InterviewKunstMixtape

Gegen den Strom, aber mit der Zeit: Mit einer Ausstellung feiert das kulturaggregat (Hilda5) zehn Jahre / Interview mit Darwin Zulkifli, 1. Vorsitzender

Subkultur hat es nicht immer leicht in Freiburg – die Lebenserwartung jener Räume liegt bei ein bis (positiv geschätzt) vier Jahren. Wenn ein Ort für junge Kreative also zehn Jahre feiert, müssen wir darüber sprechen. Das Kulturaggregat, das nach einigen Zwischenstationen eine bemerkenswerte Heimat in der Hildastraße 5 gefunden hat, widmet sich selbst eine Retrospektive und zeigt an die 46 Künstler:innen und/oder Kollektive in einer Gruppenausstellung. Da bleibt nicht viel Platz für die Kreativen, umso mehr aber für den Raum als Institution selbst, der in dieser Vielfalt sein Schaffen repräsentiert: Von Streetart über Fotografie, Zeichnungen, Plastiken bis hin zu Gemälden.

Gleich am Eingang erwartet die Besuchenden eine lauschige Ecke mit zwei altrosanen Retrosesseln, darüber steht in blasser Schrift „visuelle Reizüberflutung“ – das kommt beinahe wie ein Augenzwinkern daher. Denn für diese Ausstellung braucht man Zeit, am besten schnappt man sich einen Drink an der Bar und schlendert gemütlich durch die Räume. Zuckersüß und überraschend witzig sind Esfir Brods Zeichnungen. Die Katzenserien sind nicht nur niedlich, mit zensiertem After kommt sogar Gesellschaftskritik dazu. Eine herausragende Fotografie ist „Je Suis Un Femme Libre“ der Freiburger Fotografin Minz&Kunst, welche den Charakter des klassischen Fujifilms trägt – zu sehen ist eine Frau auf einer Straßenkreuzung, ihr Gesicht mit einem rosanen Tuch bedeckt, die Brust entblößt, ihren Körper umschmiegt ein weißes Gewand. Vorsicht, kann abfärben: Mitten im Raum lädt eine Bank zum Verweilen ein, aber obacht. Denn das schmucke Stück ist ein Werk der GHS Crew, konzipiert für die Ausstellung 2022/23 – zugleich läutet das Stück einen neuen Bereich der Ausstellung ein. Hier trifft man auf Streetart, bunt schillernde Drafts und ein bisschen Freiburger Graffiti-Geschichte. Dazwischen „Fuck you“ des anonymen Kollektivs Dies Irae, die Anfang diesen Jahres ihre Protestkunst im kulturaggregat zeigten.

Die Ausstellung zeigt an die 46 Künstler:innen bzw. Kollektive © Elisabeth Jockers

Auf Nachfrage ihrer persönlichen Highlights, antwortet das Team der Hilda5: Das Projekt „Stadt, Wand, Forschung“ in Kooperation mit der Uni Freiburg und Nexus Experiments, „GHS Crew & Friends“, die erste Gruppenausstellung der Berliner-Graffiti-Veteranen in Freiburg, das #KunstTrotzAbstand-Projekt, bei dem sechs Künstler:innen den Bauzaun des Augustiner Museums gestalteten, die Schau „35 Jahre Graffiti in Freiburg“, die „Kulturaggregat & Friends“-Ausstellung im Seniorenstift Freiburg sowie die Abschlussveranstaltung „Adieu Atrium“ der Zwischennutzung des Atriums am Augustinerplatz 2, bei der in zehn Ladengeschäften diverse Kunstprojekte umgesetzt wurden und eine 2,5 Meter große Diskokugel den Abschied würdig zelebrierte. Durch ihre Zwischennutzungsprojekte hat das kulturaggregat nicht nur den Weg für andere Projekte geebnet. Bis heute zeigt das Team, dass junge Menschen das Bild einer (Innen)Stadt erfolgreich mitgestalten können – wenn man sie denn lässt.
10 Jahre kulturaggregat. Hildastraße 5, Freiburg. Bis 10.08.24

Im Gespräch: Darwin Zulkifli, 1. Vorsitzender des kulturaggregats

Kultur Joker: Welche Synergien sind in den vergangenen zehn Jahren entstanden?

Darwin Zulkifli: Es entsteht immer eine spannende Dynamik, wenn kreative Menschen aufeinandertreffen, neue Ideen entwickeln und diese dann in einer gemeinsamen Ausstellung münden. So entstehen auch Kontakte: durch die Gruppenausstellung der GHS-Crew & Friends hat sich z.B. ergeben, dass das Künstler-Kollektiv ROCCO AND HIS BROTHER diesen September bei uns ausstellt. In einem Jahrzehnt kulturaggregat sind auch viele Kooperationen mit Vereinen, Kollektiven und Initiativen entstanden. Darunter Illu e. V., Multicore e.V., die Freiburger Straßenschule, Huji Maja e.V., Delphi Space, AK Feministische Theorien und Praxis, Graffiti-Freiburg-Blog, Albert Ludwigs-Universität, Kulturamt und viele mehr. Aktuell gibt es zwei erfolgreiche Formate, die in unseren Räumlichkeiten in enger Zusammenarbeit mit anderen Kulturakteur:innen stattfinden: die BIPOC-Schreibwerkstatt mit bisher drei „Spoken Word Nights“ des „Kein Weisses Blatt“-Kollektivs sowie „SNACK `N JAM“ des KulturTRäume e. V.

Kultur Joker: Würdet ihr euch mehr Unterstützung für subkulturelle Räume in Freiburg wünschen?

Darwin Zulkifli: In erster Line ist es wichtig, nicht-kommerzielle Räume überhaupt zu ermöglichen und zu erhalten. Darüber hinaus müssen die Akteur:innen auch finanziell unterstützt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Kulturareal des Vereins Clubkultur e.V. Die Idee dahinter ist ein Kultur­areal, das allen Vereinen und Initiativen zur Verfügung steht. Dieses Projekt sollte die Stadt möglichst mit allen Mitteln unterstützen.

Kultur Joker: Wie sieht das in Bezug auf Street-Art aus?

Darwin Zulkifli: Hier sind wir immer auf der Suche nach großen Flächen und besonders Häuserfassaden, die wir in Zusammenarbeit mit Künstler:innen gestalten. Im Vergleich zu Großstädten wie Berlin, München oder Frankfurt gestaltet sich das in Freiburg allerdings schwierig. Daher ein Appell an alle Hauseigentürmer:innen: Bitte meldet euch bei uns! In einigen Metropolen von Europa sind großflächige Graffitis ein Touristenmagnet und es gibt sogar Stadtführungen mit dem Schwerpunkt auf Murals.

Kultur Joker: Wie wird das kulturaggregat in 10 Jahren aussehen?

Darwin Zulkifli: Wir wollen uns als Soziokulturelles Zentrum weiter etablieren und wachsen! Ein langfristiges Ziel von uns ist es, mehr bezahlte Stellen zu schaffen, um unser ganzes Potenzial auszuschöpfen. Nach acht Jahren ehrenamtlicher Arbeit haben wir eine 50 Prozent Stelle und zwei Mini-Jobs. Am 6. Juli findet wieder das City Colours Street-Art-Festival statt. Hier würden wir gerne eine trinationale Version gemeinsam mit Frankreich und der Schweiz realisieren. Generell finden wir den europäischen Gedanken im Hinblick auf unsere Vision spannend. Wenn die Dynamik der vergangenen zehn Jahre so fortschreitet, freuen wir uns auf alles Großartige, was unsere Zukunft bereithält!

Kultur Joker: Vielen Dank, happy Birthday und alles Gute!

Bildquellen

  • Die Ausstellung zeigt an die 46 Künstler:innen bzw. Kollektive: © Elisabeth Jockers
  • Zum 10. Geburtstag gibts ein Graffiti am Eingang: © Albi Rich