Im Gespräch: Lang Lang, Pianist
Lang Lang ist der berühmteste lebende Pianist. Er versucht, die klassische Musik allen näher zu bringen und scheut sich nicht davor, Puristen vor den Kopf zu stoßen. 2023 soll der Weltstar mit Wohnsitz in New York, Paris und Shanghai mit einem Stern auf dem Hollywood Walk of Fame geehrt werden. Mit dem chinesischen „Supervirtuosen“ Lang Lang sprach Olaf Neumann in Berlin über sein Disney-Album, seinen Lehrer Daniel Barenboim und seinen strengen Vater.
Kultur Joker: Lang Lang, zuletzt haben Sie Bachs Goldberg Variationen aufgenommen, einmal live und einmal im Studio – eine gigantische pianistische Herausforderung. Und was hat Sie an den Disney-Songs gereizt?
Lang Lang: Zunächst einmal handelt es sich um völlig unterschiedliche Projekte. Beide sind sehr anspruchsvoll. Disneys Melodien kennt jeder, sie sind auf ihre Art Meisterwerke. Deshalb war mir wichtig, dass die Arrangements die höchste Qualität haben. Es war ein langer Prozess, bis wir die richtigen Arrangements hatten, denn ich wollte jedem Stück wirklich gerecht werden und seinen einzigartigen Charakter hervorheben.
Kultur Joker: Haben Sie sich diesem Projekt genauso genähert, wie Sie es in allen Ihren Arbeiten tun?
Lang Lang: Meist werden für ein Crossover-Album die klassischen Melodien unklassischer. Das interessiert mich nicht so sehr. Wir sind den umgekehrten Weg gegangen und haben in die Disney-Songs einige klassische und pianistische Elemente hinein gebracht. Bei „Mary Poppins Fantasy“ zum Beispiel dachte ich an Vladimir Horowitz‘ Carmen-Variationen und bei „Dumbo“ an Debussys „Prélude à làprès-midi d‘un faune“. Und meine Version von „Feed The Bird“ hat Elemente von Schumann und Brahms.
Kultur Joker: Weshalb sind die Disney-Songs für die Ewigkeit gemacht?
Lang Lang: Die Lieder, die wir ausgewählt haben, von „Die Schöne und das Biest“ über „It‘s A small World“ bis hin zum aktuellen „Encanto“ – sind inspirierend für so viele Generationen. Disney produziert seit 100 Jahren Musik. Und diese Musik hat sich natürlich mit der Zeit gewandelt, aber immer auf hohem musikalischen Niveau. Wenn man sich ihre frühen Produktionen wie „The Silly Symphonies“ ansieht – das ist klassische Musik. Und später kamen dann Weltmusik, Pop oder Rap hinzu.
Kultur Joker: Sind Sie mit Disney-Filmen aufgewachsen?
Lang Lang: Ja. Vor allem mit den Episoden von Micky Maus und Donald Duck und „Aladin“ im Fernsehen und auf Videokassette. Und als ich 12 war, kam „Der König der Löwen“ heraus.
Kultur Joker: Was braucht es, um dieser uramerikanischen Musik gerecht zu werden?
Lang Lang: Ich sehe diese Musik nicht als uramerikanisch an. Die ersten Disney Produktionen basierten auf europäischer klassischer Musik und auch in der weiteren Entwicklung waren die Filme und die Musik von anderen Kulturen und Orten auf der ganzen Welt inspiriert – es gibt bei Disney mittelöstliche Elemente, auch chinesische, afrikanische und mexikanische. Deshalb mag ich Disney.
Kultur Joker: Sie sind ganz tief in Bachs Musik und seine Welt eingetaucht. Und wie ausgiebig haben Sie sich mit der Disney-Musik beschäftigt?
Lang Lang: Dieses Mal habe ich mich die meiste Zeit über Zoom vorbereitet. Ich habe dieses Projekt gleich nach den Goldberg-Variationen begonnen. Es war ein langer Prozess während der Pandemie, denn am Anfang hörte ich so viele Versionen, die mir nicht gefielen. Sie fühlten sich oft wie Hintergrundmusik an. Mir schwebte aber ein sehr pianistisches, virtuoses und künstlerisches Album vor. Ich bin sehr froh, dass ich gemeinsam mit meinem Produzenten-Team Ron Fair und Thomas Lauderdale so großartige Musiker wie z.B. den britischen Pianisten Stephen Hough oder die brillante Natalie Tenenbaum gewinnen konnte, für uns zu schreiben. Wir probierten so viele verschieden Arten aus, für Klavier zu schreiben und hatten am Ende nicht nur viele Zoom-Meetings, sondern auch sechs Aufnahmeorte!
Kultur Joker: Wo haben Sie „The Disney Book“ eingespielt?
Lang Lang: In Shanghai, New York, Los Angeles, London, Paris und Peking.
Kultur Joker: Wenn Sie im Studio arbeiten, überlassen Sie dann viel dem Zufall?
Lang Lang: Nicht dem Zufall, aber ich habe viel improvisiert und ausprobiert. Bei klassischer Musik weiß ich genau, was ich im Studio machen möchte. Bei diesem Projekt, war der Prozess ein anderer. Jeder Song war gewissermaßen „work in progress“. Ich rief die Arrangeure häufig an und arbeitete mit ihnen an den Stücken, fragte, ob sie etwas hinzufügen oder weglassen könnten. Es war fast so, als würde die Musik gleichzeitig mit der Aufnahme geschrieben.
Kultur Joker: Wann sind Sie am Kreativsten?
Lang Lang: Tagsüber. Um 12 Uhr, nach dem Frühstück.
Kultur Joker: Seit Ende Januar 2021 sind Sie Vater eines Sohnes. Wie hat dieses kleine Wesen Ihr Leben und Ihre Arbeit verändert?
Lang Lang: Mein Leben ist enorm bereichert worden. Und ich bin seit seiner Geburt jetzt ein bisschen öfter zu Hause als vorher. Während Tourneen fahre ich häufig zwischen zwei Konzerten nach Hause, denn ich genieße jede Minute, die ich mit ihm verbringen kann. Auch spüre ich, seit ich Vater bin, ein noch höheres Verantwortungsbewusstsein für junge Menschen und widme mich noch intensiver meiner Stiftung, der Lang Lang International Music Foundation, mit der wir musikalische Bildung fördern.
Kultur Joker: Ihre Frau ist Deutsche. Sprechen Sie ein wenig deutsch?
Lang Lang: Ich verstehe ein bisschen, zum Beispiel, wenn meine Frau sich mit ihren Eltern unterhält. Aber meine Deutschkenntnisse sind eher oberflächlich. Zuhause sprechen wir Englisch. Und meine Frau hat nur zwei Jahre gebraucht, um Chinesisch zu lernen. Sie spricht es mittlerweile perfekt. In China kann sie sogar im Fernsehen auftreten, so gut ist sie.
Kultur Joker: Wie stark begeistert die klassische Musik junge Menschen in China?
Lang Lang: Klassische Musik ist in China zwar beliebt, aber nicht vergleichbar mit der Popmusik, die – wie überall – auch in China noch wesentlich populärer ist. Aber das Klavier ist das beliebteste Instrument. Viele Pianisten spielen zum Beispiel Beyoncé-Songs und keine klassischen Stücke.
Kultur Joker: Die Lang Lang International Music Foundation fördert unter anderem Kinder aus schwierigen Verhältnissen. Könnten Sie sich vorstellen, mit Ihrer Stiftung auch in Deutschland aktiv zu werden?
Lang Lang: Mit unserem Programm „Keys of Inspiration“ bieten wir in über 50 nordamerikanischen unterprivilegierten Schulen Klavierunterricht an. Seit diesem Jahr sind wir mit der Lang Lang International Music Foundation auch in Europa aktiv. Dort haben wir in England an fünf Schulen unsere ersten Schulkooperationen gestartet. Aber jedes Land ist anders, hat ein anders organisiertes Schulsystem. Natürlich würden wir wahnsinnig gerne auch nach Deutschland kommen!
Kultur Joker: Sie verbringen relativ viel Zeit in Deutschland.
Lang Lang: Deutschland und Österreich sind die heiligen Länder für klassische Musik. Keine Diskussion. Ich bin so froh, dass ich immer wieder hierher kommen kann, um Konzerte zu hören und zu spielen.
Kultur Joker: Welcher Ihrer Lehrer hat Sie am stärksten geprägt?
Lang Lang: Mein Vater war sehr wichtig für mich, aber nicht als Lehrer. Meine Lehrer waren Daniel Barenboim, Christoph Eschenbach, Gary Graffman sowie Professor Zhu Yafen in meiner Heimadtstadt.
Kultur Joker: Mit Daniel Barenboim arbeiten Sie heute noch regelmäßig zusammen.
Lang Lang: Ich habe bei ihm in Berlin über acht Jahre studiert. Er hat mir so viel beigebracht! Daniel Barenboim ist wahrscheinlich die kenntnisreichste Person in der Musikbranche, die ich kenne. Über die Dinge, die er mir vor 15 Jahren erzählt hat, denke ich immer noch nach. Er weiß wirklich, wie man die Wurzeln der klassischen Musik in der Spielweise verankert. Das ist sehr wichtig. Er ist ein ganz besonderer Musiker.
Kultur Joker: Was ist das Wichtigste, was Sie von ihm jemals gelernt haben?
Lang Lang: Der eigene Klang. Der eigene Geschmack. Die eigene Persönlichkeit. Und dabei gleichzeitig ein sicheres Stilempfinden. Daniel Barenboim hat mir wirklich gut erklärt, wie ich dies in Einklang bringen kann.
Kultur Joker: Und wie war es, mit dem legendären Jazzpianisten Herbie Hancock zu arbeiten?
Lang Lang: Herbie Hancock ist ein genialer Musiker. Er kann übrigens auch sehr gut klassische Musik spielen. Wir haben mal in der Berliner o2-Arena Maurice Ravels „Ma Mère L’Oye“ aufgeführt. Herbie hat diese wunderbare Leichtigkeit in seinem Spiel! Er ist ein großartiger Jazzmusiker. Aber wenn er will, kann er auch schöne französische impressionistische Musik spielen. Bei seinem allersten Auftritt interpretierte er übrigens ein Mozart Klavierkonzert mit dem Chicago Symphony Orchestra. Der Grund dafür, dass er nicht bei der klassischen Musik geblieben ist, ist sein Lehrer. Er sagte Herbie, er dürfe an der Musik nichts verändern: Du musst es genau so spielen wie auf dem Papier! Das gefiel Herbie nicht und deshalb wechselte er zum Jazz.
Kultur Joker: Sie sind 40 geworden. War das ein besonderer Geburtstag für Sie?
Lang Lang: Es ist okay, aber auf dem Papier sieht es nicht so gut aus! Es ist ein bisschen seltsam von Thirtysomething auf 40 zu springen. Aber es ist ja nur eine Zahl. Als ich 30 wurde, sagte Herbie Hancock in Berlin zu mir: „Weißt du, die Wahrheit ist, dass das Leben sogar besser wird, wenn man älter ist. Ich weiß, dass es in diesem Moment schwer für dich ist, dir das vorzustellen, aber ich bin 70 und sogar noch neugieriger als vorher!“ Jetzt ist Herbie 80 und hat immer noch keine Angst vor dem Älterwerden. Das Leben ist für ihn sogar noch besser geworden.
Kultur Joker: Welchen Geburtstagswunsch haben Sie sich erfüllt?
Lang Lang: Ich habe mir eigentlich nur gewünscht, dass mein Sohn gesund bleibt und meine Eltern nicht zu schnell alt werden.
Kultur Joker: Eine Weltkarriere bedeutet sicher viel Stress. Wie gehen Sie damit um?
Lang Lang: Wenn du einen Vater wie meinen hast, gibt es für dich keinen Stress auf der Welt! (lacht) Nichts war so stressig wie er! Ich übertreibe natürlich, aber er war wirklich ziemlich streng. Irgendwann hat er aber gemerkt, dass der Weg, den ich gehe, der richtige für mich ist – unabhängig von ihm. Es gibt im Leben eines Künstlers eine Menge unnötigen Druck. Wenn du denkst, dass etwas Druck auf dich ausübt, dann tut es das auch wirklich. Schauen Sie mich an: nächste Woche werde ich das Disney-Album live aufführen, anschließend werde ich Beethoven und danach Saint-Saëns spielen und ich habe meine Stiftung, um die ich mich kümmern muss. Ich übe an einem Nachmittag Disney und am nächsten Saint-Saëns und danach Beethoven. Und das ist gut so. Als erwachsener Mensch muss man mit dem Druck umgehen können.
Kultur Joker: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Bildquellen
- Lang Lang in der St. Thomas Kirche in Leipzig: © Stefan Hoederath
- Lang Lang: © Olaf Heine