Kunst

Gesellschaftlicher Druck und historische Schuld: Zwei Ausstellungen in der Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk zeigen die Verletzlichkeit von Körpern

Es ist eine schöne Vorstellung, dass Thomas Liu Le Lanns Video „Gym“ bis gut eine Woche vor der Eröffnung seiner Ausstellung im Freiburger E-Werk bei der Olympiade und bei den Paralympischen Spielen im Maison Suisse in Paris gezeigt wurde. Der Welschschweizer hatte zusammen mit Laure Marville vom Kanton Genf eine Carte Blanche bekommen. Und was nun in der Galerie für Gegenwartskunst auf einem Bildschirm am Boden zu sehen ist, könnte auch eine zeitgenössische Variante von Herman Melvilles Schreiber Bartleby sein. Nur, dass sich hier niemand der Bürotätigkeit verweigert, es geht stattdessen um Badminton, und dass wir es gleich mit einer ganzen Gruppe zu tun haben. Dabei sind die Männer und Frauen in Thomas Liu Le Lanns Arbeit keine eigentlichen Verweigerer. Aber ihre Kleidung, die aus einer Art Unisex-Lagenlook besteht mit Schürzen und signalfarbenen Oberteilen, ist so wenig für jede Art von Sport geeignet und ihre Vorkenntnisse so rudimentär, dass es auf das Gleiche hinausläuft.
„Gym“ entstand an einem Tag und wurde mit einer iPhone-Kamera aufgenommen, die Stimmungslagen der Badmintonspieler, ihre Müdigkeit, ihre Langeweile, prägen das Geschehen. Die Sporthalle mit der Kletterwand, den Turnringen sowie den Markierungen auf dem Boden ist letztendlich nicht nur Bühne, sondern Mitspieler. Die Gruppe einigt sich umständlich auf ein Aufwärmtraining mit Reiki, Lymphmassage und Contact-Improvisation, bevor sie überhaupt anfangen. Die Projektion strahlt auf den Boden und die Planen ab, die an Schnüren halbhoch hängen und auf die Stabtaschenlampen gerichtet sind. Das Taschenlampenmodell wurde ursprünglich für das Militär entwickelt. Körper, insbesondere queere, sind in Thomas Liu Le Lanns Werk oft besonderer Beobachtung ausgesetzt oder einer besonderen Behandlung.

Thomas Liu Le Lann: „Gym , 2024, Filmstill © courtesy of the artist

Nicht immer weiß man, was hier authentisch, was fiktiv ist. Die beiden stark stilisierten Badezimmerschränke etwa sollen ihre Farbigkeit, laut Saalzettel, von den Pillen haben, die dort aufbewahrt wurden. Dass sich Thomas Liu Le Lanns „Soft Heroes“, Plüsch-Harlekins mit überlangen Armen und Beinen, allein durch ihre Materialität dem Idealbild des trainierten Körpers widersetzen, ist offensichtlich.
Es gibt Schnittstellen zwischen den beiden Ausstellungen, obgleich Jaime Welshs Fotos über ausgesprochen glatte Oberflächen verfügen. Beide sind 1994 geboren, sind queer und machen Körper in ihren Arbeiten zum Objekt von gesellschaftlichem Druck und historischer Schuld. Deutet man den Titel der Ausstellung „The Inheritors“ geht sie zudem auf die nächste Generation über. Welsh, in Lissabon geboren und Absolvent des Goldsmith’s College, gehörte zu den Nominierten des Baloise Kunstpreis 2023 bei den Statements der Art Basel. Während er auf der Kunstmesse Fotos mit Zwillingen zeigte, die die Einsamkeit seiner Bilder eher verdoppelten als aufbrachen, inszeniert er nun Kinder. Die Räume, in denen er sie fotografiert, haben mit der Diktatur von Antonio de Oliveiro Salazar zu tun sowie mit der Bedeutung Portugals als Kolonialmacht. Erst durch die Nelkenrevolution 1974 wurden die letzten Kolonien Portugals unabhängig. Welsh zeigt etwa die Nationale Überseebank als Architektur gewordenen Machtanspruch, historisierender Zierrat an den Wänden betont die Bedeutung der Nationalgeschichte, traditionelle Azulejos erzählen ebenso wie die Wandgemälde geschichtliche Ereignisse Portugals. Die Kinder, die auf Teppichen wie schlafend liegen, sich in einer Raumecke niedergelegt haben oder eine zentrale Position im Bild einnehmen, wirken wie erdrückt von dieser Macht. Und nicht grundlos bezeichnet sie Jaime Welsh als Erben.

Thomas Liu Le Lann, Entertain und Jamie Welsh, The Inheritors. Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk, Eschholzstr. 77, Freiburg. Do/Fr 17-20 Uhr, Sa 14-20 Uhr, So 14-18 Uhr. Bis 10.11.24

Bildquellen

  • Thomas Liu Le Lann: „Gym , 2024, Filmstill: © courtesy of the artist
  • Jaime Welsh: „The Inheritors“: © Marc Doradzillo