Heike M. Goetze inszeniert „Endstation Sehnsucht“ am Theater Freiburg
Die Gewalt ist gesellschaftslos
Tennessee Williams‘ „Endstation Sehnsucht“ ist ein Stück mit einer geradezu symbolträchtigen Physis der Protagonisten. Marlon Brando im T-Shirt als Stanley Kowalski ist Legende. Auch Heike M. Goetzes Inszenierung von „Endstation Sehnsucht“ am Theater Freiburg ist ein Nachhall davon – wenn auch unter anderen Vorzeichen. Es macht auf der Bühne des Kleinen Hauses einen Unterschied, wie Körper, Nacktheit und Blößen in Szene gesetzt werden.
Stella (Bettina Grahs) etwa, die kleinere Schwester von Blanche wird im Verlauf der etwa 140-minütigen Vorstellung einen lindgrünen, groß geblümten Kimono tragen, als käme sie gar nicht mehr aus dem Haus. Mitch (Thomas Mehlhorn) wird, gerade dann, als er am verführerischsten sein will, ein Bild der Lächerlichkeit abgeben. Die heruntergelassene, viel zu weite Hose legt sich wie eine Fessel um seine Füße – so wie hier alle in den Moral- und Reinheitsvorstellungen der 1940er Jahre verstrickt sind. Blanche (Johanna Eiworth) hingegen wird mit einiger Würde das letzte Drittel halbnackt sein – doch ihre Haltung wird ihr nichts nützen. Stanley Kowalski (André Benndorff), eher mit einem sicheren Instinkt für die Schwächen seiner Mitmenschen als mit Bizeps ausgestattet, wird sie in der Nacht, in der sein Kind auf die Welt kommt, vergewaltigen.
Und es ist dieser Missbrauch, der Blanche endgültig das Genick bricht. In Heik -M. Goetzes Inszenierung wird die Gewalt, die ständige Enthemmung durch den Alkohol plastisch. Die Gewalt jedoch ist gesellschaftslos.
Vermutlich wird Williams‘ 1947 uraufgeführtes Drama demnächst wieder häufiger auf den Spielplänen stehen. Der Niedergang der Südstaatenaristokratie, in die Blanche und Stella noch hineingeboren sind und das Erstarken einer neuen Generation von Einwanderern, für die Stanley Kowalski mit seinen polnischen Wurzeln steht, kann als Blaupause für die Ablösung von Eliten gedeutet werden, wie sie auch jetzt gerade in den USA geschieht. Das Politische hat Goetzes Inszenierung jedoch nicht im Sinn.
Die Regisseurin, die auch für Bühnen- und Kostümbild verantwortlich zeichnet, hat Kuben aus unbehandeltem Holz auf die Bühne des Kleinen Hauses gebaut, die das Grundgerüst einer zweistöckigen Wohnung ergeben. Unten leben die Kowalskis, oben Mitch, Eunice (Marie Jordan) und Steve (Tonio Schneider). Dort spielen die Männer regelmäßig Poker, ansonsten vertreibt man sich mit Bowling-Spielen im Fernsehen die Zeit. Das Badezimmer teilen sie sich. Alles, was hier passiert, ist öffentlich. Es ist immer auch die Nähe, das Antanzen der Frauen, die Präsenz der Männer, was zu explosiven Erregungen führt. Sexualität ist in „Endstation Sehnsucht“ ein sehr dunkler Trieb – und die Regisseurin bricht dies nicht.
Goetzes Inszenierung ist wesentlich um Blanche konstruiert. Johanna Eiworth verschafft ihrer Figur eine ziemliche Fallhöhe. Ihre Blanche, in elegantem Bleistiftrock und dunklem Oberteil mit raffiniertem Ausschnitt, ist eine Sprachmaschine, die unentwegt Bestätigung braucht für ihr gutes Aussehen, ihren Sexappeal, ihre Lebenskultur, manchmal ist das geistreich, manchmal erheiternd, häufig nervig. Später erblickt man auf ihrem Gesicht die reine Verzweiflung. Es ist beeindruckend, wie nuancenreich und impulsiv das Spiel von Johanna Eiworth ist. Ein Ensemblestück ist Goetzes Inszenierung nicht. Blanche, die lügt, beschönt und sich im Wahn verrennt, ist das Zentrum. Die anderen sind Zyniker und Beobachtende. Stanley wartet auf seine Gelegenheit und die zweite Etage schaut zu. Wenn Eunice und Steve sich über das Geschehen lustig machen, sieht das aus als wären sie nicht Teil des Dramas. Und dann sind da noch völlig überflüssige Manierismen wie Stottern und Wiederholungen, die das Gesagte mit Bedeutung überfrachtet.
Hier macht die Regisseurin Nebenschauplätze auf, die unverständlich sind, während manche Figuren viel zu ungenau bleiben. Und so hinterlässt dieser Abend einen unausgewogenen Eindruck.
Weitere Vorstellungen: 12. März, 4./5./16. und 19. April im Kleinen Haus des Theater Freiburg.
Annette Hoffmann