Im Gespräch: Altersspezialistin Ria Hinken, „Aktives Altern ist ein Gewinn!“
Gesund, sportlich, geistig rege, unternehmungslustig: Viele Menschen in höherem Lebensalter sind heute außerordentlich aktiv. Doch diese Charakterisierung des dritten Lebensalters ist noch nicht in allen Köpfen angekommen. Die Freiburger Altersspezialistin Ria Hinken setzt sich seit vielen Jahren mit ihrem Forum, Blog und Netzwerk „alterskompetenz.info“ für neue Altersbilder ein und feiert mit der „Smartphone-Sprechstunde für Senioren und Senioritas“ Erfolge. Nicola Hugel sprach mit der 70-Jährigen über Alter und Digitalisierung.
Kultur Joker: Als „Frontfrau für Smart Aging“ hat Sie die IHK-Zeitschrift „Wirtschaft im Südwesten“ bezeichnet. Wie lange engagieren Sie sich schon für veränderte Altersbilder in unserer Gesellschaft und die Digitalisierung älterer Menschen?
Ria Hinken: Mit Altersbildern und ihren Auswirkungen beschäftige ich mich schon, seit mein Mann und ich vor vielen Jahren regelmäßig zum Berliner Demografie-Forum eingeladen wurden. Dort habe ich u.a. die international renommierte Professorin Ursula Staudinger kennengelernt, die den ersten Lehrstuhl für Alternsforschung in New York innehatte. Ihre Studien hatten gezeigt, dass besonders in der Arbeitswelt extrem negative Altersbilder vorherrschen, die jeglicher Grundlage entbehren. Leider war das Interesse für das von uns in Folge entwickelte Konzept für einen generationenübergreifenden Wandel in Unternehmen sehr bescheiden.
Kultur Joker: Wie sind Sie selbst schon in jungen Jahren, als Digitalisierung noch in den Kinderschuhen steckte, zur IT gekommen?
Ria Hinken: Ich war schon immer sehr technikaffin, habe als Schülerin bereits Lochkarten im Betrieb meines Vaters sortiert, hatte meinen ersten Computer in einer Zeit, in der noch niemand an den Siegeszug des PC glaubte und habe 1986 meine erste E-Mail verfasst. Digitaltechnik hat mich stets interessiert und angezogen, und so habe ich mir auch immer mehr Wissen angeeignet. Vor etwa 15 Jahren wurde mir bewusst, dass die Digitalisierung zwar an Fahrt aufnimmt, dabei aber Menschen vergisst, die keinen Zugang dazu haben.
Kultur Joker: Warum fällt Ihrer Meinung nach vielen älteren Menschen der Umgang mit PC und Smartphone so schwer, dass sie sich dagegen verschließen und wie lässt sich diese Hürde nehmen?
Ria Hinken: Es ist in erster Linie die Angst vor dem Unbekannten. Wenn wir etwas gar nicht kennen, sind wir in der Regel sehr vorsichtig bis ablehnend. Man muss die Menschen dort abholen, wo sie stehen – also sich einfühlen, zuhören, langsam an die Sache herangehen, Geduld haben, verständlich sprechen. Das lernen die Schülerinnen und Schüler in unserem Projekt „Smartphone-Sprechstunde für Senioren und Senioritas“.
Kultur Joker: Wie ist dieses Projekt entstanden?
Ria Hinken: Als ich die Idee im Pandemiejahr 2020 bei der Stabstelle Bildungsmanagement der Stadt Freiburg einbrachte, hatte die Volker-Homann-Stiftung gerade dort angefragt, ob man ein förderungswürdiges Projekt habe. Die Pandemie hat trotz der gesicherten Anschubfinanzierung dann eine schnelle Umsetzung verhindert. Bei einem Onlinetreffen, das Hartmut Allgaier vom Bildungsmanagement im Sommer 2021 veranstaltete, haben wir Claudia Sciarabba, Lehrerin an der Max-Weber-Schule, kennengelernt. Sie war gleich Feuer und Flamme für das Projekt. Dann dauerte es noch eine Weile, ehe es in die Vorbereitung und Umsetzung im Unterrichtsfach „Kunst und Kultur“ ging.
Kultur Joker: Wie sah die Umsetzung dann konkret aus?
Ria Hinken: Gemeinsam mit meinem Mann, der als Coach und Berater viel Erfahrung mit Menschen und ihren Ausdrucksmöglichkeiten hat, haben wir eine Unterrichtseinheit gestaltet: Er hat den Schülerinnen und Schülern die Grundlagen der Kommunikation mit älteren Menschen vermittelt und ich habe die spezifischen Fragen in puncto Smartphone geklärt. Daraus ist dann die Smartphone-Sprechstunde entstanden, die seit März 2022 einmal pro Monat stattfindet.
Kultur Joker: Wie viele Schülerinnen und Schule und Seniorinnen und Senioren in welchem Alter nehmen an dem Projekt teil?
Ria Hinken: Derzeit nehmen an jeder Schule etwa 20 Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Klassen teil. Pro Nachmittag kommen mindestens 20 Menschen zwischen 60 und über 90 Jahren, der Rekord lag bei 70 Interessenten. Wir versuchen, die Fragen nach Themen zu ordnen, damit die Schülerinnen und Schüler die Fragen möglichst in einer Eins-zu-Eins-Situation in Ruhe und einfacher Sprache beantworten können. Davon profitieren nicht nur die Senioren und Seniorinnen, sondern auch die Schüler und Schülerinnen, die für ihr Engagement ein Zertifikat über Weiterbildung und soziales Engagement erhalten, das sie dann beispielsweise bei einer Bewerbung um einen Ausbildungsplatz vorlegen können. Und natürlich gibt es auch eine Spendenkasse, mit deren Inhalt beispielsweise eine gemeinsame Unternehmung ermöglicht wird.
Kultur Joker: Wie hat sich das Projekt entwickelt und wie wird es fortgesetzt?
Ria Hinken: Inzwischen sind neben der Max-Weber-Schule auch die Wentzinger Schulen und die Walter-Eucken-Schule mit jeweils einer eigenen Smartphone-Sprechstunde dabei. Ich hoffe sehr, dass das Projekt auch im nächsten Schuljahr weitergehen wird. Dafür werden wir Mentoren ausbilden, d.h. ältere Schüler und Schülerinnen, die bereits Erfahrung mit den Sprechstunden haben und jüngere Mitschüler anleiten können. So soll Nachhaltigkeit sichergestellt werden. Ein Projekt dieser Größenordnung lässt sich natürlich nicht ohne finanzielle Unterstützung realisieren: Alle Smartphone-Projekte an den genannten Schulen werden bis zum Schuljahresende über den Innovationsfonds des Bildungsmanagements finanziert. Dafür sind wir ebenso dankbar wie für die Unterstützung durch die Wilhelm-Oberle-Stiftung.
Kultur Joker: Ein gutes Stichwort! Im März dieses Jahres sind Sie bei der Festveranstaltung Bürgerschaftliches Engagement der Stadt Freiburg mit dem Sozialpreis der Wilhelm-Oberle-Stiftung ausgezeichnet worden. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ria Hinken: Diese Auszeichnung bedeutet mir sehr viel! Ich habe mich riesig gefreut, und die wertschätzende Laudatio von Clemens Salm hat mich zu tiefst berührt.
Kultur Joker: Ist ein ähnliches Projekt auch für den Umgang mit dem PC geplant?
Ria Hinken: Nein, das wäre zu kompliziert. Es gibt reichlich Angebote von Institutionen, die mich oder andere Dozenten für solche Kurse engagieren.
Kultur Joker: Mit Ihren Projekten machen Sie sich dafür stark, dass auch ältere Menschen am Puls der Zeit bleiben. Hat die jüngere Generation ein antiquiertes Bild von älteren Menschen?
Ria Hinken: Nicht nur „die Jungen“ haben ein falsches Bild von „den Alten“, sondern auch die „Alten“ von sich selbst, wie eine WHO-Studie zu den aktuellen Altersbildern zeigt. „Alte“ werden als starrsinnig und lernunwillig eingestuft. Dass dies nicht der Fall ist und es bei der Arbeitsleistung in einer abwechslungsreichen Tätigkeit keine Unterschiede zwischen jungen und alten Mitarbeitern gibt, hat eine Studie am Lehrstuhl für Gerontologie in New York gezeigt. Aktives Altern ist ein Gewinn! Mein Wunsch ist es, dass sowohl die jungen als auch die älteren Menschen eine andere Einstellung zu ihrer eigenen Generation und der jeweils anderen gewinnen.
Kultur Joker: Was bedeutet für Sie persönlich das Älterwerden?
Ria Hinken: Wie fast alles im Leben hat es zwei Seiten. Heute habe ich viel mehr Freiheiten, darf mich mit Themen beschäftigen, die mir am meisten Spaß machen. Ich bin das, was die Chronobiologen eine „Eule“ nennen, stehe nicht gerne früh auf und vereinbare Termine möglichst erst ab 10 Uhr. Natürlich ist das Älterwerden auch mit körperlichen Einschränkungen verbunden, man wird langsamer in den Handlungen. Der berühmte Pianist Artur Rubinstein nannte das SOK – S = Selektion, O = Optimierung und K = Kompensation. Er spielte die langsamen Passagen noch langsamer; so ist nicht aufgefallen, dass er die schnellen Passagen in diesen Stücken nicht mehr so schnell spielen konnte wie früher.
Meiner Jugend trauere ich nicht nach. Daran denke ich gerne zurück und es erfüllt mich mit Glück. Im Moment machen mir eher die negativen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen Sorge. Ich möchte der Jugend keinen geschundenen Planeten zurücklassen.
Kultur Joker: Welche Empfehlungen können Sie Menschen im Rentenalter geben, um geistig und körperlich fit zu bleiben?
Ria Hinken: Tanzen gilt als das beste Mittel, das gleichermaßen Körper und Geist fordert. Da aber besonders unter den Männern viele nicht gerne tanzen, kann ich durchaus Computerarbeit für die geistige Fitness empfehlen und vielleicht dazu Tai Chi, Feldenkrais oder einfach Spaziergänge, um etwas für die Bewegung zu tun. Das Wichtigste ist, dass die Menschen sich an die mobilen Geräte, wie Laptop, Tablet und Smartphone herantrauen und ihnen geholfen wird, sich sicher im Netz zu bewegen. Das gilt auch – und sogar besonders – für Menschen, die körperlich nicht mehr so fit sind: Gerade dieser Gruppe können die mobilen Geräte, das Internet und Gesundheits-Apps helfen, aktiv am Leben teilzuhaben. Denn Einsamkeit ist das Schrecklichste, was einem Menschen im Alter passieren kann.
Kultur Joker: Vielen Dank für das Gespräch!
Die nächsten Smartphone-Sprechstunden finden zu folgenden Zeiten statt:
Max-Weber-Schule: 15. Juni, 13. Juli, je 14-15.30 Uhr.
Wentzinger-Gymnasium: jeden 3. Mittwoch im Monat, 14-15.30 Uhr.
Walter-Eucken-Gymnasium: 19. Juni und 10. Juli, 14-15:30 Uhr.
Am Digitaltag, 16. Juni wird es weitere kostenlose Smartphone-Sprechstunden in der Schwarzwaldcity bei Saturn und in der Stadtbibliothek am Vormittag geben. Teilnahme kostenlos ohne Anmeldung!
Weitere Infos: www.alterskompetenz.info, www.smartphone-sprechstunde.org
Bildquellen
- Ria Hinken: Foto: Julianfree.de