Fiktionales Abbild der rechten Szene hart an der Realität: Mit „Turmgold“ legt Autor Peter Grandl den zweiten Band seiner „Turm“-Krimi-Reihe vor
Peter Grandl ist ein medialer Tausendsassa: Als Werbetexter, Dramaturg, Produzent, Regisseur und Autor bewegt er sich seit Jahrzehnten mit großem Erfolg quer durch die Medienlandschaft. Sein letzter Coup: Der 2020 als erster Band einer „Turm“-Trilogie zunächst bei Eulenspiegel und dann 2022 in erweiterter Fassung im Piper-Verlag erschienene Polit-Thriller „Turmschatten“ erregte ob seines provokanten Plots vielfaches Aufsehen, erreichte hohe Verkaufszahlen, heimste Preise und Auszeichnungen ein und eine Verfilmung ist in Vorbereitung.
Zentraler Schauplatz in diesem ersten Band der „Turm“-Reihe ist ein hoher von den Nazis im zweiten Weltkrieg erbauter achteckiger bunkerartiger Wehrturm. Ephraim Zamir, ehemaliger Mossad-Agent und in der Nachkriegszeit in dessen Auftrag internationaler Nazi-Jäger, erwirbt 2010 diesen Bunker, baut ihn inwendig umfangreich um und will der örtlichen jüdischen Gemeinde eine Synagoge spenden. Die lokalen Neonazis planen deshalb seine Ermordung, eine Dreier-Gang, darunter Gottfried Wegener mit Kampfnamen Steiner und Karl Rieger, dringt in den Bunker ein und ermordet die dort beschäftigte Haushälterin. Schließlich werden die Eindringlinge aber von dem gut vorbereiteten Zamir überwältigt und in einem Akt der Selbstjustiz festgesetzt. Er unterzieht die Neonazis unter Anwendung von Foltermethoden zu Geständnissen ihrer bisherigen Gewaltverbrechen, darunter auch Mord. All dies wird unter Mithilfe eines sensationsgeilen Privatsenders ins Netz übertragen und gipfelt in einer Zuschauerabstimmung, ob Zamir die Gefangenen hinrichten soll oder nicht. Dies ist nur die Grobskizze des Kerngeschehens, welches permanent und sprunghaft von weiteren Handlungssträngen, zum Beispiel der Vorbereitungen der Polizei für eine Beendigung der Geiselnahme, in deren Verlauf ein Polizeikommissar den Tod findet, unterbrochen wird. Steiner und Karl Rieger werden festgenommen, zu Gefängnisstrafen verurteilt, wobei Karl Rieger aussagewillig mit den Behörden zusammenarbeitet und dafür in den Genuss eines Zeugenschutzprogramms kommt. Zamir verschwindet spurlos.
Der Band „Turmgold“ als Fortsetzung setzt nun zehn Jahre später ein. In dem Bunker ist inzwischen ein von der jüdischen Gemeinde betriebener Kindergarten beheimatet. Zur Erinnerung an die damalige Ermordung der Haushälterin und des Polizeikommissars soll eine Gedenkfeier stattfinden, wo der Antisemitismus-Beauftragte Luwig Spaenle eine Rede halten soll. Neonazi Steiner, mittlerweile wieder auf freiem Fuß und beseelt vom Heldenwahn, als der er dereinst in Wallhall Einzug halten wird, legt sich mit einem Schnellfeuergewehr auf die Lauer, um Spaenle zu ermorden. In Wirklichkeit will er aber den Verräter Karl Rieger, der unter dem Namen Gottfried Trautmann eine bürgerliche Existenz aufgebaut hat und von dem er glaubt, dass er die Gedenkveranstaltung ebenfalls besucht, vor die Flinte bekommen und mit ihm abrechnen. Beides misslingt und er schmiedet den nächsten teuflischen Plan: Er will zurück zum Turm und als Fanal die jüdischen Kinder töten. Zusammen mit seinem jungen Cousin Lutz, der zu Steiner wie zu einem Abgott aufschaut, setzt er den Plan in die Tat um und ein haarsträubendes Drama nimmt seinen Lauf, in dem die beiden die Kinder und die Erzieherinnen in Geiselhaft nehmen und für deren Freilassung sie die Auslieferung von Trautmann fordern. Ein Katz und Maus Spiel mit vielen Gewalt- und Schreckensszenen im Kindergarten und den dabei entdeckten Stollen und Gängen im Untergrund des Turmes nimmt seinen Lauf.
Parallel dazu entwickeln sich dramturgische Nebenstränge: Bernhard Hessel, ein überzeugter Nationalsozialist, tarnt sich als gemäßigter AfD-Abgeordneter und Jonas Behrens, ein in den einstigen Umbau des Turmes involvierter Architekt, vermuten nicht ohne Grund in den Keller- und Stollengewölben die Lagerstätten des sagenumwobenen, seinerzeit zusammengestohlenen Nazigoldes und sind dahinter her. Eine paramilitärische Nazitruppe aus Reichsbürgern und trainierten Kämpfern à la Wehrsportgruppe Hoffmann wollen vergeblich den Bayerischen Landtag stürmen. Auch die reale Ermordung des Regierungspräsidenten Walther Lübcke durch den Neonazi Stephan Ernst und der Massenmörder Anders Breivik spielen eine Rolle. Auf der antifaschistischen Seite gründet sich die Vereinigung Anthropoid 2020 (VAO-20), die dem Nazi-Terror mit gleicher Münze begegnen will, in die Marie Stresemann, einstige Sozialbetreuerin von Karl Rieger in dessen Nazizeit, verwickelt ist. Nicht zu vergessen der dramatische Verlauf seines Lebenswegs als Gottfried Trautmann. Und dies ist beileibe noch nicht alles.
Das klingt alles sehr überzogen, aber Grandls „Turmgold“ erschien nur ein paar Tage vor der realen Razzia gegen die Putschpläne der rechtsterroristischen Patriotischen Union aus Reichsbürgern, Neonazis, Bundeswehrangehörigen und der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Malsack-Winkemann am 7. Dezember 2022. Das fiktiv überhöhte Abbild der rechten Szene in ihren verschiedenen Erscheinungsformen bewegt sich plötzlich hart an der Realität. In der Verdeutlichung dieser akuten Bedrohung mit durchweg spannenden literarischen Mitteln liegt die eigentliche Bedeutung der Romane von Peter Grandl, obwohl ihnen eine etwas sparsamere Verwendung von Nebenhandlungen und ein behutsamerer Umgang mit Gewaltszenen möglicherweise gut getan hätten.
Bildquellen
- Mit „Turmgold“ legt Autor Peter Grandl den zweiten Band seiner „Turm“-Krimi-Reihe vor: © Piper