Im Gespräch: Gerald Klamer, “6000 Kilometer zu Fuß durch Deutschlands Wälder”
Gerald Klamer hat Beruf und Eigenheim aufgegeben. Seit Februar dieses Jahres wandert der ehemalige Forstbeamte auf einem von ihm konzipierten Rundkurs über 6000 Kilometer durch die verschiedenen Waldgegenden der deutschen Bundesländer. Ihm geht es bei diesem Gewaltmarsch um mehr als ein besonderes Naturerlebnis. Erich Krieger hat den gebürtigen Niedersachsen auf einem Etappenstopp in Hinterzarten getroffen und mit ihm über die Beweggründe für seine Aktion gesprochen.
Kultur Joker: Herr Klamer, Sie nennen Ihre Tour zu Fuß durch Deutschland „Waldbegeisterung“. Was bedeutet der Wald für Sie und warum begeben Sie sich auf eine monatelange Wanderung unter Verzicht auf jeglichen Komfort?
Gerald Klamer: Die Liebe zum Wald begann schon in Kindertagen. Ich bin in Sondermühlen, einem kleinen 500-Seelen-Dorf bei Melle, geboren und mein Spielplatz war überwiegend der Wald. Für mich lag es daher nahe, später den Försterberuf zu ergreifen, was ja auch geklappt hat. Meine zweite große Leidenschaft ist schon seit jeher das Wandern, gerne auch in Wildnisgebieten überall auf der Welt. Ich war schon im Himalaya, in den Anden, den Rocky Mountains oder den afrikanischen Regenwäldern viel unterwegs, vor allem auf Langstrecken. Deshalb bin ich auch zuversichtlich, dass ich die angepeilten 6000 Kilometer schaffen kann. Meine Motivation ist klar: Dem deutschen Wald geht es so schlecht wie nie. Seit drei Jahren haben wir eine anhaltende Dürre, die sich eigentlich bei allen Baumarten mehr oder weniger bemerkbar macht. Als Folge ist zum Beispiel die Fichte durch den Borkenkäfer nahezu geschliffen worden. Ich will nun diese beiden Leidenschaften zusammenführen, um einmal auf diese prekäre Situation aufmerksam zu machen, aber auch darüber aufzuklären, wie man den Wald stabilisieren kann durch eine sinnvolle Bewirtschaftung und durch richtige Verhaltensweisen jedes Einzelnen im Wald.
Kultur Joker: Wie machen Sie das?
Gerald Klamer: Ich laufe ja nicht nur vor mich hin. Unterwegs habe ich ganz viele Stationen, die ich aufsuche. Dort treffe ich viele Gesprächspartner, mit denen ich über Waldthemen rede oder sie befrage. Das ist eine bunte Mischung aus naturnah arbeitenden Forstbetrieben, Wissenschaftlern, die speziell zum Thema Natur, Wald und Klimawandel forschen, Bürgerinitiativen, die sich für die Erhaltung des Waldes einsetzen, interessierten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und natürlich Medienvertretern aller Art, die über meine Aktion berichten wollen. Und nicht zuletzt fülle ich so gut es geht regelmäßig meinen Blog im Internet und berichte über meine Erlebnisse oder meine mir mitteilenswerten Gedanken. Meine Route verläuft auch zu einem guten Teil entlang dieser Treffpunkte und dies zwingt mich auch zum Laufen bei jedem Wetter, denn ich muss ja immer auch rechtzeitig zum jeweils verabredeten Ort und Zeitpunkt da sein.
Kultur Joker: Für Ihr Projekt mussten sie zumindest vorübergehend Ihre Berufstätigkeit unterbrechen.
Gerald Klamer: Natürlich, aber ich habe tatsächlich gekündigt und meine verbeamtete Stelle komplett aufgegeben. Sicher auch, weil ich mich unabhängig äußern will, was als Beamter manchmal nicht so einfach ist. Trotzdem will ich nicht falsch verstanden werden, denn es ist nicht alles schlecht. Ich will deshalb nicht nur auf Missstände hinweisen, sondern mein Ansatz ist ein positiver. Deshalb heißt mein Projekt auch „Waldbegeisterung“ und man kann Menschen nur für den Wald begeistern, wenn man auch auf gute und nachahmenswerte Beispiele hinweist.
Kultur Joker: Wie finanzieren Sie dann das Ganze?
Gerald Klamer: Ich habe nicht nur meine Stelle, sondern auch meine Wohnung aufgegeben, mein Auto verkauft, meine Habseligkeiten entweder auch verkauft oder verschenkt und meine Ausgaben dadurch auf ein Minimum reduziert, so dass ich jetzt unterwegs mit sehr wenig Geld auskomme. Ein paar Rücklagen gibt’s auch noch und meine Tochter hat bald ihr Studium abgeschlossen und wird dann auf eigenen Füßen stehen. Somit bin ich nur noch für mich selbst verantwortlich und da ich ein sparsamer und in meinen Ansprüchen bescheidener Mensch bin, ist mir dabei auch für die Zukunft keineswegs bange.
Kultur Joker: Wie sieht denn ihr derzeitiger normaler Tagesablauf aus?
Gerald Klamer: (lacht) Ich habe kein Zelt, sondern nur eine Matte zum Liegen und eine dünne Plane für leichten Regen dabei, denn wild campen ist ja in Deutschland verboten. Bei ganz schlechtem Wetter suche ich zum Übernachten schon mal eine Schutzhütte auf, von denen es bei uns im Wald ja viele gibt. Ich wache fast immer in der Dämmerung mit den ersten Vögeln auf, frühstücke noch im Schlafsack – in der Regel Müsli mit Babypulver, manchmal mit Erdnussbutter, Honig oder Schokocreme dabei – packe recht schnell meine wenigen Habseligkeiten zusammen und laufe dann schon los. Mittags mache ich dann eine weitere Rast. Das Mittagessen besteht aus Schokolade. Anfangs waren es 100 Gramm, jetzt bin ich bei der doppelten Menge. Dann wandere ich normalerweise bis 19 Uhr und richte meine Nachtlagerstätte ein. Die Tagesstrecke liegt mittlerweile bei ungefähr 30 Kilometern mit Tendenz nach oben. Dann schreibe ich mein Tagebuch zweigleisig, digital und auf Papier und noch einige Sätze für meinen Blog, die ich, falls Empfang da ist, über mein Handy gleich ins Netz stelle. Dies alles geht nur, weil ich eine große Powerbank mittrage, die ich so einmal in der Woche aufladen muss. Dies geht natürlich nur in einer Unterkunft. Die bekomme ich bei Menschen, die mich über den Blog einladen, oder gelegentlich in einer Pension, wo ich dann auch mal duschen kann. Anfangs hatte ich auch ein Solarmodul dabei, das sich aber als zu schwach erwiesen hat und somit nur totes Gewicht bedeutet hat.
Kultur Joker: Welche Erkenntnisse oder Bestätigungen hat Ihre bisherige Tour für Sie gebracht
Gerald Klamer: Das ist regional höchst unterschiedlich. Es gibt richtige Katastrophengebiete wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Sauerland und Siegerland, wo ganze Berge im Prinzip von toten Fichten bestanden oder auch inzwischen abgeräumt sind. Aber wenn man in andere Gebiete wie den Schwarzwald kommt, wo es natürlich auch viele Schäden durch den Borkenkäfer oder Windbruch gibt, sieht es noch weniger katastrophal aus. Allerdings kenne ich bis jetzt nur den Nordschwarzwald, wie es im äußersten Süden aussieht, weiß ich noch nicht. Was mir große Sorge bereitet und fast Tränen in die Augen treibt ist zunächst der Zustand der Fichte. Sie wäre ja in den meisten Gegenden von Deutschland von Natur aus nicht zu Hause, sondern ist im Laufe der Zeit künstlich angebaut worden, weil sie gutes Holz ergibt und schnell wächst, aber eben nicht wirklich an das Klima in tieferen Lagen angepasst ist. Inzwischen haben wir aber auch größere Schäden bei der Buche und Deutschland wäre eigentlich ein prädestiniertes Buchenland. Gerade in Baden-Württemberg, wo wir die heißesten Lagen in Deutschland haben, konnte ich zum Beispiel im Hardtwald bei Karlsruhe, viele abgestorbene Buchen sehen und dies ist schon ein höchst alarmierendes Zeichen.
Aber: Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Der Wald kann sich erholen. Ich würde nicht sagen, dass der Wald stirbt, aber er leidet und man kann schon sehr viel für seine Rettung tun.
Kultur Joker: Und das wäre?
Gerald Klamer: Ganz wichtig ist der Mischwald. Monokulturen sind immer sehr anfällig und das weiß man schon seit vielen Jahrzehnten. Trotzdem hat man aus wirtschaftlichen Gründen immer wieder auf die Fichte und ersatzweise auf die Douglasie gesetzt, die zwar als resistenter gegen Trockenheit gilt, bei der ich aber auch schon erhebliche Schädigungen beobachten konnte. Wichtig ist eine bunte Mischung und man sollte immer auch Laubbäume dabeihaben. Sie verbessern einfach das Bestandsklima und den Boden. Hier im Schwarzwald gibt es zwar noch riesige Bestände an Tannen und Fichten, aber Buchen sollten eben dazwischen sein. Das ist zwar erkannt und es gibt Anstrengungen in die richtige Richtung bei der Aufforstung. Es wäre aber viel besser gewesen, hätte man damit schon in großem Stil schon vor zehn Jahren angefangen. Speziell zur Situation in den Buchenwäldern. Die alten Buchenbestände sind eigentlich unser Naturerbe, ein Schatz, den wir übernommen haben und den man zwar auch nutzen kann, aber sehr vorsichtig. Buchen haben eine dünne Rinde und können wie wir Menschen einen Sonnenbrand bekommen. Wenn man hier zu stark auflichtet, kann eine Kettenreaktion entstehen, die einen ganzen Bestand vernichten kann. Deshalb ist das Gebot der Stunde in den Buchenwäldern entweder in den alten Beständen gar nichts zu machen und zu warten, bis wir wieder feuchtere Jahre haben, oder nur ganz behutsam einzelne Stämme herausnehmen. Ich habe unterwegs 160-jährige Buchenwälder gesehen, wo auf großer Fläche fünf Bäume nebeneinander geschlagen wurden, 20 Meter weiter die nächsten fünf und so weiter. So wurde mit einem einzigen Eingriff die Hälfte des Bestandes genommen. Dies darf man heute einfach nicht mehr machen. Es gäbe noch viele weitere Aspekte, ich will nur noch einen ganz wichtigen nennen und das ist die Befahrung der Waldböden. Natürlich muss man bei der Holzernte auch bis zu einem gewissen Grad mit schweren Maschinen in den Wald. Aber in Deutschland gibt es beim Abstand der befahrbaren Rückegassen einen Standard von 20 Metern. Diese sind vier Meter breit und man kann sich ausrechnen, dass dies 20 Prozent der Waldfläche ausmacht. Da die Rückegassen oft nicht gerade verlaufen und man die Abstände oft noch geringer wählt, weil man mit dem Harvester auch noch an den letzten Baum gelangen will, kommt man auch auf 30 bis 40 Prozent. Diese großen Maschinen verdichten den Boden in hohem Maß und ein verdichteter Boden kann nun mal viel weniger Wasser speichern als ein lockerer. Das Problem wurde in manchen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz, Saarland und auch Baden-Württemberg in den Landesforstbetrieben des Staatswalds bereits erkannt und angegangen, aber es wäre wünschenswert, dass sich die Privatwaldbesitzer und auch die Kommunen in diese Richtung bewegen. Wir haben allein zwei Millionen Private, die insgesamt 50 Prozent des Waldes besitzen – eine ganze Menge. Also weg von 20-Meter-Rückegassen und hin zu 40 Metern.
Kultur Joker: Das sind die Waldbesitzer. Aber was kann nun jeder Einzelne zur Rettung des Waldes beitragen?
Gerald Klamer: Generell müssen wir alle unseren Lebensstil ändern. Letztlich beruhen all die genannten Probleme und viele weitere auf dem Klimawandel, der durch den zu hohen Ausstoß von Treibhausgasen verursacht ist. Auf einen kurzen Nenner gebracht: „Weniger ist das neue Mehr“. Weniger konsumieren, weniger verbrauchen und Sachen solange es irgend geht benutzen. Natürlich kann und soll sich jeder auf lokaler, regionaler oder Landesebene in Initiativen und für klimaschützende Projekte engagieren und seine Stimme nur Parteien, die sich für diese Thematik einsetzen, abgeben.
Kultur Joker: Herr Klamer, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute und viel Erfolg bei Ihrer Tour.
Seine Wanderung wird Gerald Klamer voraussichtlich Mitte November 2021 beenden. Er wird seine Erfahrungen und Erkenntnisse in Vorträgen darstellen und plant darüber hinaus, diese in einem Buch zu verarbeiten.
Zugang zu seinem Blog: https://waldbegeisterung.blogspot.com/
Bildquellen
- Das gesamte Reisegepäck für die 6000-Kilometer-Tour: Foto: Erich Krieger
- Gerald Klamer beim Treffen in Hinterzarten: Foto: Erich Krieger