Kunst

Geborgtes Leben: Die Galerie für Gegenwartskunst blickt mit Ausstellungen von Sabine Shikhlinskaya und Solmaz Daryani auf eine komplexe Region

Für das Video „Dangerous Red“ hat Sabina Shikhlinskaya einen regelrechten Fleischberg auf einem Tisch aufgetürmt. Zwischen Schlund, Organen und den anderen Fleischstücken sind ein paar aufgeschnittene Granatäpfel arrangiert. Über die rohe Natur unseres Fleischkonsums schauen wir gerne hinweg. Doch die aserbaidschanische Künstlerin hat sich nicht nur an den Küchenstillleben des 17. Jahrhunderts orientiert, sondern den Genuss des Überflusses zudem gestört. Keine Insekten oder Würmer kriechen über dieses rohe Fleisch, stattdessen trollen drei Kätzchen durch das Video. Vielleicht liegt es am Fleischgeruch, der ihren Jagdinstinkt gereizt hat, sie gehen jedenfalls aufeinander los. Niedliche Katzenjungen sind das nicht, eher wirken sie wie die Personifikation einer Aggressivität, die derzeit unsere Welt prägt.
„Dangerous Red“ ist eine aktuelle Arbeit, in der Galerie für Gegenwartskunst im Freiburger E-Werk ist sie zusammen mit einer anderen Videoinstallatione zu sehen, abgemalte Fotos von Verhaftungen, Selbstverbrennungen und Demonstrationen werden ausgelöscht, indem Shikhlinskaya sie mit roter Farbe übermalt. Es wirkt wie eine Anspielung auf die Zensur, aber die rote Farbe ist hier auch eine Klammer, die die Verletzbarkeit allen Lebens in Erinnerung ruft. „Life on Borrow“ heißt dann auch die Ausstellung Shikhlinskaya in der Galerie II, während in der Galerie I eine Fotoausstellung der in London lebenden Iranerin Solmaz Daryani zu sehen ist. Der Titel ist einem Roman Erich Maria Remarques entliehen. Und im Kontext dieser beiden sehr politischen Ausstellungen will er nicht allein wie ein Memento Mori wirken, sondern scheint auch daran zu mahnen, dass die Zeitläufte manche zu bloßem Fleisch machen.
Etwa Murtuza Mukhtarov. Der Ölmagnat ließ in den 1910er Jahren in Baku seiner Frau als Liebesbeweis eine neugotische Villa bauen, mittlerweile ist in diesem „Palace of Happiness“ das Standesamt untergebracht. Mukhtarovs Tod könnte die offizielle Geschichtsschreibung stören. Denn als 1920 die Rote Armee in sein Haus eindrang, kam er ums Leben. Und auch das Gespräch, das die Künstlerin 2012 mit ihrem Vater geführt hat, als dieser längst in Israel lebte, berührt die Brüche, Umwälzungen und die Gewalt, die von der Sowjetunion ausgingen, indem sie ihn über sein Parteibuch, das Staatsorgan Prawda sowie Hammer und Sichel räsonieren lässt.
Im Erdgeschoss führt Solmaz Daryani in der Ausstellung „The eyes on earth“ vor, wie sich die Politik auf eine ganze Region und ein Ökosystem auswirken. So dokumentiert sie mit ihren Fotos das Sterben des Urmia Sees, der in den beiden iranischen Provinzen West- und Ostaserbaidschan liegt. Dass sie selbst nicht aus London nach Freiburg zur Vernissage anreisen konnte, zeigt, wie komplex die politische Gemengelage ist. Ihre Familie hatte am Urmia See einmal ein Motel. Für die Zoroaster hat er eine große Bedeutung, da Zarathustra hier geboren sein soll, in den 1930er Jahren war er gar nach dem damaligen Schah benannt.
Das Unesco-Biosphärenreservat trocknet zunehmend aus, wodurch der Salzgehalt des Wassers steigt und das Salz zunehmend für eine Gesundheitsbelastung der Bevölkerung wird und auch die Felder unfruchtbar macht. Neben globalen Klimaveränderungen liegt es an Umleitung von Zuflüssen zugunsten der Stromgewinnung und einer wasserintensiven Landwirtschaft, im Zuge der Islamischen Revolution wurden Wein- und Olivenanbau verbannt. Daryani fotografiert Pfähle, die derart verkrustet sind, dass man an die biblische Erzählung von Lots Frau denken muss. Sie fotografiert die trostlose immer größer werdende Uferzone, tote Vögel, trauernde voll verschleierte Frauen und stellt diese Motive Aufnahmen aus ihrem Familienalbum gegenüber, die Ende der 1960er bis in die 1980er Jahre entstanden sind. Sie zeigen Männer, Frauen und Kinder gemeinsam zwanglose, glückliche Ferientage verbringen. Die Gegenwart scheint davon weit entfernt. Zwar gibt es seit einigen Jahren staatliche Versuche, den See zu retten. Doch zu viele politische Polarisierungen standen bislang im Weg.

Sabina Shikhlinskaya, Life on Borrow. Solmaz Daryani, The Eyes of Earth. Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk, Eschholzstr. 77, Freiburg. Do/Fr 17-20 Uhr, Sa 14-20 Uhr, So 14-18 Uhr. Bis 14.07.24

Bildquellen

  • Sabine Shikhlinskaya: „Dangerous Red“: © Marc Doradzillo