Freiburger Immoralisten führen das Stück “Stammheim” auf
Schon immer der falsche Weg
Stammheim, der Stuttgarter Hochsicherheitstrakt, in dem die Heerführer der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) einsaßen, gilt seit den 70er Jahren als Inbegriff des Konfliktes zwischen Staat und der Terrororganisation. Entsprechend hoch ist daher der Anspruch, den die Immoralisten mit diesem Stück an sich und ihr Publikum stellen; es ist bereits das dritte, mit dem sie die deutsche Psyche mitsamt ihren ideologischen Verstrickungen aufs Korn nehmen.
Die 70er Jahre, eine Zeit harscher Auseinandersetzung zwischen den Generationen. Dicke Schichten verkrusteten Spießertums galt es abzugraben. Wut peitschte die Gesellschaft voran, Wut einte die Mitglieder der RAF bis hin zum mehrfachen Mord, bis in den eigenen Tod. Dass dieses Thema dem kritischen Macher mit Grips liegen würde – Manuel Kreitmeier zeichnet für Text (nach Originaldokumenten), Regie und Szene verantwortlich – liegt auf der Hand. Dass es dieses Mal keine schwarze Lustbarkeit sein würde, die durch das schwierige Thema trägt – eine Art Markenzeichen der Truppe – ebenso. Wie also gelang es dem pfiffigen Regisseur, diesem heiklen Thema und zugleich dem eigenen Image dennoch gerecht zu werden?
Sein Rezept war wie immer: Einfachste Mittel, hervorragende Akteure mit unglaublicher Spieldichte, viel Mut und außerordentlicher Feinsinn, gepaart mit Synthesizer-Livemusik, die die Anspannung der Situation aufs Trefflichste zu charakterisieren verstand (Florian Wetter). Jungfräulich weiß liegt die sich nach hinten verjüngende Bühne vor dem Zuschauer, auf der die vier orangefarbenen Stühle und ein Mikro an der Rückwand, diese kleinlich zurechtzurücken anfangs ein Wärter (Uli Winterhager) beschäftigt ist, die einzigen Farbtupfer sind. In diese Szene brechen nun jäh einer nach dem anderen die Protagonisten Andreas Baader (Jochen Kruß), Gudrun Ensslin (Chris Meiser), Ulrike Meinhof (Anna Tomicsek) und Jan-Carl Raspe (Markus Schlüter) durch die Styropor-Seitenwände, um auf den Stühlen Platz zu nehmen.
Ein Prozess beginnt, der immense mediale Aufmerksamkeit erregen und die terroristischen Ideale in den Mief der spießbürgerlichen Wohnzimmer tragen sollte. Vor dieser „Weiß-heit“ des Gerichtssaals heben sich die RAF-Protagonisten wie bunte Hunde ab. Sofort wird klar, sie sind gewaltig, aber sie werden keine Chance haben. Unerbittlich, kalt und undifferenziert schwäbelt ihnen eine Stimme aus dem Off, die Stimme des Staates, die Anklagepunkte entgegen (Florian Wetter). Ohnmacht auf beiden Seiten. Krieg zwischen den Fronten. Beginn und Ende einer Vision. „Es ist viel besser wütend zu sein als traurig!“, sagt Ulrike Meinhof und legt damit die Lunte des Abends, die beide Seiten hochkochen lässt, bis es keinen Ausweg mehr gibt. Warum dieses Stück gerade jetzt? „Wir können nicht zeigen, was in Stammheim abgelaufen ist. Aber wir können zeigen, wie Ungerechtigkeit aus dem Kampf für Gerechtigkeit auf beiden Seiten zustande kam.“ Und auch heute überall auf der Welt zustande kommt. Es war schon immer der falsche Weg.
Weitere Aufführungen bis 22. 11., Do – Sa, jeweils 20 Uhr. Theater der Immoralisten, Ferdinand-Weiß-Str. 9-11, Freiburg
Friederike Zimmermann