Literatur

Heilende Lyrik: „Ah, ein Herz, verstehe“ des Freiburger Arztes und Schriftstellers Jakob Leiner sammelt Gedichte aus 500 Jahren

Wenn Lyrik zur Medizin selbst wird, legt sich die wahre Kraft der Poesie frei. Heilende und Kranke, Ärzt:innen und Patient:innen finden Trost, Hoffnung, Spott und Frohsinn in der Kraft, die im geschriebenen wie gedachten Wort liegt. Das zeigt auch die im Berliner Quintus-Verlag erschienene Anthologie „Ah, ein Herz, verstehe“ des Freiburger Arztes und Schriftstellers Jakob Leiner. In dem hübsch aufgearbeiteten Taschenbuch versammelt Leiner 500 Jahre Poesie – von Heilenden und Kranken. Auf knapp über 250 Seiten verkörpern 101 Dichter:innen ein kulturelles Gedächtnis medizinischer Geschichte, das die Kunst nicht nur als Zeitvertreib versteht, sondern „durch Rezeption selbst zur Medizin wird“, wie Jakob Leiner in seinem „sieben Windungen“ umfassenden Vorwort feststellt. In diesem Vorwort versteht Leiner die Anthologie auch „als Plädoyer für eine sprechende psychosomatische Medizin der Zukunft“, die das Wort als „hilfreiches Utensiel“ zu nutzen weiß – oder vielmehr wiederentdeckt.

Hinter den 236 Gedichten tummeln sich zahlreiche bekannte Namen – manche lassen einen sogar überrascht zurück. Neben Shakespeare, Paul Fleming und Paracelsus findet die Geschichte medizinischer Lyrik ihren Weg bis zu Teresa von Aquila, Erich Kästner und Ingeborg Bachmann. Sprachgewaltige Vertreter:innen, die dem Buch eine literarische Raffinesse verleihen – und nicht zuletzt neue Gefühlswelten eröffnen. Denn jene 236 Gedichte entpuppen sich nicht nur als spannende Lektüre für Medizininteressierte und/oder Studierende der Medizin, vielmehr offenbaren sie die tiefen Seelenwelten derer, die mit Krankheit und Heilung konfrontiert werden. Auf der einen oder anderen Seite. Das ist gewiss nicht immer leicht zu ertragen, so viel sei an diesem Punkt gesagt. Nichtsdestotrotz gelingt es der Anthologie eine clevere Brücke zwischen Leben und Tod zu schlagen – und zugleich den Facettenreichtum der Medizin nachzuzeichnen, der aus den Blickwinkeln der Dichtenden ein schillerndes Bild abgibt.

[…]
wie hält sich
etwas lebendig
wie lange der atem
und saugt man
das gift der biene aus
oder sagt man
lediglich: lebwohl
(Tara Meister, „Bienen“. Schlussgedicht der Anthologie)

Mit viel Liebe zum Detail und zur Dichtkunst hat Jakob Leiner in „Ah, ein Herz, verstehe“ nicht nur Lyrik zusammengetragen, sondern zugleich eine Art Einführungswerk erschaffen, das der Forschung im Spannungsfeld von Lyrik und Medizin neue Aktualität verleihen dürfte. Den Bogen von der Neuzeit bis in unsere Gegenwart gelingt dem Humanmediziner Leiner mit viel Gespür für Zwischentöne – eine wirklich gelungene Komposition, vielleicht auch dank der musikalischen Ausbildung des Autos und Herausgebers.
Auf keinen Fall überlesen sollte man den Anhang (mal ehrlich, das schreibt man auch nicht alle Tage). Hier verstecken sich neben interessanten medizinischen wie historischen Fakten und Erläuterungen auch die Biogramme der 101 Dichtenden. Liebhabende der Lyrik werden hier gewiss ein Werk für sich entdecken, das die ein oder andere ungewöhnliche Entdeckung verspricht. Empfehlung!

Termine: 25.03., 20 Uhr, Stadtbücherei Offenburg. 15.04., 12:30 Uhr, Buchhandlung zum Wetzstein.

Bildquellen

  • Cover: Copyright: Quintus Verlag
  • Jakob Leiner: © Andreas Heideker