bisschen angeben: „Du, Dieter, ich habe im letzten Jahr 120 Konzerte gehabt.“ Da schaute er mich aus seinen ironisch-witzigen Augen an und sagte: „Konstantin, ich hatte 160 Auftritte!“ Er war damals 85. Es reicht mir zu wissen, dass es möglich ist. Und mein erster großer Förderer Hanns Dieter Hüsch hat es sogar geschafft, im Jahr an die 370 Auftritte zu spielen. Er war ein völlig Wahnsinniger!

Kultur Joker: Ihr Album beginnt mit dem Lied „Den Parolen keine Chance“. Warum haben patriotische Parolen heute wieder Konjunktur?

Wecker: Weil die Menschen so verunsichert sind wie seit 50 Jahren nicht mehr. Sie spüren, dass sie aus dem sozialen Gefüge immer mehr herausfallen. Viele haben keine soziale Sicherheit mehr. Sie merken, dass das Wirtschaftswachstum nicht ihnen, sondern nur einem Prozent der Bevölkerung zugute kommt. Sie haben Angst. Und sie stellen sich nicht dem eigentlichen Verursacher entgegen, nämlich einem wildgewordenen Finanzkapitalismus. Sondern sie suchen sich die Schwächsten und Ärmsten in der Kette aus. Und das sind die Flüchtlinge. Das gibt bestimmten Rattenfängern die Möglichkeit, im Trüben zu fischen.

Kultur Joker: Wie konnte es dazu kommen?

Wecker: Es war wohl ein Versagen der europäischen Sozialdemokratie vor 10, 15 Jahren, die sich damals dem Neoliberalismus angedient hat. Heute erntet man die Früchte davon. Man hätte sich von Anfang an ganz klar auf die Frage besinnen sollen, was Sozialdemokratie wirklich ist.

Kultur Joker: Ist Martin Schulz für Sie ein Hoffnungsträger?

Wecker: Nein. Ich will nichts gegen ihn persönlich sagen, aber er kommt genauso aus dem neoliberalen Denken heraus. Man sieht deutlich, welche Bündnisse er eingehen möchte. Sein Traum ist Rot mit Grün und Gelb. Wie soll sich da etwas ändern, wenn man schon wieder mit den Liberalen ein Bündnis eingehen möchte? Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, mit den Linken und dem linken Teil der Grünen etwas anzufangen. Wir brauchen jetzt eine geeinigte Linke, die dem Wahnsinn Einhalt gebietet.

Kultur Joker: Haben Sie die Hoffnung, dass sich an den Verhältnissen in absehbarer Zeit etwas ändern wird?

Wecker: Nein, nicht wirklich. Aber ich habe eine andere Hoffnung. Jean Zieglers neues Buch handelt davon, warum er trotzdem Mut hat: wegen der Zivilgesellschaft. Menschen betreiben Politik unabhängig von Parteien, indem sie sich einbringen. Ich war gerade in München am Marienplatz auf einer Versammlung von engagierten Flüchtlingshelfern aus ganz Bayern. Dort waren tausende Leute, aber man liest davon überhaupt nichts. In letzter Zeit spreche ich viel mit Wissenschaftlern über den derzeitigen Aufstand der Leisen. Gleichzeitig mit den schrecklichen Ereignissen in der großen Politik ist das eine spirituelle Revolution. Es sind sehr viel mehr Menschen bereit, mit dem Herzen zu denken, als man es in der Politik wahrhaben möchte. Darin sehe ich eine große Chance. Das ist das Wesen der Demokratie. Sie muss lebendig bleiben, also müssen wir uns rühren und nicht nur wählen. Das allein genügt nicht.

Kultur Joker: Sie bezeichnen Nationalismus als eine lebensbedrohliche Seuche, als das Ende der Freiheit. Wie groß ist Ihre Sorge angesichts der augenblicklichen Entwicklungen?

Wecker: Ganz entsetzlich groß! Dieser Nationalismus entsteht aus einer Verunsicherung heraus. Weil man spürt, man ist eigentlich niemand mehr in der Gesellschaft. In den 20er Jahren gab es noch einen Arbeiter-Stolz, heute dagegen ist man Leiharbeiter. Man ist zum Großteil nicht mal mehr fest angestellt. Jugendliche haben Angst, ob sie jemals im Leben – auch wenn sie studieren – einen Job bekommen werden. Man fühlt sich in dieser Gesellschaft als Versager und sucht deshalb für sich nach irgendeinem Wert. Und da entdecken Menschen, die sich mit Politik noch nie beschäftigt haben, den Nationalismus. Dann ist jeder, der nicht deutsch ist, ein schlechterer Mensch. Das ist das Elend des Nationalismus. Jede Nation hat Dreck am Stecken, aber keine so einen gewaltigen wie wir. Aber wir Deutschen haben aus unserer Geschichte mehr gelernt als andere Nationen. Patriotismus ist eine Flucht aus der Eigenverantwortung. Die schlimmstenfalls darin endet, dass einem jemand sagt: Nun gut, du bist Patriot. Jetzt musst du eben auch sterben fürs Vaterland.

Kultur Joker: Wie können die Menschen wieder zusammenfinden?

Wecker: Jetzt muss ich als Poet antworten, mein Programm heißt ja auch „Poesie und Widerstand“: Mit Herzlichkeit! Dafür, dass wir nicht mit der alten, intellektuellen Arroganz auf die Menschen zugehen, sondern ihnen dadurch das Herz öffnen, dass wir unser eigenes Herz auch zeigen. Man erreicht bestimmte Leute nicht, wenn man mit rationaler Arroganz um sich schmeist. Meine Frau war mit unserem Sohn auf Lesbos, da waren die unterschiedlichsten Menschen von Zeugen Jehovas bis Kommunisten aus ganz Europa. Vereint hat sie das Gefühl, dort Menschen helfen zu können. Die intellektuelle Arroganz war da nicht mehr gefragt. Die deutsche Linke ist eigentlich an der Eitelkeit einzelner ideologischer Grabenkämpfe kaputt gegangen. Das hat der Neoliberalismus geschickt ausgenutzt.

Kultur Joker: Sie träumen von einer herrschaftsfreien Welt, die vom Miteinander der Menschen zusammengehalten wird. Braucht Demokratie Utopie?

Wecker: Ich bin bekennender Anarcho. Ja, das ist eine Utopie, aber die brauchen wir auch. Es braucht einen Nicht-Ort, damit wir wissen, wohin wir uns bewegen sollen. Dieser Nicht-Ort bedeutet auch, dass es kein festes Ziel in ideologischen Grenzen ist. Auf dem Weg dorthin erfinden wir dieses Ziel immer wieder neu. Ich traue niemandem, der sagt, er könne mit seinem kleinen Verstand etwas erfinden, was die Welt gerechter macht. Das können nur viele Menschen zusammen.

Konstantin Wecker bei "Rock for Nature" (© Ufuk Arslan)
Konstantin Wecker bei „Rock for Nature“ (© Ufuk Arslan)

Kultur Joker: Was macht das mit Ihnen als Künstler, wenn Sie in den Medien jeden Tag mit Terror, Gewalt und Hass konfrontiert werden?

Wecker: Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich soviel auf Tour bin: Ich erlebe jeden zweiten Abend hunderte, manchmal tausende von Menschen, die die gleiche Sehnsucht haben wie ich. Da ist ganz viele Liebe im Spiel. In meinem kleinen Universum erlebe ich etwas, was mir Hoffnung macht. Wenn Sie so viele Menschen sehen, die ähnlich ticken wie Sie, dann macht das Mut. Würde ich allein in meinem Kämmerchen sitzen, würde ich vielleicht auch zu einem Zyniker werden. Es ist eine grenzenlose Welt, in der ich leben und denken will. Diesem einen Prozent aller reichen Menschen, Konzerne und Banken ist es egal, ob es unter ihnen eine Demokratie gibt oder irgendetwas anderes.

Kultur Joker: Werden Sie für Ihre offenen Worte angefeindet?

Wecker: Ja, ganz schön heftig. Vor einem Jahr hat es mir noch wehgetan, aber mittlerweile kenne ich das Schema: Ich poste etwas, die ersten Kommentare sind noch klug und bedacht, und nach ein paar Stunden beginnt der Shitstorm. Ich habe zwei Leute, die versuchen, das Schlimmste zu löschen, aber man kann nicht alles entfernen. Das geht bis hin zu Gewaltandrohungen.

Kultur Joker: Nehmen Sie das ernst?

Wecker: Man kann das natürlich auch anwaltlich verfolgen, aber ich habe es bis jetzt noch nicht gemacht. Ich kann die Fernsehmoderatorin Dunja Hayali verstehen, die schon zum zweiten Mal jemanden verurteilen ließ, der ihr auf Facebook rassistische Gemeinheiten geschrieben hat.

Kultur Joker: Auch Sie sind ein gebranntes Kind durch die Erfahrungen, die Ihr Vater im Nationalsozialismus gemacht hat.

Wecker: Das nimmt in meiner Biografie einen großen Stellenwert ein. Je älter man wird, desto milder und liebevoller blickt man auf seine Eltern. Meine Eltern waren beide keine Faschisten. Dass ich mit ihnen als Kind über diese grauenvolle Zeit reden konnte, war ein Wunder. Bei fast allen meinen Altersgenossen wurde das Thema zuhause totgeschwiegen. Mein radikaler Pazifismus ist meinem kriegsdienstverweigernden Vater geschuldet. Er hatte immerhin den Mut, dies in der Hitlerzeit zu tun. Da gehört schon was dazu.

Kultur Joker: War Ihr Vater sich der Konsequenzen bewusst?

Wecker: Ich glaube nicht. Er sagte, er konnte nicht anders. Das liest man auch bei vielen Widerstandskämpfern, zum Beispiel der Roten Kapelle. Das waren ganz mutige junge Menschen. Die konnten nicht anders, sie hätten es nicht fertig gebracht, in dieses System schleimerisch einzusteigen. Es gab auch viele Deserteure. Bis heute ist es nicht leicht, dem Staat ein Denkmal für sie zu entlocken. Weil man meint, Deserteure seien Feiglinge und und würden ihre Kameraden im Stich lassen. Nein, im Dritten Reich waren Deserteure zutiefst mutige Menschen.

Kultur Joker: Damals drohten Kriegsdienstverweigerern schwere Zuchthausstrafen wegen Wehrkraftzersetzung – in der Regel Einweisung in ein KZ – und bei Festhalten ihrer Verweigerung die Todesstrafe. Wie war es bei Ihrem Vater?

Wecker: Ein Offizier ließ ihn bewusst davonkommen, indem er ihn für verrückt erklärte, anstatt ihn an die Wand zu stellen. Das war eigentlich auch eine widerständlerische Haltung. Diesen Mann traf mein Vater nach dem Krieg zufällig wieder.

Kultur Joker: Wie empfinden Sie den Aufstieg eines Björn Höcke, der in der AfD mit Sätzen wie „Denkmal der Schande“ in Anspielung auf das Holocaust-Mahnmal wie kein zweiter polarisiert?

Wecker: Das ist für mich natürlich furchtbar. Björn Höcke ist wenigstens eindeutig, damit kann ich besser umgehen als mit anderen, die sagen: „Nazis sind ja schlimm, aber wir müssen trotzdem…“ Die bedienen sich dieser Mittel, nur um an die Macht zu kommen. Den Höcke kann man wenigstens im Visier haben und sich sagen, das ist wirklich ein schrecklich verblendeter Mensch. Viel schlimmer finde ich den Mann im Hintergrund, Götz Kubitschek, dieser so genannte Rechtsintellektuelle.

Kultur Joker: Ist es Ihr Wille zum Widerstand gegen diese Entwicklungen, der Sie dazu bringt, immer weiterzumachen?

Wecker: Nein. Als Künstler weitermachen zu wollen, hat zuerst einen zutiefst innerlichen Grund. Weil man sich durch die Gedichte immer wieder neu entdeckt. Der künstlerische Impetus ist kein politischer, sondern eher ein mystischer. Der Zugang zu Poesie und zu Kreativität ist in erster Linie ein spiritueller. Gleichzeitig spürt man, wie sehr alles zusammengehört, wie wenig getrennt wir Menschen über alle Rassen und Nationen hinweg in Wirklichkeit doch sind. Wie wir mit dem Sinn der Schöpfung eins sind. Es gibt etwas Geistiges, was uns verbindet. Je mehr man das spürt, umso verzweifelter ist man über diejenigen, die diese Einheit spalten wollen. In Form von Nationalismus, Rassenwahn und was auch immer es da für schreckliche Versuche gibt. Ich glaube, die Geldelite ist durchaus der Meinung, dass ein Großteil der Menschheit nicht wirklich nützlich ist. Denn er ist zu arm, um etwas zu kaufen und lebt in Gegenden, wo seine Arbeitskraft nicht viel bringt. In manchen Kreisen herrscht sicher ein faschistoides Denken.

Kultur Joker: Sie haben eine neue Autobiografie geschrieben: „Das ganze schrecklich schöne Leben“. Hat es Sie überrascht, was Ihre Co-Autoren Günter Bauch und Roland Rottenfußer über Sie geschrieben haben?

Wecker: Günter Bauch ist im Gegensatz zu mir der Mann mit dem wirklich guten Gedächtnis. Ich musste oft schmunzeln und habe mich gefreut über seinen wortgewandten Stil. Es ist immer eine gewisse Ironie dabei. Wir sind seit Jahrzehnten miteinander befreundet, er konnte mir nicht so wahnsinnig viel Neues über mich erzählen. Und Roland Rottenfußer kenne ich auch schon seit vielen Jahren. Ich war erstaunt über seine fundierte Kenntnis von all dem, was ich gemacht habe. Das war für mich sehr spannend zu lesen. Ich habe schon mehrere Autobiografien geschrieben, auch wenn ich es nie so genannt habe. Nun wollte ich auch mal aus anderen Perspektiven auf mich, auf meine Person, auf mein Werk schauen lassen. Ich glaube, da ist etwas ziemlich Neuartiges draus geworden.

Kultur Joker: Haben Sie sich beim Schreiben gesagt: Es wird nichts ausgespart?

Wecker: Ja. Das Thema Drogen hängt mir zum Halse raus, aber das könnte ich in meiner Biografie nie und nimmer aussparen, weil diese Sache so bekannt geworden ist. Ich habe mir aber auch ein paar neue Gedanken dazu gemacht. Man betrachtet sein Leben nach einer gewissen Zeit immer ein bisschen anders. Geschichten, die man von sich erzählt, sind nach zehn Jahren ganz anders und irgendwann glaubt man sie sogar (lacht).

Kultur Joker: Wie altert man als Künstler in Würde?

Wecker: Ich habe da mit meinem Papa mal drüber gesprochen, da war er 84 Jahre alt. Er sagte zu mir: „Du, Konstantin, man denkt nicht dauernd an das, was morgen passieren wird. Es ist eine große Chance des Alters, mehr in der Gegenwart zu sein als in der Jugend. Es wäre eine Katastrophe, wenn man jeden Tag dasitzen würde und darüber grübelt, was passierte, wenn man morgen einen Schlaganfall bekäme. Damit kann man sich sein ganzes Leben versauen. Also müssen wir lernen, in der Gegenwart zu sein. Wenn man bewusst das Alter annimmt, lernt man besser als in der Jugend. Es gab neulich eine interessante Untersuchung. Es wurde festgestellt, dass Menschen ab einem bestimmten Alter eigentlich glücklicher sind als jüngere. Das glaube ich auch. Ich habe kein Problem mehr mit meinen 70. Ich freu mich sogar drauf.

Kultur Joker: Werden Sie an dem Tag eine große Party geben?

Wecker: Nein, ich werde im Circus Krone am 31. Mai und 1. Juni spielen. Ich verbringe meinen Geburtstag auf der Bühne, wie sich das gehört für einen Bühnenwahnsinnigen.

Bildquellen

  • kultur-joker-konstantin-wecker-c-thomas-karsten: Liedermacher Konstantin Wecker (© Thomas Karsten)