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Haus Waldfrieden: Einst Löffelschmiede, dann Pension und nun Black Forest Institute of Art

© Black Forst Institute Of Art

Fährt man auf der Bundesstraße 315 durch Lenzkirch in Richtung Bonndorf, fällt wenige hundert Meter nach dem Ortsausgang ein Hinweisschild auf die Pension „Löffelschmiede“ ins Auge. Irgendwie bleibt der ungewöhnliche Name hängen. Die Abzweigung nach links unten führt aber noch zu einem anderen großen Haus, an dessen Schmalseite in schön gestalteten, jedoch verblichenen Lettern, der Schriftzug „Waldfrieden“ zu lesen ist. Und die hier zu erzählende Geschichte dieses eigentümlichen Ortes im Hochschwarzwald beginnt im Jahr 1938.
Einige Jahre zuvor lernten sich Melitta Auwärter und Wilhelm Schnarrenberger an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe kennen. Sie Studentin der Malerei, er Professor für Zeichnung und Graphik. Sie heirateten und 1931 wurde ihre Tochter Vera geboren. Als einem bekannten Vertreter der Neuen Sachlichkeit fielen Schnarrenbergers Bilder später unter das Nazi-Verdikt „entartet“ und 1933 wurde ihm deshalb die Professur in Karlsruhe entzogen. Die Familie übersiedelte nach Berlin und versuchte sich recht und schlecht vor allem mit gebrauchsgraphischen Aufträgen über Wasser zu halten. Den baldigen Ausbruch des Hitlerschen Angriffskrieges vorausahnend beschlossen sie, zur sicheren Fristung ihres Lebensunterhalts eine Ferienpension zu eröffnen und fanden 1938 in einer ehemaligen Löffelschmiede bei Lenzkirch das geeignete Objekt. Während Wilhelm Schnarrenberger so gut es ging weiterhin zeichnete und malte, trug Melitta die Hauptlast des Pensionsbetriebs im Haus Waldfrieden und ihre eigene künstlerische Arbeit geriet ins Hintertreffen. Da sie im Gegensatz zu ihrem Mann noch erlaubten Zugang zu Malerfarben hatte, überließ sie ihm diese selbstlos. In den folgenden Jahren entstanden die bekannten Stillleben von Wilhelm Schnarrenberger und Melitta versorgte die bis zu 18 Pensionsgäste täglich. Nach den Kriegsjahren erhielt Schnarrenberger 1946 seine Professur in Karlsruhe zurück, verzog wieder dorthin und die Ehe mit Melitta wurde geschieden. Parallel zum laufenden Pensionsbetrieb engagierte sich Melitta Schnarrenberger auf politischem und sozialem Feld. Sie trat dem Lenzkircher Ortsverein der SPD bei und arbeitete maßgebend bei der Arbeiterwohlfahrt AWO mit. 1959 wurde sie in den Gemeinderat von Lenzkirch gewählt und war damals die erste Frau im gesamten Hochschwarzwald in solch einem Gremium. Dem Gemeinderat gehörte sie bis 1977 an. Im selben Jahr erhielt sie für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Bis Anfang der siebziger Jahre hatte Melitta Schnarrenberger die Pension Waldfrieden weitergeführt. Von dieser zeitraubenden Last durch den Umbau des Hauses zu Ferienwohnungen befreit, konnte sie sich wieder mehr ihrer malerischen Arbeit zuwenden und ein äußerst produktiver künstlerischer Lebensherbst begann. Sie schuf bis zu ihrem Tod im Jahr 1996 ein umfangreiches Werk, überwiegend in Öl gemalt.
Das Haus ging nach ihrem Tod in den Besitz ihres Enkels Stefan Hösl, dem Sohn von Melittas Tochter Vera Hösl über, der selbst als Künstler und Kunstpädagoge tätig ist. Er und seine als Professorin für Bildende Kunst an der Macromedia-Hochschule in Freiburg wirkende Frau Andrea Mihaljevic bilden das Künstler-Duo Hösl&Mihaljevic. Als solches arbeiteten die beiden mit einem Stipendium des Landes Baden-Württemberg von November 2017 bis April 2018 in der Cité Internationale des Arts in Paris. Außer ihrer gegenständlichen künstlerischen Produktion ist dort auch die Idee für die Gründung des BIA – BLACK FOREST INSTITUTE OF ART entstanden, resultierend aus einer Unzufriedenheit, das Haus Waldfrieden zusammen mit den weiteren Nachkommen von Melitta nur privat zu nutzen. Stattdessen sollte der Esprit eines lebendigen Künstlerhauses wiedererweckt und ein Treffpunkt für künstlerische Begegnungen vielfältiger Art etabliert werden.

© Black Forst Institute Of Art

Zunächst sollte ein reger Briefverkehr wieder Schwung in die Sache bringen. Hösl&Mihaljevic versandten einen Einladungsbrief an zahlreiche Künstlerkolleg:innen und private Bekannte mit Rückumschlag mit der Bitte, einen eigenen Beitrag zur „Wiederbelebung des Hauses“ zu schicken. Ebenfalls beigelegt war ein Brief von Wilhelm Schnarrenberger aus dem Jahr 1938. Darin preist er nahezu euphorisch die Entscheidung, nach Lenzkirch gezogen zu sein und beschreibt anschaulich die Schönheit und das Inspirierende des idyllischen Orts. In einem kurzen Zeitraum trafen 72 unterschiedlich originelle Antworten aus dem In- und Ausland ein, die von Hösl&Mihaljevic in einer mobilisierenden Form vielen Besucher:innen im gesamten Haus immer wieder präsentiert wurden. Ein Anfang war gemacht. Als nächster Schritt folgte das „Answering Project“ der schwedischen Künstlerin Cissi Hultman, die als erste Künstlerin als Resident Artist das Haus für einen längeren Zeitraum bewohnte. Sie reagierte in dieser Zeit auf jeden der 72 Beiträge mit einer eigenen künstlerischen Antwort und bezog sich dabei bewusst auf Anregungen, die ihr das Haus und die wild-malerische Natur mit ihren zwei Bächen boten, in denen Biber ihre Dämme bauen. Und natürlich die vielfach präsenten Bilder und persönlichen Reminiszenzen aus dem reichen Nachlass von Wilhelm und Melitta Schnarrenberger. So hängt noch heute an der Schlafkammertür von Melitta ein Fotoplakat ihres großen Vorbilds: Rosa Luxemburg.
In Hultmans Residenz spiegelt sich exemplarisch der gesamte programmatische Ansatz des BIA: Ausstellungen und/oder Veranstaltungen mit originellen Themen- und Aufgabenstellungen, Aufenthalte eingeladener Künstler:innen einzeln oder in Gruppen und immer wieder Austausch in jeglicher Form. Als konstitutionelle Komponenten bei alldem präsent sind die subjektive Reaktion auf das hinterlassene Werk von Wilhelm und Melitta Schnarrenberger sowie die Auseinandersetzung mit den Eigenheiten des Hauses und der spezifischen Ausprägung der umgebenden Natur. Daraus entstehen einmalige, untrennbar mit dem Ort verbundene Arbeiten, ohne irgendeinem Schema folgen zu müssen oder in Museumspflege zu erstarren. Ein gutes Fundament, auf dem sich der historisch gewachsene kreative Atem des Hauses Waldfrieden mit jeder Menge künstlerischer Frischluft zu einem einzigartigen Gemisch verbinden kann und sich dieser Ort zu einem immer wieder neu entstehenden Gesamtkunstwerk entwickelt.

Weitere Infos: www.blackforestinstituteofart.de

Bildquellen

  • Einst Löffelschmiede, dann Pension und nun BIA – BLACK FOREST INSTITUTE OF ART: © Black Forst Institute Of Art
  • Haus Waldfrieden – Geschichtsträchtiger Kumulationsort künstlerischen Schaffens: © Black Forst Institute Of Art
  • Das BIA: © Black Forst Institute Of Art