Am Theater Basel wurde „Nirgends in Friede. Antigone“ von Darja Stocker uraufgeführt
Theater Basel: Darja Stocker mit „Nirgends in Friede. Antigone“
Geschichte passiert jetzt – Theater kann auch politisch
Mittlerweile dürfte Felicitas Brucker mit den Labdakiden auf du und du sein. Erst ihre Ödipus-Inszenierung am Theater Freiburg, die drei Dramen von Sophokles, Euripides und Aischylos synthetisierte und jetzt die Uraufführung von Darja Stockers „Nirgends in Friede. Antigone“ am Theater Basel. Sie schreibt den antiken Mythos konsequent in die Gegenwart fort, denn die 1983 in Zürich geborene Autorin belässt die Grundkonstruktion des Stoffes, der mit dem Kampf der Brüder Polyneikes und Eteokles einsetzt und mit der Bestrafung durch Kreon endet. Das eigentliche Drama jedoch findet in der Gegenwart statt; „Geschichte ist, was jetzt passiert“, heißt es im Text. Der Krieg in Syrien, die Flüchtlingskatastrophe, die Attentate des IS und die Reaktionen des Westens haben eine historische Dimension.
Auftritt Antigone vor dem Palast von Theben. Kreon hat nicht nur einen Wächter (Martin Hug) instruiert, sondern sich auch hinter einem hohen Metallgitter verschanzt, das mit Neonröhren effektvoll beleuchtet ist. Davor befindet sich auf der Kleinen Bühne eine Spielfläche aus grauen Steinen. Die Machthaber von Theben haben den Geschmack von Technokraten (Bühne: Viva Schudt). In „Nirgends in Friede. Antigone“ ist die Königstochter nicht allein. Antigone – Lisa Stiegler gibt ihr die Haltung eines anarchischen-verletzlichen, platinblonden Punks – ist flankiert von zwei weiteren Antigones (Nicola Kirsch, Cathrin Störmer), sie kommen aus den Vorstädten, sie sind junge Europäer in prekären Verhältnissen, sie haben mit Migrantenkindern gearbeitet. Zusammen haben sie an den Rändern Europas die größte Not gelindert und sich von den spontanen Demonstrationen für Demokratie mitreißen lassen. Alle drei sind schwarz gekleidet und tragen schnelles Schuhwerk (Kostüm: Sara Schwartz). Nun sind sie auf diplomatischer Mission: Kreon soll die Operation Eteokles beenden.
Darja Stocker hat diese Antigone radikal aktualisiert. Die Zeitungslektüre der letzten Wochen ist in ihren Text eingeflossen: das unsägliche Wort vom Pack, mit dem Rechte Flüchtlinge verunglimpfen, Merkel-Sätze, die Rede vom Krieg nach den Anschlägen in Paris. Derart auf der Bühne ausgestellt, sind die Instrumentalisierungen, die Strategie hinter den Worten nicht zu überhören. In der 100-minütigen Inszenierung zeigt sich, wie aussagekräftig und diskussionswürdig diese alte Erzählung über den Widerstand immer noch ist. Stocker zeigt auch die andere Seite, die Gier der Aktivisten nach Bedeutung, nach dem historischen Moment, der das Kleinklein des Alltags verdrängt. Der Text kennt Ambivalenzen. Die junge Autorin selbst hat von 2011 bis 2014 viel Zeit in Ägypten verbracht und reiste zusammen mit Aktivisten an die Grenzen Europas. Bei Stocker sind die Taten des Odysseus und seine Blendung kein Fluch, sondern fordern dazu auf, genau hinzusehen. „Nirgends in Friede. Antigone“ ist ein antiker Stoff, der durch die Aufklärung gegangen ist. Konsequenter und aufregender lässt er sich kaum modernisieren.
Vieles kommt als Bericht zur Sprache und das bringt mit sich, dass der Text arm an Szenen ist. Brucker bewegt die Figuren über die Bühne, immer wieder gehen sie nach vorne, knallen an die Absperrung, klettern an ihr hoch. Das läuft sich ein bisschen tot. Hinzu kommt, dass die Stärkung der Antigone mit einer Schwächung der anderen Rollen einhergeht. Ihr Geliebter Haimon (Simon Zagermann) ficht stellvertretend den Kampf mit der Elterngeneration aus, bleibt ansonsten blässlich und taugt allenfalls als Kumpan im Kampf. Ebenso die Schwester Ismene (Pia Händler), die bislang die Herrschaft Kreons gestützt hatte. Und Kreon selbst (Steffen Höld) wirkt wie ein Potentat eines überkommenen totalitären Systems, der sich in Manierismen ergeht. Am Ende spielt Felicitas Brucker verschiedene Enden durch. Die Platten liegen jetzt wie Planken aufeinander, das Konfetti, das sich darunter verbarg, fliegt in die Luft. In zwei von drei Versionen überlebt Antigone, bei der dritten sprengt sie sich und Kreon in die Luft. Die Inszenierung jedoch zeigt, alternativlos ist nichts.
Weitere Vorstellungen: 2./15./ 20. Januar, jew. 20 Uhr, 7. Februar, 19 Uhr, Theater Basel.
Annette Hoffmann