Kunst

Genauigkeit und Illusion: Das Museum Franz Gertsch in Burgdorf zeigt Arbeiten von Karin Kneffel in einer Sonderausstellung

Karin Kneffel: „Ohne Titel“, 2022: Öl auf Leinwand, 150 × 80 cm, Privatsammlung © 2023, ProLitteris, Zurich Foto / Photo: Achim Kukulies, Düsseldorf

Gerade mal 25 Kilometer ist die Zähringergründung aus dem 13. Jahrhundert, das heutige Burgdorf, von Bern entfernt. Da schmiegt sich das private Museum Franz Gertsch seit 2002 in die Unterstadt. Neben der ständigen Ausstellungsfläche für den Schweizer Maler und Grafiker Gertsch gibt es mehrere Sonderausstellungen pro Jahr. Derzeit sind die beiden letzten Werke des 2022 verstorbenen Franz Gertsch aus dem selben Jahr zentral platziert: „Cima del Mar“ und „Rüschegger Erde“. Im grafischen Kabinett zeigt die Baslerin Esther Ernst Papierarbeiten. Die Hauptattraktion sind die Leinwandbilder von Karin Kneffel aus Düsseldorf. Die 1957 geborene Malerin zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Künstlerinnen Deutschlands. Einst Schülerin von Norbert Tadeusz, dann Meisterschülerin von Gerhard Richter an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrte sie später an den Kunstakademien in Bremen, Reykjavic und in München. Sie war früh Stipendiatin der Villa Massimo in Rom und erhielt den Lingener Kunstpreis. In einem Kurzfilm zeigt sie ihre Arbeitsweise. Mit stets dünnen Pinseln schafft sie Genauigkeit und auch Illusion. Von den 77 kleinformatigen Tierporträts der frühen 1990er Jahre bis zu den hier gezeigten großformatigen Landschaftsbildern mit Äpfeln und Trauben, die monumental und merkwürdig unbestimmt den Vordergrund einnehmen. In einem der drei Ausstellungsräume werden monumentale Bilder der 1990er bis in die 2016er Jahre gezeigt. Sämtliche Ölgemälde sind „ohne Titel/Untitled“, lassen also BesucherInnen viel Raum für eigene Assoziationen. Wie die drei imposant leuchtenden monumentalen Feuerbilder von 1991. Und die bekannte Richter-Kerze im Vordergrund, die exzellent abgemalt ist, jedoch in abstrakter und gespiegelter Gestaltung des Hintergrunds Neues schafft. Auch die über die Leinwand schwebenden Blasen oder Edelsteine auf lichten, dunkel umrahmten Formen machen neugierig. Die mit rotem Läufer samt seitlicher Bordüre ausgelegte steile Treppe im Hochformat von 2003 mag zu dem eigentlichen Thema der Ausstellung führen. Ganz oben möge mensch sich den Platz der Göttin mit ihrem Kind vorstellen. Von der ägyptischen Isis mit dem Horusknaben bis zur christlichen Madonna mit dem Jesuskind. Es gibt auch ein Ölbild des kleinen Jesus mit Feige in der linken und blauer Traubendolde in der rechten Hand. Die Orginalfigur aus dem Umkreis von Andrea Verrochio steht in der Wiener Kunstkammer und ist auf Kneffels kleinformatigem Bild durch schwungvoll gesetzte Linien verdeckt. Sie ist nach einer Fotografie gemalt, welche die Künstlerin wie zahlreiche Madonnen mit Jesuskind im Laufe der Jahre gesammelt hat. Sie hat dafür Figuren des 15. und 16. Jahrhunderts aus dem ost- und südeuropäischen Raum gewählt. Während des Corona Lockdowns entstand die Werkserie, die hier nach der ersten Schau im Museum Kurhaus Kleve zum zweiten Mal gezeigt wird. Ihr Titel heißt übersetzt „Gesicht einer Frau“ und „Kopf eines Kindes“. Die Köpfe der Jesusknaben sind en face oder von der Seite ganzflächig abgebildet. Die Gesichter Mariae auf drei Seiten beschnitten, was den Eindruck von herangezoomt erweckt. Sämtliche Bilder sind gleich groß und zu je zwei aneinandergerückt. So entsteht eine dyptichonartige Ansicht der sieben Mal gezeigten Mutter-Kind Paare. Ein Jesuskopf ist rotwangig mit Apfel, ein anderer brauntonig, er lächelt oder blickt zur Mutter auf. Diese ist in sich gekehrt mit Blick nach unten, bisweilen lächelt sie ihr Kind an. Alle glänzen, als wären sie frisch geölt. Und alle sind, wie schon die früheren Bilder in technisch versierter altmeisterlicher Weise gemalt. Da Kneffel von einem Josef spricht, der sich um das „uneheliche Kind“ kümmert, kommt auch dieser vor. Und die Schwiegertochter Joana mit ihrem Kind, der Sohn mit Tochter und ein einzelner älterer Mann mit weißem Bart. So macht die Künstlerin hier das Menschenbild zum Thema. Vorerst über den Umweg nach Fotografien religiöser Plastiken, dann vorsichtig an sich (die Darstellung ist nicht ausgestellt) und in der Verwandtschaft suchend.

Karin Kneffel. Face Of A Woman, Head Of A Child. Museum Franz Gertsch, Platanenstrasse 3, 3400 Burgdorf. Bis 01.09.2024

Bildquellen

  • Karin Kneffel: „Ohne Titel“, 2022: Öl auf Leinwand, 150 × 80 cm, Privatsammlung: © 2023, ProLitteris, Zurich Foto / Photo: Achim Kukulies, Düsseldorf
  • Karin Kneffel: „Ohne Titel“, 1991, Öl auf Leinwand, 200 × 300 cm, Privatbesitz, Köln: © 2023, ProLitteris, Zurich Foto / Photo: Achim Kukulies, Düsseldorf