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Im Gespräch: Jan Delay, Musiker und Act auf dem Zelt-Musik-Festival

Jan Delay alias Jan Phillip Eisfeld navigiert seit einem Vierteljahrhundert souverän durch Hip-Hop, Funk, Rare Grooves, Disco, R‘n‘B, Reggae und Rock. Die GEMA ehrte den Hamburger als Deutschlands besten Pop-Texter. In seinen tanzbaren Songs rügt er die Macht großer Konzerne und moniert deutsche Verklemmtheiten. Nun erscheint das Doppelalbum “Forever Jan (25 Jahre Jan Delay)” mit seinen größten Hits, Nebenprojekten und Raritäten. Mit dem engagierten Rapper sprach Olaf Neumann in Hamburg über den Rechtsruck, das neue Cannabis-Gesetz und seine Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg.

Kultur Joker: “Forever Jan (25 Jahre Jan Delay)” ist Ihr erster Karriereüberblick. Ein Best-of-Album markiert ja immer einen Wendepunkt. Ist damit eine bestimmte Phase abgeschlossen?

Jan Delay: Es ist eine romantische Vorstellung, dass ein Best-of-Album einen Wendepunkt markiert. Bei mir ist eher der Moment gekommen, wo die Plattenfirma sagt, wir veröffentlichen jetzt mal ein Best-of-Album. Die machen in Zeiten von Streaming eigentlich gar keinen Sinn mehr, aber ich bin einer der wenigen Künstler, der noch physische Tonträger verkauft. Ich habe total Bock darauf, dieses Album und die Tour abzufeiern, aber es ist kein Wendepunkt.

Kultur Joker: Auf dem Album sind auch zwei brandneue Songs. Ist es heute leichter, einen Hit zu schreiben, weil praktisch alles über eine Computerdatei läuft?

Delay: Nö, überhaupt nicht. Die Technik erleichtert vieles, aber durch die Simplifizierung ist es für alle machbar geworden. Es kann heute nichts wirklich Eigenes mehr entstehen. Unter rudimentären Bedingungen haben sich früher riesengeile Sachen ergeben, die Grundlage für große Hits waren. Im Prinzip kann man jetzt ins Studio gehen und der KI sagen: Ich will einen Vocal-Pop-House-Song in C-Dur auf 127 Bpm. Und dann macht sie dir solch einen Beat, und den kannst du dann ein bisschen verändern. Aber einen Hit hinzukriegen ist heute genauso schwer wie vor 50 oder 100 Jahren

Kultur Joker: Was braucht ein Song, damit er richtig knallt?

Delay: Das allerwichtigste ist, dass das Ding auch bei einem oder einer Vierjährigen voll knallt. Dass er das Ganze kapiert, egal ob er die Sprache im Song spricht oder nicht. Der Groove, die Melodien und die Harmonien sind das A und O. Wenn du den Vierjährigen im Sack hast, musst du von da aus hochgehen. Sprichst du so viele Altergruppen wie möglich an, hast du einen potenziellen Hit. Solltest du ihn aber mit Kindermucke oder Schlumptechno im Sack haben, sind alle über vier genervt. Also wird es schwer mit dem Hit.

Kultur Joker: Ihre Tochter ist zehn. Fungiert Sie für Sie zuweilen als musikalische Beraterin?

Delay: Ja, sie ist wirklich ein wichtiger Ratgeber, weil sie sich so entwickelt und verändert, dass ich manchmal baff bin. Sie denkt aber nicht, dass ihr Papa die tollste Musik überhaupt macht, sondern dass das sein Job ist. Sie interessiert sich für alles, was ich mache, hört aber natürlich ganz andere Musik.

Kultur Joker: Wie innovativ darf ein Hit sein?

Delay: Diese Frage kann ich nicht objektiv beantworten, denn jeder hat eine andere Auffassung von einem Hit und wie er entstehen kann. Ein Song kann komplett innovativ oder ausgefallen sein und trotzdem ein unfassbarer Welthit werden. Hätte ich Ihnen vor 21 Jahren „Seven Nation Army“ von The White Stripes vorgespielt und behauptet, es würde für ein paar Jahre der größte Song der Welt werden, würden Sie mich für bescheuert halten. Das Stück klingt komisch und besteht ja nur aus einer Bassline und einer abgefuckten Kickdrum. Das zeigt, dass du innovativ sein und einen Riesenhit haben kannst. Kein Algorithmus kann die Schwingungen herstellen, die dafür sorgen, dass ein Song entsteht.

Kultur Joker: Mit Ihrem großen Vorbild Udo Lindenberg nahmen Sie 2006 den Song „Im Arsch“ auf. War diese Single erfolgreich?

Delay: Gemessen an anderen Singles auf gar keinen Fall, aber trotzdem war es für mich ein sehr wichtiger Song. Das Video ist wie ein Mafia-Epos und mein absoluter Favorit.

Kultur Joker: Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Treffen mit Lindenberg?

Delay: Ja klar, da ist er zu uns ins Studio gekommen. Damals befand es sich noch über dem alten Eimsbush-Büro in der Eimsbütteler Straße 63 auf dem Hinterhof. Ich war natürlich tierisch aufgeregt. Udo kam mit einem Mitarbeiter aus dem Atlantic Hotel vorbei, der für ihn Tee kochen musste und hat den Song direkt eingesungen. Es war krass. Ich glaube, wir haben da sogar ein bisschen gefilmt.

Kultur Joker: Hat Lindenberg ein Faible für unkonventionelle Arbeitsmethoden?

Delay: Auf jeden Fall nicht tagsüber. Mit Udo kannst du tagsüber nichts machen. Der ist noch mehr Nachteule als ich.

Kultur Joker: Wie kam es eigentlich zu dem düsteren Text von „Im Arsch“?

Delay: Den habe ich Ende 2004 geschrieben. Das war zur Zeit der dritten Beginner-Platte „Blast Action Heroes“. Das erste Mal, dass eine deutsche Rap-Platte auf Platz eins ging. Das war cool, aber zeitgleich drohte die ganze Musikindustrie wegen Napster, Pirate Bay und CD-Brennerei zusammenzubrechen. Unsere Firma Eimsbush ist damals insolvent gegangen. Und trotzdem hatte „Im Arsch“ einen positiven Kick: dass du genau daraus Kraft schöpfst, ganz neu anfängst und etwas Derberes machst. Und schon bald wurde klar, dass ich auf die richtige Karte gesetzt hatte.

Kultur Joker: Auch Lindenbergs Karriere nahm zu der Zeit wieder Fahrt auf. Haben Sie sich gegenseitig befeuert?

Delay: Er befeuert mich schon, seit ich ihn höre. Das hat eigentlich nie aufgehört. Anders herum weiß ich nicht. Da müssen Sie ihn fragen.

Kultur Joker: Ist Kunst immer optimistisch?

Delay: Kommt ganz darauf an, was man für Musik macht. Bei Blues ist das nicht wirklich berufserfordernd, bei Schlager wäre es schon nicht schlecht. Ich persönlich habe mich dazu entschieden, dass ich das auf jeden Fall will und brauche. Klar, es gibt da draußen viel Scheiß, aber letztendlich will man auch dagegen etwas tun und was hilft es, schlecht drauf zu sein. Nee, ich mache Musik, die dafür da ist, dass jemand seinen Arsch bewegt. Man kann versuchen, trotzdem die anderen Dinge anzusprechen, aber so, dass es sich nicht über alles drüberlegt und die Songs pessimistisch klingen.

Kultur Joker: Sind Sie optimistisch, was die Gesellschaft als Ganzes angeht?

Delay: Die Demos im Januar und Februar haben mir ein bisschen was von der Angst genommen und ein besseres Gefühl gegeben. Das zeigt mir, dass es sich lohnt, optimistisch zu sein.

Kultur Joker: Laut einer aktuellen Studie teilen immer mehr Menschen in Deutschland rechtsextreme Einstellungen. Millionen wollen demnach sogar eine Diktatur. Wie erklären Sie sich das?

Delay: Es ist immer die Frage, wie viele Tweets von Leuten, die geistig umnachtet sind, zu etwas Allgemeinem aufgebauscht werden. Und wie nüchtern die Person war, als sie sich geäußert hat. Am Stammtisch erzählt man viel. Wenn man das, was diese Leute sagen und sich wünschen, einmal ernsthaft abklopft, wird man feststellen, dass sie das nicht bis zu Ende gedacht haben. Die werden wahrscheinlich die ersten sein, die keine Diktatur mehr wollen, wenn sie merken, was das eigentlich bedeutet. Die Hälfte der jetzigen AfD-Wähler macht das nur, um irgendwem Denkzettel zu verpassen oder gegen irgendwas zu protestieren. Sollte die AfD einmal irgendwo in die Regierung kommen und mit ihrer Inkompetenz kläglich versagen, hat sich das Ding wieder erledigt. Das ist wie mit der Schill-Partei in Hamburg vor 25 Jahren oder der Piraten-Partei.

Kultur Joker: In dem Song „Spass“ mit Denyo geht es um Fremdenhass. Die Nummer wirkt brandaktuell.

Delay: Der Song ist dem Rechtsruck geschuldet. Er wäre auch schon aktuell gewesen, als wir mit Beginner anfingen und die ganzen Flüchtlingsunterkünfte brannten.

Kultur Joker: AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer kamen im November 2023 in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Was dachten Sie, als Sie davon hörten?

Delay: Ehrlich gesagt war ich nicht schockiert. Letztendlich ist das etwas, was diese Leute die ganze Zeit offen propagieren und weshalb ich nichts mit denen zu tun haben möchte. Björn Höcke ist ein Faschist. Wenn ein Faschist sich irgendwo mit irgendwem trifft, um über solch einen Quatsch wie Remigration zu reden, bin ich persönlich nicht schockiert.

Kultur Joker: Es ist auffällig, dass Bewegungen wie Kundgebungen für Demokratie oder der Klimaaktivismus keine Hymnen besitzen, keinen Soundtrack. Wieso läuft der Widerstand gegen die Apokalypse ohne Popmusik ab?

Delay: Entweder fehlt es an dem richtigen Lied oder dem richtigen Künstler. Vielleicht ist es auch so schwierig, weil heutzutage so viele Dinge auf die Goldwaage gelegt werden. Du musst als Künstler tausendmal mehr aufpassen, was du sagst, als diejenigen, die deinen Song zu einer Hymne machen. Es ist alles so sensibel geworden.

Kultur Joker: Heutzutage wollen sich alle gegenseitig möglichst wenig weh tun. Wie denken Sie über die hypersensible, achtsame Debattenkultur der Gegenwart?

Delay: Diese Kultur ist gerade auf der linken Seite zuhause, und das macht es oft schwierig, zusammen an einem Strang zu ziehen. Meistens ist es für langweiligere Kunst leichter, größeren Anklang zu finden, weil spannende Kunst oft irgendjemanden anpisst. Aber das war immer schon so.

Kultur Joker: Machen Sie sich beim Texten heute mehr Gedanken als früher?

Delay: Das alles hat meine Alarmglocken sicher noch einmal geschärft, aber ich finde es gut, dass ich mich verändere und Menschen Wörter, die verletzen, aus ihrem Sprachgebrauch streichen. Aber nicht aus Zwang, sondern, weil es eine gute Sache ist. Bei dem Song „Türlich, türlich“ von Das Bo und mir zum Beispiel gab es anfangs die Zeile „Gucken spastisch aus der Wäsche wie gekaut und ausgepuckt“. Irgendwann wurde mir bewusst, „spastisch“ ist diffamierend. Seitdem sage ich lieber „dümmlich“.

Kultur Joker: In der Sammlung legendärer Nebenprojekte und Raritäten ist der Song „17:30“ enthalten. Textprobe: „Jetzt ist schon 15 Uhr, und ich noch im Pyjama/Laufe durch die Wohnung, und ich rauch’ Marihuana, ja, ja“. Ist das als Hommage an Cannabis zu verstehen?

Delay: Ich weiß nicht, wie ich diese Frage deuten soll. Auf jeder meiner Platten ist doch irgendwo eine Hommage an Cannabis. Das ist für mich etwas Selbstverständliches.

Kultur Joker: An dem neuen „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis“ scheiden sich die Geister. Friedrich Merz hat angekündigt, es zu kippen, sollte er im kommenden Jahr Bundeskanzler werden.

Delay: Ach, das machen die nicht, das wäre doch viel zu peinlich. Wir sind ja fast noch das letzte Bauernland, wo das noch nicht erlaubt war. Geht mit der Zeit, Leute! Schön und gut, dass ihr konservativ seid, aber ihr könnt auch Geld damit verdienen. Ich war gerade in Nevada, einem Wüstenbundesstaat, wo nur rechte Christen wohnen. Selbst da darfst du kiffen. Aber man muss darüber nicht mehr reden, es ist ja jetzt passiert.

Kultur Joker: Sie gehen in der warmen Jahreszeit auf Best-of-Open-Air-Tour. Als erfolgreicher Künstler ist man ja die ganze Zeit umringt von Leuten, die applaudieren. Was macht das mit einem?

Delay: Es gibt bestimmt auch Musiker, bei denen niemand applaudiert. Man muss sich das ja auch verdienen. Ich bin dafür sehr dankbar und hebe auch nicht ab, sondern ich analysiere den Applaus lieber. Meine Antennen sind fein justiert. Ich bin eher der Typ, der hinhört, wie laut die Leute bei welchem Song klatschen, um zu merken, welche Titel wichtig sind, live gespielt zu werden und welche eher nicht. Nicht das Lied, bei dem die Leute am meisten springen, ist das Tollste, sondern es gibt auch viele andere Momente in der Musik.

Kultur Joker: Wie oft erleben Sie vollkommene Konzerte, die zu Hundert Prozent gelingen?

Delay: Ich will jetzt nicht blasiert klingen, aber das kommt schön öfters vor. Es gibt viele Aspekte außerhalb der Ebene, die wir als Musiker unter Kontrolle haben. Das perfekte Konzert beinhaltet auch ein perfektes Publikum, das das genauso empfindet wie wir. Oder tolles Wetter oder eine wunderschöne Kulisse. Aber wenn es nur darum geht, was wir da auf der Bühne abliefern, dann ist das perfekte Konzert gar nicht so selten.

Kultur Joker: Vielen Dank für das Gespräch.

Bildquellen

  • Jan Delay: © Thomas Leidig