Nachhaltig

Haben um zu sein: Bedingungsloses Grundeinkommen in der Krise und danach

Das Bedingungslose Grundeinkommen führt schon lange zu Diskussionen. In den 1960er und 70er Jahren fanden Modellprojekte in Kanada und den USA statt und in den 2000er Jahren beispielsweise in Namibia, Brasilien, Indien und Iran. Die Konzepte und Ansätze unterscheiden sich erheblich, unter der Definition „Bedingungsloses Grundeinkommen“, kurz BGE lässt sich jedoch zusammenfassen:

  • Das Grundeinkommen wird monatlich und ohne zeitliche Begrenzung gezahlt.
  • Die Auszahlung erfolgt bedingungslos, d.h. es erfolgt keine Bedürftigkeitsprüfung und es wird keine Gegenleistung eingefordert wie z.B. eine Verpflichtung zur Arbeit.
  • Das Grundeinkommen soll das soziokulturelle Existenzminimum und die gesellschaftliche Teilhabe abdecken.
  • Das Grundeinkommen ist ein Individualanspruch, d.h. jede berechtigte Person hat einen gesetzlichen Anspruch. Welcher Personenkreis als berechtigt gilt, ist bislang nicht einheitlich festgelegt

Unter den Befürworter*innen des BGE gibt es auch Diskussionen darüber, welche Posten zu einem soziokulturellen Existenzminimum und gesellschaftlicher Teilhabe zählen und wie hoch das Grundeinkommensein sollte.

Modellprojekt BGE in Finnland

Zusätzlich existiert noch das Konzept des Partiellen Grundeinkommens (PGE), das beispielsweise im finnischen Modellprojekt Anwendung fand. In dem 2017 bis 2018 durchgeführten Projekt erhielten 2000 zufällig ausgewählte erwerbslose Personen zwischen 25 und 58 Jahren für zwei Jahre 560 Euro unversteuertes Grundeinkommen. Die Forschenden stützten sich bei ihren Ergebnissen auf eine Kontrollgruppe von circa 175 000 erwerbslosen Personen die Arbeitslosenunterstützung erhalten. Die nachgewiesenen Effekte auf die Beschäftigungsrate der Personen die Grundeinkommen erhalten war insgesamt eher gering, wies jedoch bei einzelnen Gruppen, wie beispielsweise Familien, eine höhere Signifikanz auf: bei Eltern erhöhte sich die Anzahl der in Lohnarbeit verbrachten Tage pro Jahr stärker.

Auffällig war die psychische Befindlichkeit der Personen sowie deren persönliche Einschätzung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und Perspektiven. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe fühlten die Probanden sich weniger gestresst, einsam und hatten weniger Depressionen.

Die Debatte in Deutschland

Auch in Deutschland führt die Thematik seit geraumer Zeit zu Debatten, der Gründer der dm-Drogeriekette Götz Werner äußerte sich 2005 in einem Interview mit brand eins beispielsweise dazu, dass nun der passende Zeitpunkt sei uns vom Zwang der Arbeit zu befreien. Da die Märkte schon übersättigt seien und gleichzeitig immer weniger Menschen für die Produktion dieses Übermaßes benötigt werden, müsse Einkommen und Arbeitskraft voneinander gelöst werden. Allgemein sind die Begründungen für ein BGE hauptsächlich eine hohe Arbeitslosigkeit sowie die fortschreitende Digitalisierung, die zu einem teilweisen Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Technik führt. Ziel ist also eine Abkopplung von Arbeit und Existenzsicherung.

Argumente dagegen sind beispielsweise Auswirkungen von sinkenden Arbeitsanreizen auf verbleibendeSteuerzahler*innen. „Auch bei verbleibenden Steuerzahler*innen könnten durch das Beispiel sinkender Arbeitsmoral die Bereitschaft zu einer steuerpflichtigen Erwerbsarbeit sinken und informelle Normen „erodieren“ wie z.B. Bildungsanreize, das Streben nach sozialem Aufstieg und der Wille, möglichst eigenständig den Lebensunterhalt zu bestreiten“ wie der Sozialwissenschaftler Kuno Rinke erklärt. Außerdem könne es sozialpolitische Folgen haben, zum Beispiel durch Einsparungen im Förder- und Fürsorgesystem, darunter Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe.

Was sagen die führenden Parteien?

Interessant für die kommende Bundestagswahl sind hingegen die geteilten Meinungen der führenden Parteien. Der damalige Thüringischen Ministerpräsident Dieter Althaus und sein Staatssekretär Hermann Binkert (CDU) legten 2006 das „Bürgergeld“ Konzept vor (überarbeitet 2010 und 2017). In der neuesten Veröffentlichung wird das Bürgergeld als partielles Grundeinkommen von 500 Euro definiert,die als Negativsteuern ausgezahlt würden. Hierbei wird ein Betrag von beispielsweise 1000 Euro ausgezahlt und eine Flat Tax von 50% festgelegt. Dies führt dazu, dass bis zu einem Einkommen von 2000 Euro ein Zusatz, also eine Negativsteuer, entstehtund Personen mit geringem Einkommen so keine Einbußen verzeichnen müssten. Für das Konzept gibt es bislang keine Mehrheit in der CDU/CSU. Auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung im November 2018 in Berlin stellte die damalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer klar: „Ich halte das bedingungslose Grundeinkommen für das falsche Zeichen. Es muss einen Zusammenhang geben zwischen Leistung und dem, was man bekommt“.

Die FDP gründete die „Kommission Bürgergeld – Negative Einkommensteuer (KoBüNE)“ unter dem Vorsitz ihres Stellvertretenden Vorsitzenden Andreas Pinkwart. Deren Ziel ist es,möglichst alle steuerfinanzierten Sozialleistungen des Staates für einen „Universaltransfer“ im „Bürgergeld“ zu bündeln.

In der SDP herrschen unterschiedliche Meinungen, in einem Beschluss des Bundesparteitages von Dezember 2019 wird ein bedingungsloses Grundeinkommen „als falsch“ abgelehnt und stattdessen angestrebt, die bestehende Grundsicherung Hartz IV „grundlegend hin zu einem Bürgergeld“ zu verändern. Parteivorsitzender Norbert Walter-Borjans ist ausdrücklich gegen ein BGE, „weil [er] für die Fürsorge durch das Gemeinwesen auch die Bereitschaft erwarte, sich für dieses Gemeinwesen einzusetzen.“ Aus dem Kreis der Jungsozialisten gab es 2018/19 Initiativen, das Thema BGE auf die Tagesordnung der Partei zu bringen.

DIE LINKE gründete 2006 die Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen (BGA). Ziel dieser ist ein Grundeinkommen, das existenzsichernd ist und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Ausgearbeitet wurden sowohl Auszahlungen als Sozialdividende sowie die negative Einkommenssteuer. Hinzu kommen weitere Umbauten des Sozialstaates.

Seit 2007 existiert das Grünen Netzwerk Grundeinkommen, das sich dafür einsetzt, ein BGE einzuführen, das allen zusteht und „deren Existenz sichern sowie die kulturelle und soziale Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen“ soll. In der Gesamtpartei der Grünen wird das BGE als politisches Ziel vermutlich keine Mehrheit finden. Die Afd lehnt ein BGE grundsätzlich ab.

BGE als Krisenmanagement

Die Corona-Pandemie hat die Diskussionen seit 2020 weiter vorangetrieben. Verschiedene Petitionen fordern die Einführung eines temporären bedingungslosen Grundeinkommens in Höhe von beispielsweise 1.000 Euro monatlich als Ausgleich für existenzgefährdende Folgen der Pandemie.

Bianca Blum und Bernhard Neumärker vom Freiburger Institute for Basic Income Studies, kurz FRIBIS, stellen nun ein hochaktuelles Discussion Paper zu diesem Thema vor, das den Titel “The Counterfinancing of the Net Basic Income in Times of Debt-Financed Relief Measures during the Corona Crisis” trägt. Zu lesen sind Denkanstöße für zukünftige Krisen, basierend auf aktuellen Hochrechnungen.

In dem vorangegangenen Artikel „Lessons from Globalization and the COVID-19 Pandemic for Economic, Environmental and Social Policy” argumentierten die Freiburger Forschenden bereits, dass die mit der Corona-Pandemie befeuerten wirtschaftlichen und sozialen Krisen tiefreichende Wurzeln hätten. Blum und Neumärker verdeutlichen die Notwendigkeit politischen Handelns, um Herausforderungen wie den Klimawandel ebenso wie die wachsende Ungleichheitanzugehen. Wichtiges Mittel hierfür sei unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Freiburger Forschende entwickeln neuen Ansatz

Zwei Punkte sind bei dem von Blum und Neumärker vorgestellten Konzept ausschlaggebend: Jede Person über 18 Jahren erhält während der Corona-Krise ein bedingungsloses Grundeinkommen von 550 Euro, Kinder und Jugendlichen 225 Euro. Wenn aufgrund einer Krise das Einkommen ausfällt, so müssen außerdem Zahlungen wie Miete und Kredite nicht bedient werden. Auch Vermieter*innen, die durch Mieteinnahmen Kredite abbezahlen, bekämen keine Zahlungsprobleme.

Arbeitsunabhängiges Einkommen wie Miete, Zinsen oder Finanzspekulationen sind von Krisen nicht direkt beeinträchtigt, es sei also fairer, wenn nicht nur Arbeitnehmer*innen die Last des eingeschränkten Einkommens tragen. Blum und Neumärker zeigen in ihren Berechnungen, dass eine Auszahlung von 550 Euro monatlich pro Erwachsenemin der Krise günstiger ist, als die bis jetzt ausgezahlten Rettungsschirme und Unterstützungen.

Wenn nach einer Krise die Wirtschaft wieder einen Aufschwung erlebt soll nach Blum und Neumärker die Existenzsicherung von 550 auf 1200 bis 1500 Euro ansteigen. Somit könnte die Krise den Anfangspunkt für ein stabiles, anhaltendes System darstellen, das bei der nächsten Krise greift und gleichzeitig soziale und ökonomische Ungleichheiten verringert.

Weitere Infos: www.pr.uni-freiburg.de/pm/2021/bedingungsloses-grundeinkommen-als-krisenpraevention

 

Quellen

https://www.kela.fi/web/en/press-releases-media/-/asset_publisher/iOlErAd3fOTY/content/results-of-the-basic-income-experiment-small-employment-effects-better-perceived-economic-security-and-mental-wellbeing

„Wir leben in paradiesischen Zuständen“. Ein Interview von Gabriele Fischer mit Götz W. Werner, in: brand eins 03/2005

Kuno Rinke am 03.08.2020 für die Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarktpolitik/316914/das-bedingungslose-grundeinkommen

Bildquellen

  • Demonstration am 1. Mai 2020 in Wien: © imago images/photonews.at