„Gottlos“ – Natalja Althausers Regiedebüt feierte im E-Werk Premiere mit dem neu gegründeten Theater Explosiv
Ein Kammerspiel mit zwei Paaren, ein emotionaler Flächenbrand befeuert von Alkohol, Müdigkeit, Frust und Trauer – das erste Stück der in Freiburg lebenden Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Natalja Althauser ist mehr als ein Psychodrama à la „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Denn hier stellt das neugegründete Theater Explosiv vor allem die Frage: Gibt es einen sinnvollen und damit gerechten Krieg? Das ist erschreckend aktuell… „Gottlos“, so der Titel der rund 80-minütigen, sehr fesselnden und dichten Inszenierung (Regie Christian Theil, gefördert vom Kulturamt und Regierungspräsidium Freiburg), die im Kammertheater des E-Werk Premiere feierte.
Dabei sind die politischen Ereignisse der Stückentwicklung nicht erst mit dem Ukraine-Krieg davon galoppiert: Althausers Geschichte spielt im Wohnzimmer eines Paares nach dem Staatsbegräbnis ihres Sohnes, der als Bundeswehrsoldat bei einem Auslandseinsatz in Afghanistan gefallen ist. War Anton dort auf heiliger Mission für das Gute und Wahre – oder auf der Flucht vor einem kaputten Elternhaus, einer unglücklichen Liebe, der eigenen Orientierungslosigkeit? War die ganze Aktion nur ein privat-pervertierter Heldentraum? Wer hätte ihn zurückhalten können? Sinnlose Fragen und Mutmaßungen, findet sein Vater (Georg Blumreiter), denn Anton ist tot. Trotzdem geht es vor allem im ersten Drittel dieser packenden Inszenierung darum, wie das eigentlich war in Afghanistan: Wer hat die Taliban gezüchtet und unterstützt? Warum spielten die Amis wieder Weltpolizei? Wird deutsche Freiheit wirklich am Hindukusch verteidigt? Gut recherchiert, wenn auch sehr wortlastig tauscht das Spieler-Kleeblatt Überzeugungen und Fakten.
Doch erst mal ist Smalltalk dran: Auf der Bühne eine bürgerliche Sofa-Sitzgruppe, aus dem Off ein Intro-Soundtrack aus Bombeneinschlägen, Nachrichten-Sprengseln und Politiker-Statements. Dann ein Trauermarsch, Beerdigung vorbei. Jetzt erst mal einen Cognac… Antons Eltern Bea (Sybille Denker) und Helmut (Georg Blumreiter) wirken gefasst, das befreundete Paar Sonja (Natalja Althauser) und Michail (Christian Packbier) scheint sensibel und zugewandt. Doch es gibt von Anfang an nur drei Sitzplätze, wie bei der Reise nach Jerusalem ist immer jemand zu viel. „Ist doch schön mal wieder ein bisschen Leben in der Bude“, kommentiert Oberstudienrat Helmut. Falscher Satz, falscher Ort, schon ist die Stimmung im Eimer. Ab da kippt und eskaliert die Gruppendynamik: Schuldzuweisungen, Vorwürfe, Entgleisungen und Abgründe – wie sich das für ein Psychodrama gehört.
Schnelle pointierte Dialoge, sehr souveränes Schauspiel, vor allem viele überraschende Regieideen und immer neue Puzzles-Stücke halten den Spannungsbogen: Dass die Ehe zwischen Helmut und Bea unglücklich ist, wird schnell klar, doch welche Rolle spielt da Bea, die als Internistin bei Ärzten ohne Grenzen Afrika-Einsatz nach Afrika-Einsatz absolvierte und ihre kleine Familie immer wieder verließ? Warum lauert sie jetzt betrunken Michail in der Dusche auf? Warum wurden Helmuts Lieblingsplatten zerkratzt, sind die Buchstaben eine Botschaft Antons aus dem Jenseits? Was bedeutet, dass Nachhilfelehrerin Sonja mit Anton geschlafen hat? Warum ist sie bis heute kinderlos? Ist sie wirklich das ideale Paar mit Michail, wie Helmut behauptet, der wenig später betrunken und verzweifelt Sonja fast vergewaltigt? War Anton religiös? Am Ende wird er per Videobotschaft aus dem Camp zu erleben sein.
Es ist das Kaleidoskop einer Spurensuche, ein Gewirr roter Fäden ohne Anfang und Ende, vielschichtig, bewegt und bewegend. Nicht alles ist logisch, fesselnd und relevant aber unbedingt. Chapeau!
Bildquellen
- Sonja (Natalja Althauser), Michail (Christian Packbier) und Antons Eltern Bea (Sybille Denker) und Helmut (Georg Blumreiter): Foto: Alexandre Goebel