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Im Gespräch: Eva Kleinitz, neue Intendantin der Straßburger Oper

„Dynamik für Stadt und Region“

Sie war schon stellvertretende Intendantin bei den Bregenzer Festspielen und an der Stuttgarter Staatsoper. Vor einem Jahr wurde Eva Kleinitz nun als Nachfolgerin des Belgiers Marc Clémeur zur „Directrice Générale de l`Opéra national du Rhin“ ernannt. Am 22. September beginnt sie ihre erste Spielzeit mit der französischen Erstaufführung von Philippe Manourys Oper „Kein Licht“. Georg Rudiger hat die 45-jährige Niedersächsin im Café der Straßburger Oper getroffen und sich mit ihr über ihren neuen Job und den damit verbundenen Neuanfang an der elsässischen Rheinoper unterhalten.

Kultur Joker: Wie oft pendeln Sie zur Zeit zwischen Straßburg und Stuttgart?

Eva Kleinitz: Sehr unterschiedlich. Meistens so ein oder zweimal in der Woche. Glücklicherweise ist der TGV meistens pünktlich.

Kultur Joker: Ist das gerade eine besonders anstrengende Zeit, weil sich Ihre beiden Tätigkeiten als Operndirektorin in Stuttgart und Intendantin in Straßburg überlappen?

Kleinitz: O ja. Seit dem 1. April 2016, als ich zur Intendantin der Straßburger Opéra national du Rhin ernannt wurde, habe ich diese Doppelbelastung. Die künstlerischen Inhalte der kommenden Saison sind komplett von mir geplant worden. Nur die Räumlichkeiten in Colmar, Mulhouse und Straßburg wurden schon von meinem Kollegen vorgebucht. Die beiden Orchester aus Mulhouse und Straßburg, die die Opernproduktionen bestreiten, müssen natürlich langfristig planen.

Kultur Joker: Was verbinden Sie mit Straßburg außer der Tatsache, dass es die erste Stadt überhaupt war, die Sie als Mädchen im Alter von acht Jahren besucht haben?

Kleinitz: Das war damals schon ein großes Erlebnis für mich. Von da an habe ich regelmäßig die Stadt besucht. Auch von Saarbrücken aus, wo ich studiert habe, war Straßburg nicht weit. Ich habe an der Straßburger Rheinoper viele Produktionen gesehen und, als ich in Brüssel an der Monnaie-Oper arbeitete, mit Olivier Pys „Les Huguenots“ auch eine Koproduktion betreut. Straßburg ist eine faszinierende Stadt mit einer unglaublichen Geschichte und einer großartigen Universität mit aktuell 50.000 Studenten und drei Nobelpreisen in fünf Jahren. Ich habe mich sehr bewusst für diese Stadt entschieden.

Kultur Joker: Erwartet man von Ihnen in Straßburg eher Kontinuität oder einen Neuanfang?

Kleinitz: Beides. Neuanfang, weil nun eine jüngere deutsche Frau auftaucht und eine ganze Reihe von neuen Künstlern für die Stadt und die Region mitbringt. Aber natürlich muss ich mich auch an Gegebenheiten halten. Beispielsweise kann ich hier keinen Repertoirebetrieb installieren, sondern die neuen Opernproduktionen werden nach wie vor am Stück gespielt, bevor dann die nächste Premiere kommt. Es wird also ein Stagione-Haus bleiben – mit einem breiten Programm vom Barock bis zur zeitgenössischen Oper. Aber ich werde im Gegensatz zu meinem Vorgänger Marc Clémeur keine Komponisten-Zyklen machen.

Kultur Joker: Was haben Sie vor an und mit der Straßburger Oper?

Kleinitz: Ich habe vor allen Dingen vor, dass hier viele Menschen aller Altersstufen und aller sozialen Schichten gerne in die Oper kommen. Wir müssen eine hohe Qualität hinbekommen. Ich möchte Kooperationen eingehen, auch mit dem benachbarten Théâtre national du Strasbourg, das unter Stanislas Nordey eine tolle Entwicklung gemacht hat. Wir möchten Dynamik in die Stadt, aber auch in die Grande Region bringen. Neben Colmar und Mulhouse werden wir auch mal in der weiteren Zukunft in Nancy spielen mit einer Koproduktion. Ludovic Lagarde, der bei uns „Le Nozze di Figaro“ inszeniert, ist Intendant der Comédie in Reims, was auch noch in der Grande Region liegt.

Kultur Joker: Inwiefern spielt das Straßburger Publikum eine Rolle für die Oper, die Sie machen?

Kleinitz: Ich mache meinen Spielplan konkret für eine Stadt – in einer anderen wäre er sicherlich anders ausgefallen. Natürlich schaue ich, was hier am Haus lange nicht mehr gelaufen ist. Dann ist Straßburg eine sehr europäische Stadt; deshalb möchte ich eine große Vielfalt im Programm haben. So entstand auch die Idee, mit dem Festival arsmondo einmal im Jahr über den europäischen Tellerrand hinauszuschauen. Japan und das Elsass haben seit Jahren eine besondere Beziehung. Das reicht bis zu einer Soap Opera, die in der Nähe von Colmar gedreht wurde und in Japan ein Hit war. Diese Verbindungen entstehen natürlich auch über die Musik. Toshiro Mayuzumi ist in Japan geboren, hat dann in Paris gelebt und in Berlin seine Oper „Le Pavillon d‘or“ uraufgeführt, die wir am 21. März 2018 herausbringen. Das Festival wird sich jedes Jahr einem anderen Land widmen. Um die Opernpremiere herum gibt es viele andere Veranstaltungen wie Lesungen, Diskussionen oder Konzerte.

Kultur Joker: Soll das der Türöffner werden für die Stadt?

Kleinitz: Ja. Der Vorteil an dem Stagione-Prinzip ist ja auch, dass ich die Oper als Veranstaltungsort öfters zur Verfügung habe. Da kann man gerade im Rahmen eines Festival viel Spannendes machen.

Kultur Joker: Ihr Vorgänger Marc Clémeur hat mit Regisseuren wie Robert Carsen, Oliver Py und Mariame Clément immer wieder zusammengearbeitet, eine ästhetische Bühnensprache propagiert und französische Opern ausgegraben. Was sind Ihre Leitlinien?

Kleinitz: Meine Leitlinie ist die Diversität der musikalischen Sprachen. Ich möchte, dass jede Aufführung etwas mit mir zu tun hat, die ich heute in die Oper gehe. Sie sollte mich in irgendeiner Weise berühren, anregen und auf neue Gedanken bringen. Die genannten Regisseure schätze ich ebenfalls, aber es ist auch klar, dass natürlich neue Handschriften zu sehen sein werden, wobei einer der genannten Namen ans Haus zurückkehren wird. Mir ist es auch wichtig, Frauen zu fördern. Es gibt zu wenig weibliche Dirigenten und Regisseure. Auch bei Sängerinnen beobachte ich immer wieder, dass die Karriere manches Mal aus unerklärlichen Gründen ins Stocken gerät. Mir ist es in meiner Position deshalb wichtig, ein Auge auf die Frauen zu haben. Natürlich geht es um Qualität und nicht unbedingt um eine Frauenquote, aber ich finde es schon sehr wichtig, dass sich auf diesem Gebiet etwas ändert.

Kultur Joker: Sind denn schon in der ersten Spielzeit Dirigentinnen dabei?

Kleinitz: Ja. Ariane Matiakh dirigiert „Werther“. Die junge Alexandra Cravero leitet ein Eröffnungskonzert unserer neuen Kinderserie, so dass auch schon die ganz Kleinen sehen, dass man als Frau dirigieren kann.

Kultur Joker: Ihrem Vorgänger war das deutschsprachige Publikum besonders wichtig. Er hat deshalb deutsche Übertitel eingeführt. Schauen Sie auch nach Deutschland und in die Schweiz?

Kleinitz: Auf jeden Fall. Marc Clémeur hat hier hervorragende Arbeit geleistet, die wir fortsetzen möchten. Gerade mit dem Ballett, das seinen Sitz in Mulhouse hat, bestehen schon Kontakte nach Sankt Gallen und Basel. Damit sind wir sehr flexibel und können auch mal eine Kunsthalle bespielen.

Kultur Joker: Sie starten mit einer neuen Oper von Philippe Manoury „Kein Licht“. Das ist nicht nur eine Koproduktion mit dem Musica-Festival, sondern mit fünf weiteren Institutionen. Hat das vor allem finanzielle Gründe?

Kleinitz: Bei einer Vorlaufzeit von zwölf Monaten konnte ich ja gar keinen Auftrag mehr vergeben. Der ausführende Produzent ist die Opéra Comique in Paris. Uraufgeführt wird die Oper bei der Ruhrtriennale in Essen. Wir stellen die Werkstätten und konnten uns gemeinsam mit dem Musica-Festival Straßburg die französische Erstaufführung sichern. Mit Nicolas Stemann inszeniert ein bedeutender Regisseur die nach Texten von Elfriede Jelinek geschriebene Oper. Das Fukushima-Thema der Oper ist nun sogar eine Art Prélude für das Japanfestival.

Kultur Joker: Welche Produktionen der neuen Saison liegen Ihnen besonders am Herzen und warum?

Kleinitz: Das ist eine schwierige Frage, weil mir natürlich alle Produktionen am Herzen liegen. Mozart ist immer wichtig für das Ensemble und das Orchester. Deshalb möchte ich, falls möglich, jede Spielzeit einen Mozart im Programm haben. In dieser Saison hat am 20. Oktober „Le Nozze di Figaro“ unter der Leitung von Patrick Davin Premiere. „Francesca da Rimini“ von Riccardo Zandonai (8. Dezember) ist ein unterschätztes Werk mit einer faszinierenden Musiksprache. Den Dirigenten Giuliano Carella habe ich hier in Straßburg vor vielen Jahren zum ersten Mal gehört, um ihn dann nach Stuttgart einzuladen. Tatjana Gürbacas Züricher „Werther“ (9. Febr. 2018) ist neben der Stuttgarter Kinderoper „Schaf/Mouton“ die einzige Produktion, die wir von außen holen. Die Idee zu „Eugen Onegin“ (16. Juni 2018) entstand, nachdem ich Marko Letonja in Straßburg mit „Pique Dame“ gehört hatte. Dass an diesem Abend die große Marjana Lipovšek dabei sein wird, freut mich besonders. Schließlich wollte ich noch mit „Die sieben Todsünden“ von Kurt Weill eine andere Farbe in meine Eröffnungsspielzeit bringen. Hier im Museum hängt Kandinskys Bild „Der Musiksalon“. So kam ich auf Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ und schließlich Kurt Weills „Mahagonny Songspiel“, was wir alles miteinander kombinieren werden. Mein alter Bregenzer Chef David Pountney wird den Abend inszenieren.

Kultur Joker: Und im Ballett?

Kleinitz: Der erste Abend am 19. Oktober 2017 in Mulhouse ist mit den Choreographien von William Forsythe, Jiří Kylián und Uwe Scholz eine Hommage an Stuttgart. Der Chaplin-Abend des Leipziger Mario Schröder bindet die ganze Kompanie mit ein (11. Januar 2018). Das spielen wir auch in gekürzter Form für Kinder. „Pluis loin l‘Europe“ (20. April 2018) schaut ähnlich wie das Festival arsmondo über den Tellerrand und beschäftigt sich mit Israel. Mit Ohad Naharin haben wir den vielleicht wichtigsten israelischen Choreographen engagiert, der zwei junge Kollegen mitbringt. Am Ende präsentieren wir bei „Danser Bach au 21. siècle“ mit Thusnelda Mercy eine ganz junge Choreographin (17. Mai 2018). Die drei Ballette werden über den Szenographen Matias
Tripodi miteinander verbunden.

Kultur Joker: Der Bau eines neuen Opernhauses oder zumindest die Renovierung des alten stand immer wieder auf der Agenda von Marc Clémeur. Wird das auch eine wichtige Aufgabe für Sie sein?

Kleinitz: Ja, die Renovierung oder sogar ein Neubau ist schon sehr lange Thema, sogar schon vor Marc Clémeurs Amtszeit. Leider gibt es aktuell keinen konkreten Zeitplan. Aber es gibt Gespräche auf allen Ebenen, denn das Haus hat eine Reihe von baulichen Problemen, die jedoch regelmäßig durch den technischen Einfallsreichtum der Verantwortlichen aufgefangen werden. Der Orchestergraben beispielsweise ist gar nicht fahrbar und auch nicht voll abdeckbar. Bei größer besetzten Werken ist er sehr schnell viel zu klein für Anzahl an benötigen Musikern. Auch hinter der Bühne ist vieles veraltet, eng, nicht auf dem heutigen Stand. Es gibt keine Garderoben für die Orchestermusiker, sie kleiden sich im Besprechungszimmer der Technik um. Bedarf gibt es somit auf vielen Seiten.

Kultur Joker: Die Straßburger Oper hat ein überdurchschnittliches junges Publikum. Sie bieten jeweils zwei Opern- und Ballettproduktionen für Kinder an. Möchten Sie in dem Education-Bereich auch noch weitere Akzente setzen?

Kleinitz: Auf jeden Fall möchte ich hier die hervorragende Arbeit von Marc Clémeur fortsetzen. Es gab ja auch schon in der Vergangenheit bei Pressekonferenzen eine richtige Broschüre für das junge Publikum. Die Serie „Avec mon cous(s)in à l‘opéra“ haben wir neu erfunden. Das meint übersetzt: entweder mit dem Cousin an der Hand oder mit einem Kissen. Die Idee dabei ist, Musik ganz nah zu erleben, das Atmen eine Sängers, den Klang einer Flöte. Auch die Sänger, die zu Liederabenden kommen, präsentieren einen Teil des Programms nochmals am nächsten Tag in diesem Sitzkissenformat und kommen mit den Kindern ins Gespräch. Wenn beispielsweise Pumeza Matshikiza über ihren Weg von den Townships auf die Opernbühne spricht, dann ist das sicherlich für ein dreizehnjähriges Mädchen sehr interessant. Das Ballett macht „Bach für Babies“. Die Trennung der Altersgruppen ist mir wichtig – jede wird auf ihre Art angesprochen.

Kultur Joker: Wie erleben Sie Frankreich nach der Wahl von Emmanuel Macron zum Präsidenten?

Kleinitz: Abwartend, neugierig, gespannt, viele Menschen auch guten Mutes. Ob die Gesellschaft wirklich so gespalten ist, wie es immer heißt, weiß ich nicht. Da kann ich mir noch kein Urteil erlauben.

Kultur Joker: Wären Sie auch gekommen, wenn Marine Le Pen zur Präsidentin gewählt worden wäre?

Kleinitz: Ich bin sehr froh, dass ich mir diese Frage nicht stellen muss.

Kultur Joker: Die Opéra national du Rhin heißt im Untertitel Opéra d’europe. Was heißt das für Sie konkret?

Kleinitz: Das ist mein Spielplan. Ein Programm der Komponisten und Künstler Europas mit der Hoffnung, dass auch ein Publikum aus Europa kommt – ohne das aus Japan zu vergessen.

Kultur Joker: Was macht für Sie die Oper faszinierend?

Kleinitz: Jeder Abend ist anders. Eine Aufzeichnung ist immer nur ein Teil der echten Erfahrung.

Kultur Joker: Haben Sie jetzt als Intendantin der Straßburger Oper Ihren Traumjob gefunden?

Kleinitz: Ziemlich ja. Das heißt: Ich freue mich enorm, bin aber auch sehr aufgeregt, weil die Saison ja noch gar nicht losgegangen ist. Ich habe ein Programm gemacht, an das ich glaube. Aber natürlich freut man sich erst so richtig, wenn man die ersten ein, zwei Jahre gut überstanden hat. Das hat schon viel mit Verantwortung, Demut, Ernsthaftigkeit und Ausdauer zu tun.

Spielplan unter www.operanationaldurhin.eu

Bildquellen

  • kultur_joker_eva_kleinitz_intendantin_opera_strassburg_foto_martin_sigmund: Eva Kleinitz (© Martin Sigmund)