InterviewStadtleben

Herzlichen Glückwunsch!

Im Gespräch: Hartmut Stiller, Mitgründer von Historix-Tours

Hartmut Stiller

Schwarze Mäntel, mittelalterliche Laternen, im Gepäck spannende Geschichten von Henkern oder Hexen – so kennt man die Stadtführer von Historix-Tours, die an sieben Tagen die Woche ihr Publikum durch die Freiburger Innenstadt lotsen. Und das seid 15 Jahren! Zum Jubiläum sprach Marion Klötzer mit Historix- Mitgründer Hartmut Stiller über Schnapsideen, Hartnäckigkeit und Visionen.

Kultur Joker: Herr Stiller, am 3. August 1998 startete die erste Historix-Tour mit einer Handvoll Gästen. Heute veranstalten Sie jährlich bis zu 2000 Touren mit geschätzten 25 000 Teilnehmern. – Hätten Sie sich das träumen lassen?

Stiller: Geträumt hab ich das schon, aber erst mal war diese ungewöhnliche Geschäftsidee eher ein Versuchsballon. Ich bin ja nicht nur begeisterter Freiburger, sondern von Haus aus Germanist und Historiker. Als großer England – Fan haben mich da frühzeitig die Ghostwalks in Edinburgh inspiriert: Stadtgeschichte szenisch zum Leben erwecken, Fakten und Daten in ein nachhaltiges Erlebnis packen, bei dem sich Historisches mit Alltagsgeschichte, Brauchtum und allerhand Legenden verknüpft – so was gab es in Deutschland damals noch nicht, so was wollte ich unbedingt auch in Freiburg machen! Dazu kam, dass ich damals in der Dramaturgie und Organisation des Wallgrabentheaters arbeitete und jede Menge mit Schauspiel zu tun hatte. Ich habe dann meiner ehemaligen Schulfreundin Nicola Aly davon erzählt, die schon Gletscher- und Bergtouren in Neuseeland geführt hatte. Sie war gleich Feuer und Flamme. Wir beschlossen, mit drei Führungen in Freiburg zu starten. Meine Kollegin schrieb „Hexen, Folter, Scheiterhaufen“, dann folgte mein Ghost-Walk „Mörder, Gräber und Gespenster“ und eine Tour über den Schlossberg. Wir hatten ganz schön Lampenfieber!

Kultur Joker: Aber wie kommt man in den 90er Jahren ohne Infrastruktur und Homepage an sein Publikum?

Stiller: Tja, das war erst mal schwierig, wir hatten ja nur ein paar Flyer. Also setzten wir auf hartnäckige Präsenz: Wir verzichteten auf den Sommerurlaub und standen einfach jeden Abend mit unserer Laterne am Treffpunkt – ziemlich oft alleine. Zum Glück unterstützte uns das Wallgrabentheater und auch viele Hotels fanden die Idee klasse, dann gab es die ersten positiven Presseberichte und statt der erhofften Touristen kamen interessierte Freiburger und mit ihnen die Mundpropaganda. Unser Konzept der Konstanz trug Früchte – und wir haben es bis heute beibehalten: Führungen ab einer Person bei Wind und Wetter, an 365 Tagen im Jahr.

Kultur Joker: Hört sich nach langem Atem, massivem Einsatz und viel Begeisterung an.

Stiller: Ich bin von Natur aus positiv dickköpfig, aber die ersten ein-zwei Jahre waren schon eine Durststrecke: Nicola und ich machten das ja abends nach der Arbeit, wir hatten anfangs kein Büro, keine Mittel, die Laterne bunkerten wir mal in einem Karton im Wallgrabentheater oder im Foyer des City-Hotels. Aber trotz Wellen der Ernüchterung waren wir immer von unsere Idee überzeugt, zumal uns das Ganze von Anfang an wahnsinnig viel Spaß machte. Ziemlich schnell wurde klar, dass wir nicht nur mit historischen Kostümen, sondern auch mit professionellen Schauspielern arbeiten wollten, weil nur so das dramatische Konzept funktioniert. Wir entführen die Leute ja auf eine Art Zeitreise, da muss der Guide nicht nur gut sprechen, sondern auch eine Rolle facettenreich spielen können.

Kultur Joker: Heute hat Historix-Tours rund 18 freiberufliche Schauspielerinnen und Schauspieler im Team, dazu noch eine Außenstelle in Breisach. Seid ihr eurer Grundidee treu geblieben?

Stiller: Ja, unbedingt! Viele unserer Anfangstouren sind noch heute in veränderter Form im Programm, dazu kommen jährlich neue. Trotzdem haben wir immer noch ein Drei- Sparten- Programm: Die historische Führung, die zwar dramatisch konzipiert ist, bei der aber eindeutig Fakten im Vordergrund stehen. Die Eventtour, bei der unser Führer in die Rolle einer repräsentativen, historischen Freiburger Persönlichkeit wie dem Henker Werlin Großholz schlüpft. Und dann gibt es noch die ziemlich actionreichen Ghostwalks, auf denen belegte Grusel- und Kriminalgeschichten in eine Art Theaterstück mit Überraschungen eingebettet werden. Unser Publikum ist da ebenso vielfältig wie das Angebot.

Kultur Joker: Stichwort Theaterstück: Wie läuft das, eine Tour schreiben?

Stiller: Das ist ein relativ aufwendiger, aber für mich als Historiker auch hochspannender Prozess, der mehrere Monate dauert: Habe ich mich an einem Thema festgebissen, beginnt die Recherche in Archiven und Bibliotheken, immer auf der Suche nach Entdeckungen, nach Neuem. Dabei geht es darum, das Thema möglichst breitgefächert aufzustellen, interessanten Stoff für den Geschichtskundigen wie den Neuling gleichermaßen zu finden. Aus diesem Wust aus Infos entsteht nach und nach eine möglichst unterhaltsame und anschauliche Inszenierung mit mehreren Akten und Stationen. Dann ist es wie beim Theater: Wir suchen den passenden Schauspieler, wir proben, verwerfen, entwickeln… Vor allem sind wir auch danach im Team ständig über unsere Erfahrungen im Gespräch: Was funktioniert? Was fehlt? Was ist zuviel? – Straßenbedingungen sind keine Bühne und sehr speziell.

Kultur Joker: Ihr habt mittlerweile rund sechzig Touren geschrieben, dazu kommen noch die jährlich neu konzipierten Halloween- und Walpurgisnacht- Events. Gibt’s überhaupt noch neuen Stoff?

Stiller: Die großen Themen sind nach 15 Jahren wirklich abgegrast, jetzt geht es in die Tiefe. Schließlich schläft die Konkurrenz nicht und wir wollen auch eingeschworenen Historix-Fans immer wieder etwas Neues bieten. Aber auch das ist eine tolle Herausforderung: So sind meine Kollegin und ich ständig auf der Suche nach spannendem Material – und haben dabei schon so manch Fundstück ausgegraben. Dabei gibt es so aufregende Entdeckungen wie den fast vergessenen Freiburger Dichter Joseph Freiherr von Auffenberg, der nach einem Streit mit Großherzog Leopold von Baden über Jahrhunderte einfach aus den Geschichtsbüchern gestrichen wurde und dazu noch ein richtiger Kauz war. Die Recherchen zu „Dichter, Tod und Saufgelage“ waren da echte Archäologie und boten eine Fülle von Material. Daraus entstanden zusammen mit meinem Kollegen Michael Weis zunächst zwei historische Lesungen, dann die Event-Tour. Letztes Jahr veranstalteten wir dann auch noch ein „Auffenberg-Wochenende“ mit mehreren Veranstaltungen. Momentan schreibe ich an zwei neuen Touren für September: Eine über die Badische Revolution und eine Vollmondtour in Zusammenarbeit mit der Brauerei Ganter. So schnell geht uns also der Stoff nicht aus. Wichtig sind da natürlich auch originelle Schauplätze: Wir besuchen mit unseren Zuschauern möglichst nicht das Altbekannte oder Idyllische, sondern authentische, fantasieanregende Orte fernab der beliebten Touristen-Strecken.

Kultur Joker: Und wann haben Sie mal Feierabend?

Stiller: Na ja, bei mir verquickt sich ja ständig Berufliches mit Privatem, da ist Freizeit nur möglich, wenn ich richtig wegfahre. Aber das ist okay, weil mir die ganze Arbeit unheimlich viel Spaß macht. Dazu habe ich das große Glück eines tollen Teams – alle sind sehr engagiert, das ist wie eine große, kreative Familie, die ganz schön was auf die Beine stellt: Von 2003 bis 2008 gab es beispielsweise unter dem Titel „Historix- Friedhofs- Literatur“ 85 historische Lesungen rund um die Gräber des Alten Friedhofs, diesen Oktober starten wir jetzt mit „Historix‘ Geisterstunde bei den Immoralisten“ eine neue Staffel unserer Grusel-Lese-Reihe, bei der wir Spuk-Geschichten als eine Art Live- Hörspiel inszenieren werden. Da entwickeln sich immer wieder neue Ideen…

Kultur Joker: Gibt’s Herzenswünsche für die nächsten zehn Jahre?

Stiller: Natürlich will ich vor allem weiterhin spannende Touren schreiben. Aber wenn ich so richtig ins Träumen komme, dann wünsche ich uns eine eigene multifunktionale Örtlichkeit, in der wir nicht nur unsere Gäste bewirten, sondern auch Innen-Events, Theaterstücke, Lesungen oder Kabarett veranstalten können. Dafür gäbs im Schauspieler- Team jede Menge Ideen und Potential!

Kultur Joker: Herr Stiller, wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen, dass Ihre Träume im Erfüllung gehen werden.

www.historix-tours.de