Theater

„Ich, Moby Dick“ im Theater im Marienbad

Ans Wasser

Nach einer 90-minütigen Lektüre ist man bei Herman Melvilles Roman „Moby-Dick“ noch nicht weit. Vermutlich noch nicht mal auf dem offenen Meer. In Sascha Flockens Inszenierung von Ulrich Hubs „Ich, Moby Dick“ ist dann schon wieder alles vorbei, ist aber paradoxerweise zum Anfang des Romans zurückgekehrt. Hub endet mit einem der berühmtesten Anfangssätze der Weltliteratur: „Nennt mich Ismael“.

Szenenfoto aus "Ich, Moby Dick" im Theater im Marienbad
Kapitän Ahab und die Crew im Theater im Marienbad

Im Theater im Marienbad schaut das Publikum auf ein Rippengewölbe, es sieht aus wie ein auf dem Kopf stehender Schiffsleib oder die Rippenbögen eines Wals, der Streifenvorhang am Ende wirkt so ominös als verberge er dahinter eine Geisterbahn, handfester ist da schon die Bar rechts mit einigen Reihen Alkoholika (Ausstattung: Nina Hofmann). Das Ensemble trägt löchrige, melierte Pullis und in den Taschen jeweils eine orangerote Fischermütze, nur Ahab (Hubertus Fehrenbacher) wird sich später eine dunkle aufsetzen. Wenn Hub von der Faszination der Menschen für das Meer erzählt: „am letzten Tag der Woche strömt ihr ans Wasser“, dann ist da wohl auch die für „Moby-Dick“ gemeint. Trotz seiner anspruchsvollen Form – der Roman integriert enzyklopädische Texte und andere Exkurse – hat es immer wieder Bearbeitungen gegeben. Die Geschichte von Ahab, der in einem Kampf mit dem weißen Wal sein Bein verloren hat und sich in seine Rache verrennt, gehört zu den großen Geschichten der Menschheit.

Da Hub den Reichtum von Melvilles Prosa nicht auf die Bühne bringen kann, übersetzt er den Roman in kleine prägnante Szenen. Vieles hat Witz und lässt doch etwas von der Todessehnsucht, der Hybris und der Gier erahnen. Wenn einer der Matrosen von der Weltenthobenheit auf dem Ausguck erzählt, dann pendelt Heinzl Spagl zwischen seinen Schauspielerkollegen hin und her als schaukelte die Pequod auf den Wellen. Irgendwann ist er so eingelullt, dass er ins Meer stürzt. Eine Schrecksekunde für das Publikum.

Nach sieben Segeln, so sagt Ahab voraus, werden sie auf den Wal treffen und mit jedem neuen Schiff schiebt sich ein Bündel Plastikfolie durch den Streifenvorhang. Während die Pequod immer weiterfährt, werden schlaglichtartig die einzelnen Figuren vorgestellt: der aufrechte Starbuck (Dominik Knapp), Pipp (Renate Obermaier), der in der Zeit, als er allein auf dem offenen Meer treibt, während die Besatzung auf Walfang geht, den Verstand verliert, der Polynesier Queequeg (Daniela Mohr). Die tägliche Routine, besser das grausame Handwerk des Waletötens inszeniert Sascha Flocken in sich rituell wiederholenden Bewegungsabläufen.

Sascha Flockens erste Regiearbeit für das Freiburger Theater Marienbad ist kurzweilig, manchmal sentimental, manchmal keck, oft sehr körperhaft und reich an Sinneseindrücken. Kündigt sich der nächste Wal mit einem Wasserstrahl an, ist Burkhard Finckhs Tuba zu hören. Gerät die Pequod in ein großes Unwetter, wird aus einer der Plastikfolien eine große Welle, die immer wieder über den starrsinnigen Kapitän hinweg geht. Der Roman ist hier als Abenteuer erzählt, für alles Weitere muss man zum Original greifen.

Weitere Aufführungen: 31. Mai, 1. Juni, jew. 10 Uhr; 17. Juni, 19 Uhr (i. A. an die Vorstellung Publikumsgespräch); 18. Juni, 17 Uhr sowie 20./21./22. Juni, jew. 10 Uhr.

Annette Hoffmann