Interview

Im Gespräch: Holger Thiemann, Projektleiter des Freiburger Stadtjubiläums

Eine Jahrhundertfeier für alle

2020 bedeutet für die Welt ein neues Jahrzehnt, für Freiburg auch 900 Jahre Stadtjubiläum. Mit einem breiten Programm „von, mit und für die Bürger und Bürgerinnen“ und über das ganze Jahr verteilt, hat die Stadt ein ambitioniertes Projekt vorgelegt, das in jedem Fall neugierig macht. Unser Mitarbeiter Fabian Lutz hat Anfang des Jubiläumsjahres deshalb nachgefragt. Im Interview mit Projektleiter Holger Thiemann erfährt er von einem jungen Freiburg, engagierten BürgerInnen und inwiefern das Jubiläum mit Nostalgie nur wenig zu tun hat.

Kultur Joker: Das Motto des Freiburger Stadtjubiläums lautet „900 Jahre jung“? Ist Freiburg nicht eher alt?

Holger Thiemann: Bei Städten ist das Alter relativ. Allein die umliegenden Stadtteile sind teils älter als Freiburg selbst. Die Munzinger lachen über 900 Jahre, deren Gemeinde ist viel älter. Breisach ist sogar 1650 Jahre alt! Unser Motto steht symbolisch für die Lebendigkeit der jungen Stadt Freiburg. Freiburg habe ich als Stadt kennengelernt, die ein unglaubliches Angebot an Möglichkeiten hat und viele Aktivitäten bietet. Junge Menschen fühlen sich in Freiburg auch sehr wohl.

Kultur Joker: Ein ganzes Jahr Feierlichkeiten. Welche Möglichkeiten bietet ein so großes Jubiläum?

Holger Thiemann: Der Geburtstagsanlass bietet für Bürger und Bürgerinnen die Chance sich intensiv mit ihrer Stadt auseinanderzusetzen. Bei einem solchen Anlass wird eine Stadt plötzlich ganz anders wahrgenommen. Über die diversen Projekte zum Jubiläum kann die Stadt komplett neu entdeckt werden. Ohne Anlass sind solche Perspektivwechsel hingegen schwierig.

Kultur Joker: Wie viel Nostalgie steckt in diesem Stadtjubiläum?

Holger Thiemann: Natürlich birgt der Blick zurück, der zu jedem Jubiläum gehört, etwas Nostalgie. Viele Veranstaltungen beschäftigten sich mit der Geschichte der Stadt, zeigen aber auch deutlichen Gegenwartsbezug. Und manche Veranstaltungen werfen auch einen Blick in die Zukunft. Wohin können wir uns, wohin sollten wir uns als Stadt entwickeln? Das hat mit Nostalgie wenig zu tun.

Kultur Joker: Statt Nostalgie auch etwas für ein junges Publikum? Wie können Sie einen Vierzehnjährigen für ein 900-jähriges Stadtjubiläum begeistern?

Holger Thiemann: Wir versuchen mit unserer Werbung mit der Zeit zu gehen, etwa über die Nutzung der bekannten Social Media-Kanäle. Im Veranstaltungsangebot gibt es auch viele Angebote, die sich an junge Menschen richten. – das reicht von Musikangeboten für Kinder wie zum Beispiel ein Kindermusikfest über Kunstprojekte wie „Große Köpfe“, verschiedene Schulprojekte bis hin zu einer großen und langen Clubnacht, der SoundCity Freiburg. Auch wenn ich selbst nicht zur jungen Generation gehöre, will ich ein Jubiläum, das sich an alle Bürger und Bürgerinnen der Stadt richtet.

Kultur Joker: Wie verläuft die Kommunikation mit den ProjektteilnehmerInnen? Sehen Sie sich als Leiter oder als Koordinator des Stadtjubiläums?

Holger Thiemann: Das Jubiläum ist eine Einladung an die Bürger und Bürgerinnen der Stadt, an Einzelkünstler, Initiativen, Vereine, diesen Anlass nach ihren Wünschen zu feiern. Wir haben nach Projekten gefragt und dann die nötige Hilfe zur Verfügung gestellt, um diese Projekte umsetzbar zu machen. Nachdem wir für das Stadtjubiläum durch Werbung etwas Aufmerksamkeit gewinnen konnten, ist unsere Hauptaufgabe nun tatsächlich die Koordination der verschiedenen Bürgerprojekte.

Kultur Joker: Sie halten sich also im Hintergrund?

Holger Thiemann: Das Jubiläum soll ein Fest von, für und mit den Freiburger und Freiburgerinnen sein. Wir haben also nicht eingegriffen und bestimmte Projekte für bestimmte Zielgruppen geplant, sondern nur mit den eingebrachten Projektanträgen gearbeitet. Wir hätten unser Budget auch auf vier größere Projekte verteilen können. Dann wären es vielleicht 4-6 Wochen Jubiläum im Jahr geworden. Das wäre gegenüber all den anderen Einsendungen aber ungerecht gewesen. So haben wir das Geld breiter gestreut und können Veranstaltungen garantieren, die nicht nur im Sommer, sondern über das ganze Jahr verteilt sind.

Kultur Joker: Hat diese breite Streuung auch Nachteile?

Holger Thiemann: Die Schwierigkeit war, dass viele Projekte zunächst nicht das Budget bekamen, das sie sich gewünscht hätten. Leider hatten wir nur ein begrenztes, mäßig hohes Budget. Viele Projektteilnehmer mussten dann überlegen, ob die Realisierung ihres Projekts so noch realistisch ist. Manche dieser Projekte konnten ihre Ziele dann doch umsetzen, mit anderen haben wir uns zusammengesetzt und gefragt, wo in diesem Einzelfall noch Unterstützung notwendig wäre. Das war ein langer, schwieriger Prozess, der aber auch Erfolg zeigt. Letztlich können sich von den ausgewählten Projekten fast alle finanzieren, auch durch Drittmittel, etwa durch Stiftungen und Sponsorenverträge.

Kultur Joker: Freiburg ist nicht nur eine junge, sondern auch problembelastete Stadt, der manchmal auch Perspektiven fehlen. Das zeigt zum Beispiel die Wohnungsnot. Werden im Jubeljahr 2020 auch problematische Aspekte behandelt?

Holger Thiemann: Wir haben den Bürger und Bürgerinnen für ihre Projektanträge keine bestimmten Vorgaben gemacht. Es gab also keine Aufforderung, nur festliche und schöne Projekte einzureichen. Ebenso gab es auch kein paritätisches System, nach dem es ausgewogen positive und negative Veranstaltungen geben sollte. Es sind einige Veranstaltungen dabei, die kritische Themen behandeln und die Stadtgeschichte auch kritisch reflektieren. Wir sparen Themen wie Flucht oder Freiburgs Geschichte im Nationalsozialismus nicht aus. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang verschiedene Führungen wie zum Beispiel eine unter dem Titel „Vom Bauernkrieg zum Pflegenotstand“, Projekte, die sich mit der Geschichte der Minderheiten in Freiburg beschäftigen, die Vorstellung eines Audioguides, welches das jüdische Leben in Freiburg nachzeichnet oder die Filmvorführung „Es geschah in unserer Stadt.“ Es gibt viel zu erfahren!

Kultur Joker: Wie groß war die Resonanz der BürgerInnen auf das Jubiläum?

Holger Thiemann: Zunächst kam die Resonanz nur schleppend. Als wir im Frühjahr 2018 zum ersten Mal auf das Stadtjubiläum aufmerksam machten, standen eher andere Themen im Fokus der Öffentlichkeit. Wir mussten also Interesse wecken. Gleichzeitig standen wir unter Zeitdruck und mussten das Auswahlverfahren früh beginnen. Die Auswahlentscheidung musste auch transparent und anhand klarer Kriterien erfolgen, die wir über ein formalisiertes Verfahren auch erst definieren mussten. Wichtig war dabei eine niedere Eintrittsschwelle. Wer für eine Teilnehme erst zehn Formulare ausfüllen muss, der wird nur unnötig abgeschreckt.

Kultur Joker: Der Prozess lief trotzdem nur schleppend an?

Holger Thiemann: Zu Beginn der Ausschreibung bekamen wir nicht viel Rückmeldung. Da bin ich auch nervös geworden. Irgendwann, ich kann wirklich nicht sagen, warum, war die Zurückhaltung dann aber weg. Es kamen viele Projekte, was wiederum einen Domino-Effekt verursachte. Die Leute fingen an, darüber zu sprechen und konnten sich gegenseitig für eine Bewerbung motivieren. Schnell hatte die Anzahl eingegangener Projektanträge große Dimensionen erreicht. Das ist schön, aber, wie schon gesagt, auch nicht unproblematisch, weil sich das Budget leider nicht im gleichen Maße vergrößert.

Kultur Joker: Die Spendenbereitschaft ist aber sehr groß.

Holger Thiemann: Ja. Zunächst war uns wichtig zu kommunizieren, dass wir nicht allgemein Spenden für die Stadt suchen, sondern für die Projekte der Bürger und Bürgerinnen. Die Stadt hatte vielmehr die Funktion eines Multiplikators. Für jeden gespendeten Euro hat sie noch einen dazugesetzt. Bei einer 900 Euro-Spende kommen am Ende also 1800 Euro bei den Projekten an. Wie bei den Projektanträgen kamen die Spenden zu Beginn nur schleppend, nun aber läuft die Spendenkampagne „900×900“ gut. Im Bächle vor dem Colombi-Schloss sind Plaketten mit den Namen von Spendern eingelassen worden, womit auch die Sichtbarkeit der Kampagne und ihrer Unterstützer erhöht ist.

Kultur Joker: Welche der stattfindenden Veranstaltungen repräsentiert Freiburg für Sie am besten?

Holger Thiemann: Das ist eine schwierige Frage. Die Repräsentation Freiburgs im Jubiläum kennt ja viele Aspekte. Im Februar haben wir eine Nacht der Narren mit einigen tausend Narren, die die traditionsreiche Freiburger Fasnet gut abdeckt. Im September wird rund um das Münster ein großes Konzert stattfinden, mit ca. 900 aktiven Teilnehmenden, was sicher einen äußerst breiten Teil der Musikszene Freiburgs repräsentiert, denn Freiburg ist eine Musikstadt. Ganz persönlich, über meinen beruflichen Werdegang habe ich einen besonders starken Bezug zum Seepark. Dort hatte ich damals die Landesgartenschau mit organisiert. Deshalb freue ich mich sehr auf die verschiedenen Veranstaltungen des Jubiläums, die dort stattfinden werden.

Kultur Joker: Sie sprechen von Ihrer früheren Karriere. Zuletzt waren Sie Leiter der Freiburger Kulturbörse. Wie leicht oder schwer fiel Ihnen der Wechsel zur Projektgruppe des Stadtjubiläums?

Holger Thiemann: In jedem Fall war es eine überraschende Wendung. Eigentlich war ich am Ende meines beruflichen Lebens angekommen und wäre in Rente gegangen. Dieses besondere Berufsangebot war dann eine Herausforderung, die mich gereizt hat. Das Stadtjubiläum zu organisieren ist noch einmal eine ganz andere Tätigkeit, schließt für mich aber gleichzeitig auch einen Kreis, denn vor 25 Jahren durfte ich als Berufsanfänger schon bei der 875-jährigen Jubiläumsfeier der Stadt mitwirken.

Kultur Joker: Noch einmal eine schwierige Frage. Wie viel Idealismus, wie viel Routine benötigen Sie für diese Arbeit?

Holger Thiemann: Es steckt in jedem Fall sehr viel Idealismus in meiner Arbeit. Andererseits hilft mir die Berufserfahrung im Veranstaltungsmanagement, also die Routine, schon sehr, meine Aufgaben hier leichter zu erfüllen. Aber ohne Idealismus funktioniert dieser Job nicht.

Kultur Joker: Sie sagten bereits, ohne dieses Jubiläum wären Sie wohl im Ruhestand. Kommt nach dieser Feier also nichts mehr?

Holger Thiemann: Oh, dazu sage ich jetzt nichts! Ich muss das Jubiläum erst einmal überstehen und dann sehen wir weiter. Das ist ja auch das Gute an meiner jetzigen Berufslage. Ich muss nichts mehr werden und muss niemandem mehr etwas beweisen. Das macht mich unabhängig und frei.

Kultur Joker: Herr Thiemann, wir bedanken uns für das Gespräch!

Alle Informationen zum Stadtjubiläum: www.2020.freiburg.de

Bildquellen

  • : A. Heldwein