Interview

Ihr Denken veränderte die Welt!

Im Gespräch: Regisseurin Margarethe von Trotta über ihr Filmporträt von Hannah Arendt

Margarethe von Trotta Film: LBI, New York

Hannah Arendt gilt als bedeutende Denkerin des 20. Jahrhundert, die der politischen Theorie entscheidende Anstöße gegeben hat. Nun wird sie in einem Film der Regisseurin und Drehbuchautorin Margarethe von Trotta porträtiert. Hauptdarstellerin ist Barbara Sukowa, bereits durch die Titelrollen in „Rosa Luxemburg“ und „Die bleierne Zeit“ bekannt.
Hannah Arendt (*1906 bei Hannover) studierte Philosophie und Griechisch in Marburg, Freiburg und Heidelberg, unter anderem bei Edmund Husserl, Martin Heidegger und Karl Jaspers. 1933 floh sie nach Paris und wurde 1937 vom Nazi-Regime wegen ihrer jüdischen Abstammung ausgebürgert. Im Zug der deutschen Besetzung Frankreichs geriet sie 1940 in das Internierungslager Gurs, konnte fliehen und erreichte 1941 unter dramatischen Umständen New York. Seit 1951 war sie US-amerikanische Staatsbürgerin, hielt Vorträge und Vorlesungen und erlangte mit ihren Studien „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1951) sowie „Vita Activa oder Vom tätigen Leben“ (1960) erheblichen Einfluss. 1961 begab sie sich für „The New Yorker“ nach Israel, um über den Prozess gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann zu berichten. 1963 veröffentlichte sie die Artikelserie „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“, danach als Buch erschienen. Arendt löste einen Sturm der Empörung und Anfeindung aus. 1975 stirbt sie in New York.
Anlässlich der Filmpremiere war Margarethe von Trotta, zusammen mit ihrer Produzentin Bettina Brokemper, im Kino Kandelhof in Freiburg. Mit Margarethe von Trotta sprach unsere Mitarbeiterin Cornelia Frenkel.

Kultur Joker: Sich dem vielfältigen Leben und Werk von Hannah Arendt filmisch zu nähern, dürfte mehr als schwierig gewesen sein. Wie kamen Sie zu der Entscheidung, Ihren Film auf die vier Jahre (1960-64) einzugrenzen, in denen sich die Philosophin mit dem Prozess gegen den Nazi-Funktionär Adolf Eichmann auseinandersetzte?
Margarethe von Trotta: Ich habe das Drehbuch zusammen mit Pamela Katz geschrieben, mit der ich auch die „Rosenstraße“ gemacht habe, ich kannte sie also schon. Wir haben zunächst versucht, das ganze Leben von Hannah Arendt zu beschreiben, vom Zeitpunkt ihres Studiums an, bis zu ihrem Tod – ihre Flucht aus Deutschland, ihren Aufenthalt in Paris als Exilantin, dann im Internierungslager Gurs, die Flucht aus Marseille über Lissabon nach New York. Das erschien uns dann aber doch als Ritt über den Bodensee; denn damit hätten wir uns keinen Moment wirklich in ihr Leben vertiefen können; und schließlich handelt es sich ja um eine Philosophin und man musste selbstverständlich auch ihre Art zu denken beschreiben, ihre Art zu analysieren, ihren Mut – das war wichtig. Das ganze Leben darzustellen, hätte bedeutet, eine „action“ nach der anderen zu bringen. So haben wir uns eben auf diese vier Jahre beschränkt, es war also nicht von Anfang an klar für uns, hat sich aber doch als Notwendigkeit erwiesen, um in die Tiefe gehen zu können.
Kultur Joker: Geistige Tätigkeit charakterisiert die Person Hannah Arendt, das musste im Film zum Ausdruck kommen. Wie ist es Barbara Sukowa Ihrer Meinung nach gelungen, diese leidenschaftliche Denkerin zu verkörpern?

Zusammenarbeit. Ich wusste einfach, dass sie eine starke und intelligente Person ist, die intelligenteste Schauspielerin, die ich kenne. An einer Stelle im Film hält sie eine Rede, die Zuschauer fragen mich, wie hat sie das bloß hinbekommen? Sukowa hat einfach mitgedacht und das überträgt sich.
Kultur Joker: Adolf Eichmann – Transportchef des Todes – wurde 1960 vom israelischen Geheimdienst gekidnappt (1945 hatte er sich versteckt, gelangte 1950 auf den Fluchtwegen katholischer Kreise nach Argentinien und arbeitete unbehelligt im dortigen Mercedes-Werk), um endlich vor Gericht gestellt zu werden. Schon im Vorfeld des Prozesses in Jerusalem 1961 waren Hannah Arendt und andere der Meinung, Eichmann gehöre vor einen internationalen Gerichtshof, nach dem Modell der internationalen Nürnberger Prozesse.
Margarethe von Trotta: Einen internationalen Gerichtshof gab es damals eben nicht, Hannah Arendt hat auf dessen Notwendigkeit hingewiesen.
Kultur Joker: Ihr Film fokussiert also: Im Verlauf des Prozesses in Israel zeigt sich Arendt entsetzt, wie beflissen Eichmann seine Mittäterschaft am millionenfachen Mord als bloße Dienstausführung abtut – und Verantwortung ablehnt. Sie erfährt ihn als „erschreckend normalen“ Bürokraten, unfähig, die Auswirkung seines Tuns zu bedenken (aber stets an der eigenen Karriere interessiert) – dies bezeichnet sie als „Banalität des Bösen“. Arendt will Eichmanns moralischen Stumpfsinn insbesondere nicht in die Theologie des „teuflisch Bösen“ einordnen, weil er damit einfach als unverständliches Rätsel akzeptiert würde.
Margarethe von Trotta: Ja, und vor allen Dingen, indem Arendt einen Extremverbrecher als gedankenlosen und oberflächlichen Verwaltungsmenschen beschreibt, statt als radikalen Ideologen, trifft ihre Beobachtung eben noch auf weit mehr Personen zu, die ebenfalls „nur“ mitgemacht haben.
Kultur Joker: Hannah Arendts Diktum von der „Banalität des Bösen“ löste einen Sturm der Empörung und des Hasses aus. Sie habe die NS-Verbrechen verharmlost, das jüdische Volk beleidigt und zeige einen Mangel an Mitgefühl für die Opfer der Shoa. Doch Arendt hat, anhand der Un-Person Eichmann, eine Fallstudie des Totalitarismus geliefert, damit also eine neue Perspektive auf das NS-System eröffnet.
Margarethe von Trotta: Mich fasziniert unter anderem an ihrer Analyse, dass sie sagt, in einem totalitären System komme es zu einem allgemeinen moralischen Zusammenbruch, zu einem moralischen Kollaps der gesamten Gesellschaft, von dem nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer betroffen sind, siehe ihren Blick auf die Judenräte.
Kultur Joker: Hannah Arendt ging es um ein Verstehen ohne Vorurteile. Deshalb hat sie sich auch erlaubt, die Rolle der Judenräte im Zuge der NS-Deportationen ins Visier zu nehmen. Warf sie diesen damit indirekt vor, sie seien Mittäter gewesen?
Margarethe von Trotta: Sie hat in ihren Artikeln auch die Judenräte angegriffen, das war der zweite Punkt, warum sie so angefeindet wurde; hier ging es um den moralischen Kollaps der Opfer. Sie hat nicht nur Eichmann als Bürokraten dargestellt, sondern außerdem – das waren zwar nur fünf Seiten – den Judenräten eine Verantwortung gegeben, indem sie sagt, diese haben sich zu gehorsam verhalten, indem sie Listen aufstellten, Besitzverhältnisse darlegten usw.; wären sie nicht so preußisch gehorsam gewesen, hätten sich mehr Menschen retten können. Aber Arendt spricht nicht von allen Judenräten und sie gibt auch nicht, wie man ihr vorgeworfen hat, den Juden die Schuld an ihrem Untergang.
Kultur Joker: Die Kritik an den Judenräten war ein harter Brocken, er führte zum Konflikt mit alten Freunden, etwa mit Hans Jonas und Kurt Blumenfeld, Mary McCarthy hingegen stand ihr bei. Man warf Arendt kalten Verstand und mangelnde Liebe zu „ihrem Volk“ vor.
Margarethe von Trotta: Ja, im Briefwechsel mit Gershom Sholem taucht dieser Vorwurf auf. Hannah Arendt antwortete, dass ihr die Liebe zu einem Volk oder Kollektiv in der Tat fremd sei, sie liebe nur ihre Freunde, zu anderer Liebe sei sie nicht in der Lage.
Kultur Joker: Die Beziehung von Hannah Arendt und Martin Heidegger wird nur am Rande gestreift, durch kurze Rückblenden, ihre Auseinandersetzung mit Karl Jaspers gar ausgelassen – geschah dies bewusst?
Margarethe von Trotta: Zunächst hatten wir Karl Jaspers als Figur mit behandelt, dann hatten wir aber zu viele Figuren, mit ihm wäre noch ein alter Mann dazu gekommen und Arendt war sowieso schon von vielen alten Männern umgeben. Zudem hätten wir dafür viel mehr Zeit haben müssen, doch ein Film bietet nur knapp zwei Stunden; da muss man immer entscheiden, was man zeigt und was man weglässt. Was Heidegger anbelangt, so war er während der vier Jahre, von denen der Film handelt, gar nicht gegenwärtig in Arendts Leben; er war „präsent“, aber es kam zu keiner Begegnung mit ihm. Für mich war wichtig, ihn trotzdem mit in den Film zu nehmen, weil sie u.a. bei ihm denken gelernt hat. So besteht in dem Film ein Dreigespann: Da ist Hannah Arendt, eine Denkerin, dann der Nicht-Denker Eichmann und schließlich Heidegger, der ihr das Denken „beigebracht“ hat, aber auf die Nazis hereingefallen ist. Ihm „fiel“, wie sie im Gespräch mit Günter Gaus 1964 sagte, „zu Hitler etwas ein“, bestürzend. Dieses Dreigespann sehe ich, Heidegger kommt als „Meister des Denkens“ vor, nicht, weil er ihr Liebhaber war.
Kultur Joker: Ein anderer Blick, der sich auf Arendt angeboten hätte, war ihre Flucht aus Deutschland, das Exil in Frankreich und die Rettung in die USA. Dieses historische Feld wird im Film zwar mehrmals eingeblendet, aber nicht ausgebreitet. Warum?
Margarethe von Trotta: Nun, zum Zeitpunkt des Exils hat sie noch nicht geschrieben, da begann sie sich erst zu politisieren. Sie kam aus Deutschland und war eine reine Philosophin, das Politische hat sie bis dahin wenig beschäftigt. Dann musste sie fliehen, wurde in die Wirklichkeit katapultiert, auch in die politische Wirklichkeit. Bei einem Treffen von Emigranten (in Walter Benjamins Wohnung) lernt sie 1936 Heinrich Blücher kennen, den sie 1940 heiratet. Blücher war ein (undogmatischer) deutscher Kommunist und interessierte sich sehr für Politik und Historie, die Auseinandersetzung mit ihm eröffnete Arendt die Welt auf neue Weise (wie sie in einem Brief an Karl Jaspers vermerkt). Während des Exils war es für Arendt kaum möglich zu schreiben, erst in Amerika fing sie damit an. Um Arendts Exilsituation im Film darzustellen, hätte man nur „action“ zeigen können, Flucht, Internierung, Staatenlosigkeit usw. Aber ihren geistigen Horizont, dessen Dimensionen und Stringenz, das hätte ich da nicht unterbringen können.
Kultur Joker: Frau von Trotta, wir bedanken uns für das Gespräch.

USA / IL / F 2012. Regie: Margarethe von Trotta. Buch: Pamela Katz, Margarethe von Trotta. Kamera: Caroline Champetier. Mit: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer. NFP, 113 Minuten. www.hannaharendt-derfilm.de.
Kandelhof Freiburg. Täglich 19 Uhr. www.friedrichsbau-kino.de